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Aus: Ausgabe vom 08.05.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Niedergang der Linkspartei

Kein Bündnis mit dem Hauptfeind

Hannover: Linke Zusammenschlüsse der Linkspartei streben Vernetzung und gemeinsames Auftreten an. Keine Entscheidung über Parteineugründung
Von Nico Popp, Hannover
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Besser vernetzen! Ralf Krämer, 2022 aus der Linken ausgetretener Gewerkschaftssekretär, während seines Referats

Es kann sein, dass ein etwas in die Jahre gekommenes Stadtteilzentrum am östlichen Rand von Hannover in einer womöglich demnächst fälligen Chronik des Auseinanderbrechens der Partei Die Linke einen wichtigen Platz einnehmen wird. Am Sonnabend haben sich hier die Vertreter einer linken Opposition, die die Linie des aktuellen Parteivorstandes grundsätzlich ablehnt, zusammengesetzt. Zur Konferenz »Was tun?! Die Linke in Zeiten des Krieges« eingeladen hatten die Sozialistische Linke als bundesweite Strömung und oppositionelle Zusammenschlüsse aus Niedersachsen, Bremen, Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Sachsen.

Parteifrage bleibt offen

Etwa 250 Menschen sind gekommen – »aus allen 16 Bundesländern«, wie die Organisatoren versichern. In der Hauptsache geht es an diesem Tag um die Frage, ob die Partei, in der einige hier seit Jahrzehnten aktiv sind, noch zu retten ist – ob es sich also noch lohnt, in dieser Partei für die eigenen Positionen zu kämpfen, oder ob die noch verbliebene Kraft sinnvoller eingesetzt ist, wenn man etwas »Neues« aufbaut. Besser vernetzen will man sich auf jeden Fall, und am Ende ist das auch das wesentliche Ergebnis dieses Tages: Ein »Was-tun-Netzwerk« soll entstehen. Dass man »alle enttäuschen« müsse, die angenommen haben, »dass hier und heute eine Klärung in Richtung einer neuen Partei« stattfindet, hat die Moderation gleich am Anfang signalisiert.

Das »Neue« jedoch, das ist jedem Teilnehmer klar, ist eng an die halböffentlichen Überlegungen der Bundestagsabgeordneten Sahra Wagenknecht gekoppelt, mit der Linkspartei zu brechen. Allerdings zeigt sich an diesem Tag auch, dass der alleinige Fokus auf Wagenknecht, der für viele Medien und den liberalen rechten Flügel der Partei kennzeichnend ist, den allermeisten Genossinnen und Genossen hier fremd ist. Wagenknecht wendet sich nach der Mittagspause mit einem aufgezeichneten Grußwort an die Teilnehmer, die das mit Beifall aufnehmen. Aber es wäre irreführend, würde man behaupten, bei der Debatte am Sonnabend seien lediglich Wagenknechts bekannte Positionen repetiert worden.

Fast durchweg spürbar ist das Bemühen, sich einen eigenen Reim darauf zu machen, wie die Partei in diese Existenzkrise geraten ist. Auch Selbstkritik wird am Saalmikrofon angemahnt: Was hat man in all den Jahren falsch gemacht? Darüber sei noch gar nicht gründlich nachgedacht worden, und das sei »enttäuschend«. Ein Genosse aus Baden-Württemberg sagt, man sei dabei, sich mit der Parteigeschichte zu beschäftigen, um die Frage besser beantworten zu können. Andere stellen die Frage, wie man eigentlich verhindern wolle, dass eine eventuell entstehende neue Partei in zehn Jahren wieder an diesem Punkt ist.

Illusionen über die Lage der Linkspartei hat von denen, die sich am Sonnabend zu Wort melden, niemand mehr. Die Partei – oder das, wofür der Parteivorstand inhaltlich steht – wird mal als »systemkonforme Opposition« beschrieben, mal als »linksliberaler Flügel des herrschenden Blocks«, mal als Kraft, die die Friedensbewegung bewusst behindert und spaltet. Benannt werden auch immer wieder Erscheinungsformen der Organisationskrise: Austritte in Größenordnungen nach allen Richtungen; Genossen, die angesichts der politischen Verödung der Partei resignieren und inaktiv werden; Kreisvorstände, »die nur noch aus Studenten bestehen«. Eine Rednerin sagt, es kämen Leute in Vorstände, die »erst vor sechs Wochen« in die Partei eingetreten sind.

