Beijing ist gewappnet
Von Jörg Kronauer
Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Ökonomisch erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
Jörg Kronauer beleuchtet in der zwölfteiligen jW-Serie anhand zentraler Aspekte die Konsequenzen, die sich aus dem Aufstieg der Volksrepublik für die internationalen Beziehungen ergeben. (jW)
Die Volksrepublik hat mit ihrer Entwicklung ein festes Ziel vor Augen: Bis zum Jahr 2049, wenn sich ihre Gründung zum hundertsten Mal jährt, soll es ihr gelungen sein, »ein modernes sozialistisches Land aufzubauen, das reich, stark, demokratisch, kultiviert und harmonisch« ist. So hat es der Nationale Volkskongress im November 2012 im zweiten seiner sogenannten Jahrhundertziele beschlossen, und darauf arbeitet Beijing konsequent hin. Für die rund 1,4 Milliarden Menschen, die in China leben, wäre das ein gewaltiger Fortschritt und in gewisser Weise eine Rückkehr zur historischen Normalität – zur gleichberechtigten Teilhabe an den globalen Reichtümern, wie es noch vor 200 Jahren der Fall war, bevor die Kolonialmächte es zu ruinieren begannen. Nur: Wenn China wieder wohlhabend und stark wird, werden die einstigen Kolonialmächte ihre globale Dominanz, die sie über das Ende der formellen Kolonialzeit hinaus bewahren konnten, nicht halten können. Wollen sie das aber tun – und das wollen imperialistische Mächte nun mal –, dann bleibt ihnen, um Chinas Aufstieg zu stoppen, nicht mehr viel Zeit.
Und ihre Mittel dafür schwinden. Die einst im Westen gehegte Hoffnung, der Aufstieg privater Unternehmer in China könne die Interessengegensätze im Land stark anheizen und die Kommunistische Partei zerlegen, ist nicht aufgegangen. Der Wirtschaftskrieg tobt bereits; ob er aber genügt, um den weiteren Aufstieg der Volksrepublik auf Dauer zu verhindern, darf man bezweifeln. Genügt er nicht, dann bliebe dem Westen nur der Griff zur Gewalt, und auf diese Option bereiten die USA sich längst vor: Sie rüsten dramatisch auf, sie militarisieren die Asien-Pazifik-Region, und sie binden selbst ihre europäischen Verbündeten in ihren Aufmarsch vor den Küsten und im weiteren Umfeld Chinas ein. Schon vor Jahren war auf einer Tagung der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (Baks) von einem von den USA geschaffenen »Feuerring um China« die Rede, der jederzeit entzündet werden könne. Die Lage ist inzwischen so aufgeheizt, dass es im Januar aus dem Kommandeur des US Air Mobility Command, General Michael Minihan, herausplatzte: »Mein Bauch sagt mir, wir werden im Jahr 2025 kämpfen.«
Auf den möglichen – manche in den USA sagen: den kommenden – Krieg gegen China bereiten sich nicht nur die US-Streitkräfte mit praktischen Manövern vor. Militärs, Regierungsstellen und Denkfabriken in den Vereinigten Staaten exerzieren ihn immer wieder auch in sogenannten War Games, theoretischen Kriegssimulationen, durch. Deren Resultate waren in den vergangenen Jahren für Washington wenig schmeichelhaft: Oft gelang es nicht, den Waffengang gegen die Volksrepublik zu gewinnen, und wenn doch, dann nur unter gewaltigen eigenen Verlusten. Im vergangenen Jahr führte etwa das Washingtoner Centre for Strategic and International Studies (CSIS) ein War Game durch, bei dem es von der Annahme ausging, die Volksrepublik werde Taiwan militärisch besetzen. In dem Planspiel gelang es den Streitkräften der USA und Japans zwar, einen beträchtlichen Teil der chinesischen Truppen von Taiwan zu verdrängen. Allerdings verloren sie dabei zahlreiche Kriegsschiffe, die US-Militärstützpunkte in Japan und Guam wurden von einem Raketenhagel zerstört, und die USA büßten bis zu 900 Kampfjets ein. Angaben über die vermutete Zahl der Todesopfer hielt das CSIS unter Verschluss.
