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Aus: Ausgabe vom 27.04.2023, Seite 11 / Feuilleton
Nachruf

Der Jahrhundertkünstler

Entertainer und Aktivist: Zum Leben Harry Belafontes, der am Dienstag verstarb
Von Gerd Schumann
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Harry Belafonte am 10. Oktober 1981 bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten

Als einen der größten Entertainer des Jahrhunderts ordnete ihn die Süddeutsche Zeitung ein. Das sei »viel weniger als die halbe Wahrheit«, schrieb die junge Welt im März 2012, Harry Belafonte sei mehr. Er hatte gerade in der Volksbühne seine Autobiographie »My Song« vorgestellt und nahm auch an der deutschen Uraufführung des Dokumentarfilms über sein Leben »Sing your Song« von Susanne Rostock im ehemaligen DDR-Premierenkino »International« an der Karl-Marx-Allee teil. Beide Orte, Kultstätten im Osten Berlins, waren nicht zufällig gewählt.

Harold George Bellanfanti jr. wurde am 1. März 1927 als Kind illegal in Harlem, New York, lebender schwarzer Immigranten geboren, der Vater, ein Seemann aus Martinique, ließ die Familie sitzen. Die Mutter, eine Jamaikanerin, sorgte dafür, dass er trotz aller Ghettoarmut die Highschool besuchen konnte. Er diente im Kampf gegen Hitlerdeutschland in der Navy, sah nach dem Krieg im Theater Paul Robeson (1898–1976), den großen schwarzen Sänger und Schauspieler, der schließlich als Kommunist auf der McCarthy-Verfolgungsliste landete. Belafonte selbst legte großen Wert auf die Feststellung, dass er zuerst politischer Aktivist war und dann erst »Actor« wurde, gemeinsam mit dem zweiten schwarzen Superstar der 60er, Sidney Poitier (1927–2022), »darbende Schauspieler in Harlem«.

Beide riskierten allerhand in ihrem Kampf gegen das US-Apartheidsystem der fünfziger und sechziger Jahre – in Greenwood, Mississippi, hätte sie fast der Ku-Klux-Klan geschnappt. Prominente Boten der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die die »Macht der Kunst entdeckt« hatten, unterstützt von vielen weißen Kollegen, Belafonte nennt Marlon Brando zuvorderst, auch Walter Matthau, Paul Newman, Tony Curtis, Rod Steiger – allesamt Schüler von Erwin Piscator von der Volksbühne, der vor den Nazis fliehen musste.

1953 spielte er dann in seinem ersten Hollywood-Film »Bright Road« (Regie: Gerald Meyer), im Jahr darauf »Carmen Jones« (Regie: Otto Preminger), 1956 schließlich verdrängte er als »King of Calypso«, wie ihn seine Plattenfirma RCA nannte, den anderen »King«. Dessen Debütalbum »Elvis Presley« musste Belafontes sanft anmutenden, doch vom harten Arbeitsalltag der Schwarzen in der Karibik handelnden Klängen weichen – ein vielfach als symbolisch verstandener Akt: An die Stelle des weißen Rockers, der sich den tiefschwarzen Rhythm ’n’ Blues als Rock ’n’ Roll gesellschaftskompatibel macht, tritt erstmals das andere, von Rassismus und Unterdrückung gezeichnete Amerika.

Als Singleauskopplung erreichte der »Banana Boat Song« weltweit Kultstatus, ein Worksong, »Schrei aus dem Herzen armer Arbeiter«, aufgeführt im Wechselgesang. Er kam aus einer Ecke der Welt, in der die Schwarzen früher Sklaven gewesen waren, Trinidad, Martinique, Jamaica. »Bananen stauen, bis der Morgen kommt«, klagt der Sänger, sehnt den Tag herbei, »Day-O«, und die Crew antwortet: »Das Tageslicht naht, und wir wollen nach Haus.« Als Kind war Belafonte auf einem Bananendampfer der United Fruit Company nach Jamaika gefahren, wo er einige Jahre mit Mutter und seinen Brüdern verbrachte. »Ich wusste, wovon ich sang.«

1957 spielte Belafonte mit James Mason in »Island in the Sun« (dt: »Heiße Erde«, Regie: Robert Rossen). Der gleichnamige Titelsong, von ihm gesungen, stürmte die Charts. Von seinem Gesamtwerk wurden bis heute 150 Millionen Platten verkauft. Von einer anderen, der bisher einzigen sozialistischen Inselrepublik in der Karibik, berichtet Belafonte in seiner Autobiographie, wie er Fidel Castro 1974 erstmals begegnete. Der »Beginn einer langen Freundschaft« sei das gewesen. 2009 lud ihn der Kubaner zu sich nach Hause ein, Belafonte drehte einen Film »über mein Leben in der Bürgerrechtsbewegung«. Und das ist strikt jener Gewaltlosigkeit verbunden, die er seit seiner Begegnung mit Martin Luther King (1929–1968) vertritt.

Was für eine Erscheinung, geschmeidiger Gang, elegant, selbstsicher, freundlich – so erlebte ich ihn in Düsseldorf Ende der Siebziger. Damals trat er vor 7.000 oder 8.000 Menschen in der Philipshalle auf, ein begeisterndes Konzert für »Lehrlinge und Schüler« zum Sondertarif, fünf oder zehn Mark, weiß nicht mehr, jedenfalls wenig Geld. Belafonte machte und machte und blieb Optimist. Ohne Hoffnung sei alles nichts, meinte er, und sang gegen den Krieg. Wie einst gegen den in Vietnam, nun gegen die Bedrohung durch neuartige Mittelstreckenraketen auf der größten BRD-Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten vor 400.000, bei »Künstler für den Frieden« in der Dortmunder Westfalenhalle, im »Palast der Republik«, aus dem das DDR-Fernsehen live übertrug. Die Philipshalle heißt inzwischen Mitsubishi-Electric-Halle, der Palast im Osten Berlins wurde abgerissen.

Belafonte ging seinen mühsamen Weg weiter trotz aller »Zeitenwenden«: das Künstlerprojekt »We are the world« – kulturelle Solidarität mit Hungernden in Afrika. Als er sich vor einigen Jahren in Berlin als UNICEF-Sonderbotschafter mit einer Pressekonferenz zu Wort meldete, schwang so etwas wie Müdigkeit in seiner Stimme mit. Die persönlichen Bemühungen bei Staatsmännern in den reichen Ländern: Freundlich empfangen, doch letztlich ohne handfeste Ergebnisse gegangen.

»Black lives matter«? »Day-O« – der Morgen naht? Wir wissen inzwischen nicht mehr, ob das auch stimmt. Was auf alle Fälle stimmt, sind die Worte von Harrys »Millie«, wie er seine wunderbare Mutter Melvine Love nannte, ist deren ewiggültige Weisheit, die sie ihm als Fünfjährigen vermittelte: »Wenn du mal groß bist, denk daran: Leg dich abends niemals schlafen, wenn du es tagsüber unterlassen hast, dich gegen eine Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen.« Dies sei der Augenblick gewesen, »der sich mir dauerhafter und folgenschwerer eingeprägt hat als jeder andere«. Seine Autobiographie hat er »Millie« gewidmet, sein Leben ihrer Erkenntnis.

Harry Belafonte starb am Dienstag im Alter von 96 Jahren.

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