Niederlage der Linken

Viele Redebeiträge konstatieren direkt und indirekt die Niederlage des linken Parteiflügels. Das alte Mantra bei Versammlungen der verschiedenen linken Zusammenschlüsse – dass nämlich die Fraktionen und Vorstände das Problem seien, »die Basis« den Anpassungskurs aber mehrheitlich ablehne – ist am Sonnabend kaum noch zu hören. Ein Teilnehmer stellt fest, die Sozialistische Linke erreiche mit ihren Bündnispartnern vielleicht noch 25 Prozent der Parteimitglieder. Die Partei habe sich »in ihrer Zusammensetzung völlig verändert«, sagt ein anderer. Dazu passt, dass einige Teilnehmer ihre Stellungnahmen mit der Erklärung beginnen, sie seien inzwischen ausgetreten.

Aber es gibt auch die, die meinen, dass man den Rechten in der Partei diesen Gefallen nicht tun sollte. Wolfgang Abendroth wird zitiert: Ein Sozialist lasse sich rausschmeißen, aber gehe nicht einfach so. Konsens besteht freilich darüber, dass sich der linke Flügel endlich besser abstimmen und organisieren muss (und es sei, sagt ein Teilnehmer am Rande gegenüber jW, sehr bedauerlich, dass wichtige Zusammenschlüsse wie etwa die Kommunistische Plattform – die nicht mit zu der Konferenz eingeladen hat – sich in dieser entscheidenden Frage so auffällig zurückhalten).

Während allerdings nicht wenige gänzlich mit der Partei abgeschlossen haben und davor warnen, dass sich das Zeitfenster, in dem es möglich ist, einen Neuanfang mit Aussicht auf Erfolg anzugehen, irgendwann schließen wird, wollen andere noch einen Fraktionskampf in der Partei führen und die offene Auseinandersetzung mit den »Karrieristen im Parteivorstand« suchen.

In der Abschlusserklärung wird noch einmal festgestellt, dass »der Parteivorstand, große Teile des Parteiapparates, auch Teile der Bundestagsfraktion« in wesentlichen Fragen »eklatant« versagen. Grundlegende friedenspolitische Positionen des Erfurter Programms würden nach und nach aufgegeben, immer weniger werde die Partei »als eine glaubwürdige Alternative zu Kapitalismus und Imperialismus wahrgenommen«. Aber hier wird noch die Möglichkeit offengelassen, dass »die Partei zu grundlegenden Aussagen ihres Erfurter Programms zurückfindet«.

Neben den Wortmeldungen der Teilnehmer, denen breiter Raum gegeben wurde, gab es am Sonnabend auch einige gesetzte Redebeiträge. Artur Pech, Mitglied des Ältestenrates von Die Linke und im Brandenburger Karl-Liebknecht-Kreis aktiv, wies den Vorwurf zurück, »wir würden die Partei spalten«. Man verteidige eine Partei, »die den sozialistischen Traditionen der Arbeiterbewegung verpflichtet ist«, und leiste Widerstand gegen eine Politik, die das »Gedenken an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg missbraucht«.

Neue Imperialismuskritiker

Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen stellte fest, dass der Krieg in der Ukraine die von führenden Leuten betriebene »Verwandlung« der Partei die Linke »von einer Friedens- in eine Kriegspartei« beschleunigt habe. Die Partei vollziehe im »Zeitraffer« die Entwicklung der SPD und der Grünen »hin zu einer Akzeptanz und Einforderung einer militarisierten deutschen Außenpolitik«. Und wie bei den Grünen sei zu beobachten, dass man sich »in der Tradition von Konvertiten« an die Spitze zu setzen versuche. Diese Linke suche das »Bündnis mit dem Hauptfeind, der im eigenen Land steht«. Einige seien bereit, beim Anpassen ein »Überangebot« zu liefern: Bodo Ramelow rede mit seiner Interviewäußerung, Putin habe vollzogen, was Hitler nicht geschafft habe, »einem Geschichtsrevisionismus das Wort, gegen den selbst Ernst Nolte als Waisenknabe« dastehe. Die Leute, die einem jahrelang erklärt hätten, der Imperialismusbegriff sei überholt, entdeckten ihn wieder als »russischen Imperialismus« im »Fahrwasser von Olaf Scholz«. Wer wie die Führung der Linkspartei den Wirtschaftskrieg »an der Seite des US-Imperialismus« mittrage, mache sich mit Blick auf die eigenen sozialen Forderungen völlig unglaubwürdig und werde von der Arbeiterklasse »als Teil des Problems wahrgenommen«.