Hat US-General Minihan recht, und der Krieg droht bereits 2025? Das ist gut möglich. Auch China rüstet auf. Spätestens 2049 sollen seine Streitkräfte zu den stärksten der Welt gehören. Das bedeutet: Die Chancen für die USA, einen Krieg gegen China gewinnen zu können, schwinden mit jedem Jahr. US-Präsident Joseph Biden hat im Herbst geäußert, für Washington habe im Machtkampf gegen Beijing »das entscheidende Jahrzehnt« begonnen. Schon jetzt würde ein Funke genügen, um den »Feuerring um China« schlagartig zu entzünden. Grund zur Resignation ist dies jedoch nicht. »Krieg ist nicht unvermeidlich«: Mit dieser Feststellung schloss der US-Politikwissenschaftler Graham Allison im Jahr 2017 sein Buch über den Machtkampf zwischen den USA und China. Allison hielt zwar einen Waffengang zwischen den beiden Weltmächten für recht wahrscheinlich: Sein Werk trägt den Titel »Destined for War«, »Zum Krieg bestimmt« – ohne Fragezeichen. Doch machte Allison Mut, die »Bestimmung zum Krieg« nicht tatenlos hinzunehmen, und schloss mit einem Shakespeare-Zitat: »Unser Schicksal liegt nicht in den Sternen, sondern in uns selbst.«
Teil elf: »Die BRICS«
der zwölfteiligen China-Serie von Jörg Kronauer
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (19. Mai 2023 um 12:37 Uhr)Rückkehr zur Normalität. Tatsache ist, dass der rasante Aufstieg Chinas eher destabilisierend und zu bemerkenswerter Anpassungen und Neuorientierungen in der globalen wirtschaftlichen und geopolitischen Ordnung führte. Was aber weniger beachtet wird, dass diese Phase intensiver wirtschaftlicher Verwerfungen bald vorbei sein könnte. Chinas rasanter Aufstieg wird sich enorm verlangsamen und außerdem hat das Land jede Menge innere Herausforderungen. Ein weiterer wesentlicher Faktor, was ebenfalls schon kurzfristig negativ zu wirken beginnen wird, ist der demografische Rückgang der Ein-Kind-Familien, hier zu erwähnen nur die wichtigste: Es wird dadurch kaum opferbereiter Nachwuchs zu finden für das Militär, wie in früheren Zeiten, wo von den sechs bis sieben Kindern einigen ihre Karriere im Militär sahen und von dort aus bis heutzutage noch zu Opfern und Kampf bereit sind. Darüber hinaus muss man wissen, am 10. und 11. Mai führte Wang Yi, Direktor des Büros der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, Gespräche mit dem nationalen Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan, in Wien, wo die beiden Seiten mehr als zehn Stunden lang mehrere Gesprächsrunden über die Beziehungen zwischen China und den USA, die Taiwan-Frage, die Lage im asiatisch-pazifischen Raum und die Ukraine-Krise führten. Bemerkenswert ist, dass Ton und Wortlaut der Veröffentlichung des Weißen Hauses denen der chinesischen Seite ähneln, was darauf hindeutet, dass die offizielle Bewertung der Bedeutung der Gespräche durch beide Seiten relativ nahe beieinander liegt, was den positiven Signalen der Gespräche weiteren Auftrieb verleihen könnte. Die entscheidende Frage wird dabei sein, ob die Supermächte es vermeiden können, die Entwicklung und die Absichten des jeweils anderen falsch zu deuten und so leichtfertig in einen Konflikt zu stolpern.
In der Serie Auf dem langen Marsch. Chinas Aufstieg
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Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Wirtschaftlich erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
- 11.05.2023: Auf einer neuen Ebene
- 12.05.2023: Gleiche Anteile, gleiche Rechte
- 13.05.2023: Beijing ist gewappnet
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