Sozialdemokraten entscheiden über Zukunft
Von Gabriel Kuhn
Österreich wird in den kommenden Wochen zum Testlabor für die Zukunft der europäischen Sozialdemokratie. In einem Land, das in den 1920er Jahren mit dem Roten Wien unter austromarxistischer Führung zu einem Modell für sozialdemokratische Politik wurde, soll eine Mitgliederbefragung über den zukünftigen Kurs der SPÖ bestimmen. Die Befragung beginnt an diesem Montag und endet am 10. Mai. Bei einem Sonderparteitag am 3. Juni sollen die Konsequenzen aus dem Ergebnis gezogen werden. Abgestimmt wird über den geeignetsten Kandidaten für Parteivorsitz und Spitzenkandidatur bei den nächsten Nationalratswahlen. Zur Auswahl stehen drei Politiker, die die Hauptströmungen der um ihre Zukunft ringenden Sozialdemokratie personifizieren.
Pamela Rendi-Wagner, die derzeitige Parteivorsitzende, ist die Kandidatin des sozialdemokratischen Establishments. Sie wurde 2018 vom scheidenden Parteivorsitzenden Christian Kern als Nachfolgerin eingesetzt, die erste Frau an der Spitze der SPÖ in deren 130jährigen Geschichte. Kern war als Spitzenmanager Vertreter des sogenannten Nadelstreifsozialismus, der die SPÖ seit den 1980er Jahren prägt, als vermehrt Persönlichkeiten aus Industrie und Finanzwesen Führungsrollen übernahmen. Rendi-Wagner stammt aus Wien, ist Ärztin, sympathisch und in der Bevölkerung extrem unbeliebt. Bei den Nationalratswahlen 2019 sackte die SPÖ mit ihr als Spitzenkandidatin auf 21,2 Prozent ab, das schlechteste Ergebnis in der Geschichte der Partei. Rendi-Wagner blieb trotzdem Parteivorsitzende und erhielt nun vor der Mitgliederbefragung prominente Unterstützung, die vom Wiener Bürgermeister Michael Ludwig bis zu vier ehemaligen sozialdemokratischen Bundeskanzlern reicht, die sich vor wenigen Tagen mit ihr ablichten ließen.
Hans Peter Doskozil ist Rendi-Wagners erster Herausforderer. Die ständigen Sticheleien gegen Wien und Rendi-Wagner durch den burgenländische Landeshauptmann führten zu der Mitgliederbefragung, um die Diskussionen um den Parteivorsitz ein für allemal zu klären. Doskozil war Landespolizeidirektor im Burgenland, als 2015 besonders viele Flüchtlinge über die ungarische Grenze ins Bundesland kamen. Doskozil profilierte sich daraufhin als Sozialdemokrat, der Migrations- und Sicherheitsfragen nicht der Rechten überlassen wolle. Als er 2019 Landeshauptmann wurde, regierte er zunächst in einer Koalition mit der ultrarechten FPÖ. 2020 erreichte er mit der SPÖ bei den Landtagswahlen im Burgenland die absolute Mehrheit, die Partei regiert seither alleine. Doskozil steht für einen Rechtskurs der Sozialdemokratie, wie er beispielsweise auch in Dänemark zu beobachten ist.
Andreas Babler entschied sich zur Kandidatur, nachdem die Mitgliederbefragung angekündigt worden war. Er ist der linke Gegenpol zu Doskozil, ein gelernter Maschinenschlosser, der im niederösterreichischen Dialekt spricht, gerne St.-Pauli-Leibchen trägt und in mehreren linken SPÖ-Gruppen aktiv war, unter anderem der 2015 gegründeten »Initiative Kompass«. Seit 2014 ist Babler Bürgermeister der niederösterreichischen Kleinstadt Traiskirchen, in der sich die größte Bundesbetreuungsstelle für Asylsuchende und nur eine von zwei Erstaufnahmestellen in Österreich befindet. Babler erlaubt rechten Kräften nicht, Konflikte in den Ort zu tragen, setzt auf eine humanitäre Flüchtlingspolitik und engagiert sich für die sozial Schwachen in Österreich. Als er seine Kandidatur für die Mitgliederbefragung bekanntgab, zogen andere prominente SPÖ-Linke ihre Kandidatur zurück, darunter Nikolaus Kowall, der frühere Vorsitzende des Wiener SPÖ-Rebellenklubs »Sektion 8«.
In den Tagen nach Bekanntgabe der Mitgliederbefragung Mitte März gab es 73 Kandidaturen, nicht alle waren ernst gemeint. Nach einer Sondierung durch die Parteileitung blieben Rendi-Wagner, Doskozil und Babler als Kandidaten übrig. 148.000 Parteimitglieder sind stimmberechtigt, fast 10.000 Menschen waren nach Bekanntgabe der Mitgliederbefragung neu eingetreten. Auf dem Spiel steht viel.
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Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (25. April 2023 um 12:31 Uhr)Wäre ich Sympathisant der (leider) weichgespülten Sozialdemokraten, wäre Babler mein Favorit, aber ich befürchte, dass es der »Rechtsruckler« Doskozil werden wird. Dann wird die SPÖ noch unwählbarer. Für mich bleibt ohnehin nur die Hoffnung auf die KPÖ im Wahlangebot. Alternativ müsste ich bei der kommenden NR-Wahl ins Nichtwähler-Lager wechseln.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (24. April 2023 um 08:54 Uhr)Wäre ja vielleicht etwas für die deutsche Linkspartei.
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