Dagdelens Schlussfolgerung, es brauche eine Kraft, die kein Bündnis mit dem Hauptfeind eingehe, sorgte prompt für Aufregung. Ihr Satz, »unsere historische Verantwortung« sei es, »einer Partei, die zur Kriegspartei mutiert, nicht auch noch Legitimität zu verleihen«, wurde von einer Kollegin des ND bei Twitter angeführt und so gedeutet, als habe die Abgeordnete damit »sehr deutlich« die »Abspaltung« von Die Linke gefordert. Dagdelen meldete sich noch mal zu Wort und verbat sich unter Beifall von der Bühne herunter solche »Fake News«. Einige Teilnehmer empörte die Interpretation sichtlich, man betreibe hier mit Vorsatz die »Abspaltung«: Kein Mensch zweifelte bei der Konferenz am Sonnabend daran, dass die »Spalter« im Parteivorstand und in dessen Umfeld sitzen.

Wagenknechts Grußwort fiel im Vergleich – gewiss zur Enttäuschung vieler externer Beobachter – eher unspektakulär aus. Die Linke habe sich einst aus der Ablehnung der Schleifung des Sozialstaates durch eine »rot-grüne« Regierung, die auch Kriege führte, gegründet. Nun regierten wieder SPD und Grüne, und Teile der Linkspartei stimmten »ein in den Chor jener, die Waffen für die Ukraine und Sanktionen gegen Russland fordern«. Das sei mit dem Programm nicht vereinbar. Was aber mehr spalte als alles andere, sei, dass führende Leute der Partei Stichworte lieferten für »Schmutzkampagnen«. Sie fürchte, dass Appelle, sich doch auf Gemeinsamkeiten zu besinnen, den Niedergang nicht aufhalten. Davon allerdings musste sie am Sonnabend keinen ihrer Zuhörer mehr überzeugen.

Dokumentiert: Abschlusserklärung der Konferenz

Der Krieg in der Ukraine und der weltweite Wirtschaftskrieg wird durch die Regierenden immer weiter eskaliert, die Welt kommt einer globalen Katastrophe immer näher. Der Kampf gegen den Klimawandel, der nur gemeinsam gewonnen werden kann, bleibt auf der Strecke. Armut und Ausbeutung nehmen zu, statt dass die Menschen sie überwinden und denen die Macht entreißen, die davon profitieren.

Wir sind solidarisch mit den Menschen, die unter Krieg und Unterdrückung leiden, mit den Arbeitenden weltweit. Aber wir müssen dort für eine andere Politik kämpfen, wo wir zu Hause sind und am meisten bewirken können. Dieses Land braucht eine politische Kraft, die klar und deutlich für Frieden und internationale Zusammenarbeit, für soziale Sicherheit und Gerechtigkeit, für ein gutes und naturverträgliches Leben für alle und für mehr Freiheit und Demokratie in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft eintritt. Eine Kraft, die den Kapitalismus überwinden und eine selbstbestimmte Entwicklung für alle Völker ermöglichen will. Eine Kraft, die die gemeinsamen Interessen der arbeitenden Klassen in den Mittelpunkt stellt, die sozial und friedlich Gesinnte sammelt, der alle Menschen gleich viel wert sind und die gemeinsam für diese Ziele kämpft.

Doch der Parteivorstand, große Teile des Parteiapparates, auch Teile der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke, versagen in diesen Fragen eklatant. (…)

Wir sind solidarisch mit allen Menschen, die sich in Tarifauseinandersetzungen und anderen Arbeitskämpfen, in Bewegungen für Frieden und Klimaschutz und für mehr Demokratie engagieren. Es ist die Aufgabe von Linken, solche Kämpfe mit eigenen Positionen zu unterstützen.

Wir organisieren uns im Was-tun-Netzwerk, um in diesem Sinne zu wirken. Wir sind aktiv in außerparlamentarischen Bewegungen, in den Gewerkschaften, in Friedensgruppen oder Umweltinitiativen (…). Wir fordern gleiche Rechte für alle Menschen, die hier leben.

