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Aus: Ausgabe vom 04.05.2023, Seite 6 / Ausland
Koloniales Erbe Frankreichs

Signal für Referendum

Französisch-Polynesien: Partei der Unabhängigkeitsbefürworter gewinnt klare Mehrheit
Von Thomas Berger
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Führte die Linke zurück in die Regierung: Expräsident Oscar Temaru (26.12.2006)

Es ist ein Paukenschlag. Oscar Temaru (78) hatte bereits von 2004 bis 2013 insgesamt fünfmal, jeweils mit Unterbrechungen, die Regionalregierung von Französisch-Polynesien angeführt. Mit seiner Partei Tavini Huira’atira (»Dem Volk dienen«), die die Unabhängigkeit des französischen Überseeterritoriums anstrebt und von der linken La France insoumise und von Jean-Luc Mélenchon persönlich unterstützt wird, kann er nun, zwanzig Jahre später, zum sechsten Mal eine Regierung bilden. Auch wenn er selbst auf den Posten des Regierungschefs verzichtet.

Tavini Huira’atira gewann am vergangenen Sonntag mit 44,3 Prozent die zweite Runde der Wahlen. Damit wird sie im 57köpfigen Inselparlament mit 38 Abgeordneten die Mehrheit stellen. Man erwartet, dass Moetai Charles Brotherson (53) zum neuen Regierungschef gekürt wird. Seit 2017 hat er seine Heimat in der französischen Nationalversammlung vertreten. Seitdem steht der ausgebildete IT-Fachmann auch an der Seite Temarus als Vizechef der 1977 gegründeten Tavini Huira’atira. Der amtierende Präsident Edouard Fritch wird Mitte Mai den Platz räumen müssen, er erreichte im Bündnis seiner Tapura Huira’atira (»Liste des Volks«) mit einer kleinen Oppositionspartei 38,5 Prozent der Stimmen und damit 15 Sitze. Im Gegensatz zur linken Tavini Huira’atira tritt die rechtsliberale Tapura Huira’atira nicht für die Unabhängigkeit der Insel ein, sondern lediglich für deren Autonomie. Wie auch die rechtskonservative A here ia Porinetia (»Ich liebe Polynesien«), die 17,2 Prozent und drei Sitze erlangte.

Die Regierung Fritch hat für zahlreiche Fehlentscheidungen die Quittung erhalten. Zugleich ist in der Niederlage mehr als nur ein Denkzettel für eine abgewirtschaftete Kabinettsriege zu sehen. Er bedeute einen ersten Schritt zu einem Referendum über die Unabhängigkeit der Collectivité d’outre-mer, titelte die französische Tageszeitung Le Monde. Mit dem kommenden Präsidenten Brotherson steht zudem ein Generationswechsel an der Spitze bevor, und er hat bereits angekündigt, mehr Frauen ins Kabinett zu berufen.

Fünf Inselgruppen mit einer Gesamtfläche von 3.500 Quadratkilometern in den Weiten des südlichen Pazifiks machen das halbautonome Überseegebiet aus. Von den 121 Inseln und Atollen Französisch-Polynesiens sind 75 bewohnt, die Einwohnerzahl liegt dem letzten Zensus zufolge bei knapp 280.000 – rund ein Zehntel lebt in der auf Tahiti gelegenen Hauptstadt Papeete. Etwa zwei Drittel der Bevölkerung sind Nachfahren polynesischer Ureinwohner. Allerdings wurden laut den jüngsten Zahlen 89 Prozent aller heutigen Einwohner auf den Inseln geboren, der Anteil ist mit jedem Zensus der vergangenen Jahre leicht gestiegen. Etwa acht Prozent wurden im französischen Kernland geboren, weitere 1,2 Prozent stammen aus anderen Außengebieten der ehemaligen Kolonialmacht. Dennoch wird Tahitianisch als wichtigste lokale Verkehrssprache nur noch von etwa 20 Prozent der Einwohner genutzt, während Französisch von 74 Prozent als Verkehrssprache benutzt wird. Noch geringer sind die Werte für einheimische Sprachen der anderen Inselgruppen.

Französisch-Polynesien gehört zu den letzten Relikten des einst weltumspannenden französischen Imperiums und steht seit 2013 auf der Dekolonisierungsliste der Vereinten Nationen. Bisher hat sich Paris aber den Bemühungen um eine Volksabstimmung konsequent verweigert. Auch jetzt steht ein Referendum nicht unmittelbar bevor. Im Wahlkampf hatten sowohl Fritch als auch Expräsident Gaston Flosse, viele Jahre Temarus wichtigster innenpolitischer Gegenspieler, im Falle eines Siegs von Tavini Huira’atira Chaos prognostiziert. Für Runde zwei waren die beiden eigentlich zerstrittenen Konservativen extra ein Bündnis eingegangen. Ganz aus heiterem Himmel kommt das gute Abschneiden der Unabhängigkeitsbefürworter aber nicht. Bereits im vergangenen Jahr waren alle drei Sitze Französisch-Polynesiens in der Nationalversammlung an Tavini gegangen.

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