Eigentor für Washington
Von Jörg Kronauer
Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Ökonomisch erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
Jörg Kronauer beleuchtet in der zwölfteiligen jW-Serie anhand zentraler Aspekte die Konsequenzen, die sich aus dem Aufstieg der Volksrepublik für die internationalen Beziehungen ergeben. (jW)
Es begann mit einem Irrtum. »Handelskriege sind gut und leicht zu gewinnen«, twitterte US-Präsident Donald Trump am 2. März 2018 triumphierend, als er gerade den Wirtschaftskrieg gegen China eröffnet hatte. Sein erster Schritt bestand darin, Strafzölle auf den Import einer rasch zunehmenden Zahl an Produkten aus der Volksrepublik zu verhängen. Das Ziel: US-Unternehmen, die bislang in China eingekauft hatten, sollten veranlasst werden, das künftig woanders zu tun, am besten in den Vereinigten Staaten. Trump ging es darum, die ökonomische Abhängigkeit von China zu verringern, um im Machtkampf gegen Beijing sowenig Rücksichten nehmen zu müssen wie möglich. Dumm nur: Der Plan ging nicht auf. Im Jahr 2022 glich der Wert der US-Importe aus der Volksrepublik ziemlich genau demjenigen aus dem Jahr 2018. Zahlreiche Studien zeigten zudem, dass die Zeche bei den Strafzöllen nicht etwa China, sondern die USA zahlten: Preise stiegen, Jobs gingen verloren, US-Unternehmen berappten die Strafzölle aus ihren Forschungsetats.
Trumps nächster Schritt bestand darin, Sanktionen zu verhängen. Erstes und bekanntestes Beispiel ist Huawei. Die Idee dahinter war simpel. Dass Chinas Wirtschaftsleistung immer stärker wuchs, war an sich noch keine Bedrohung für die US-Dominanz: Ein Land, das – zugespitzt formuliert – nur Plastikspielzeug und Textilien produziert, wird keine Weltmacht. Ein Land, das ökonomisch Gewicht hat, das aber zugleich auch Spitzentechnologie herstellen kann, dessen Unternehmen erfolgreich Vorstöße auf dem Feld der künstlichen Intelligenz durchführen oder – wie Huawei – Weltmarktführer bei Installation und Nutzung des 5G-Mobilfunkstandards sind, ein solches Land hat in der Tat das Zeug, der globalen Vorherrschaft der Vereinigten Staaten gefährlich zu werden. Trump und sein Nachfolger Joseph Biden haben deshalb immer mehr Sanktionen gegen Techfirmen verhängt, zuletzt auch auf die Lieferung von Hochleistungschips, die man für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz braucht, und auf die Lieferung von Maschinen zur Chipproduktion nach China. Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jacob Sullivan hat dazu im September 2022 erklärt, Washington müsse technologisch »eine weitestmögliche Führung« behalten.
Nicht wenige in den USA plädieren für ein »Decoupling«, eine umfassende Entkopplung des Westens von China auf allen wichtigen Feldern modernster Technologie. Dagegen aber sperrt sich bislang nicht zuletzt die Bundesrepublik. Ihr Problem: Einige ihrer stärksten Branchen sind existenziell auf ihr China-Geschäft angewiesen. Die großen Autokonzerne etwa: Sie setzen ein Drittel ihrer Neuwagen oder gar mehr in der Volksrepublik ab; zudem kommen sie, da China inzwischen als globaler Leitmarkt in Sachen Elektromobilität gilt, nicht mehr um die Verlegung wichtiger Forschungs- und Entwicklungskapazitäten dorthin herum. Wären sie genötigt, im Zuge eines umfassenden Decouplings ihre Beziehungen zu China drastisch zu reduzieren oder sogar zu kappen, sie wären nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ernste Probleme hätten beispielsweise auch der Maschinenbau oder die Chemieindustrie. Das ist der Grund, weshalb Berlin und die EU mit Blick auf China die Trias »Partner, Wettbewerber, strategischer Rivale« propagieren: So hart die politische Rivalität, so heftig der ökonomische Wettbewerb gegen die chinesische Konkurrenz auch geführt werden mögen – der Raum für eine gewisse Wirtschaftskooperation soll doch bleiben.
Ob und, wenn ja, wie sich diese widersprüchliche Trias auf Dauer vereinen lässt, ist eine offene Frage. Das übrigens auch, weil China dem westlichen Sanktionstreiben wohl nicht auf Dauer tatenlos zusehen wird. Lange hat Beijing vor allem darauf gesetzt, die eigene Hightechindustrie zu stärken. Im April hat man allerdings durchsickern lassen, dass man Strafmaßnahmen gegen den US-Halbleiterkonzern Micron oder auch ein Embargo bei Technologien erwägt, die zur Verarbeitung seltener Erden und anderer Energiewendemetalle benötigt werden. Die Volksrepublik beginnt sich im Wirtschaftskrieg, den der Westen gegen sie entfesselt hat, aktiv zu verteidigen.
Teil fünf: »China in Lateinamerika«
Teil sieben: »Beijings Militärdoktrin«
der zwölfteiligen China-Serie von Jörg Kronauer
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In der Serie Auf dem langen Marsch. Chinas Aufstieg
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Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Wirtschaftlich erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
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