Die Partei Die Linke kann in diesen Kämpfen eine Rolle spielen, wenn sie zu grundlegenden Aussagen ihres Erfurter Programms zurückfindet. Dafür setzen sich viele von uns in den Gliederungen und in den Landesverbänden, auch mit Blick auf die bevorstehenden Regionalkonferenzen und den nächsten Bundesparteitag, ein. (…) Gleichzeitig zwingt uns die Situation aber dazu, auch darüber zu sprechen, welche Chancen es noch gibt, Die Linke wieder auf einen antikapitalistischen und friedenspolitischen Kurs zu drehen und daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Debatte werden wir fortsetzen.

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  • Leserbrief von René Osselmann aus Magdeburg (9. Mai 2023 um 11:53 Uhr)
    Der Feind steht nicht selten im eigenen Land, das ist doch bekannt, doch manchmal spielen uns eigene Parteimitglieder an die Wand! Hier möchte ich nicht von Genossinnen und Genossen sprechen. Die Linke befindet sich, wenn sie sich nicht auf ihre Ursprünge besinnt, an einem Abgrund und ich frage mich da, ist da noch Land in Sicht? Wer in einem kapitalistischen System als Linke die Lieder des Kapitalismus singt, der sollte sich nicht wundern, wenn er daran selbst auch ertrinkt! Wer meint sich schick zu machen für eine Bundesregierungsbeteiligung, seine Friedenspolitik aufzuweichen, der landet als Bettvorleger des Kapitalismus. Aber jeder ist seines Glückes Schmied und das kann schnell zum Eigentor werden, bis hin zum Ende dieser Partei, ich glaube aber diverse Genossinnen und Genossen würden dieses gerne in Kauf nehmen!
  • Leserbrief von Norbert S. aus München (8. Mai 2023 um 06:26 Uhr)
    Hört sich für mich sehr gut an. Bis auf die Stimmen, die ein »Weiter so« befürworten. Zwar verständlich, denn niemand verliert gerne, gibt eine Niederlage gerne zu und will hart erarbeitete Positionen kampflos wieder hergeben. Doch letzteres ist ja aber auch gar nicht nötig. Eine temporäre Schlappe einzusehen ist auch keine Schande, zumal angesichts des übermächtigen Feindes: Seit Marx und Ko. ist das Kapital ja nicht weniger mächtig geworden, sondern hat im Gegenteil seine Möglichkeiten der materiellen und psychomanipulativen Kriegführung gegen seine Gegner und Opfer sogar vervielfacht. Trotzdem ist ein allgemeiner Ausschluss eines strategischen Rückzuges von vornherein und das ewige Weiterführen einer bereits lange verlorenen Schlacht mit den gleichen Mitteln und schwindenden Kräften doch ziemlich kontraproduktiv und dumm. Klar stinkt diese Partei in zunehmendem Maße vom Kopfe/von vielen ihrer Spitzenvertreter her. Die Spaltung wurde bereits vor Jahren vollendet und genau von denen betrieben, die jetzt in einer grotesken Monty-Python-Analogie »Spalter! Spalter!« schreien. Auf eine ziemlich bauernschlaue, aber auch seit über 100 Jahren bekannte Art, die es ermöglicht, sich genau vom bereits toten Parteikadaver weiter zu nähren und die Verwesung der linken Kräfte im Kapitalinteresse weiter voranzutreiben. Die Verluste an der Parteibasis und im Vertrauen in der Bevölkerung sind entsprechend folgerichtig und positiv zu bewerten. Oder frei nach Lenin: Sozialchauvinisten sind Klassengegner, die Bourgeois innerhalb der Arbeiterbewegung, die die mit besseren Löhnen, Ehrenämtern usw. ausgestatteten Schichten, Zwischenschichten und Gruppen der Arbeiterschaft repräsentieren und der Bourgeoisie behilflich sind, kleine und schwache Völker auszuplündern und zu unterdrücken. (Speziell bzgl. (Ukraine-) Krieg siehe auch: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1915/krieg/kap1.htm) Mit solchen Leuten kann niemand zusammenarbeiten und positive Ergebnisse erwarten.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (7. Mai 2023 um 22:08 Uhr)
    Wahrscheinlich sollte man gerade jetzt, wo jeder in der Welt so verzagt und ratlos ist, so mutlos angesichts von Krieg und Zeitenwende, von Corona, Klimakrise und Demokratieverdrossenheit, nicht nur darüber nachdenken, woran unsere Gesellschaft leidet. Sondern wagen, sich vorzustellen, dass sie auch ganz anders aussehen könnte. Also die Systemfrage stellen und für den Frieden kämpfen! Alles andere ist nur Gequatsche!

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