Widerstand gegen Rüge
Von Ricarda Julia und Anna Huber
In einem Interview mit der jungen Welt vom 3. Februar 2023 berichtete Leonie Lieb, Hebamme am Klinikum Neuperlach in München, von ihrem Kampf, den sie gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen und mit Unterstützung eines Solidaritätskomitees seit Monaten gegen die Schließung des dortigen Kreißsaals führt. Daraufhin erhielt sie von seiten der München Klinik GmbH (MüK) eine Abmahnung mit der Begründung, sie habe mit dem Interview gegen eine Dienstanweisung verstoßen. An keiner Stelle spricht Lieb in dem Interview über Interna, die die Klinik im allgemeinen oder den Standort Neuperlach im spezifischen betreffen würden. Vielmehr berichtet sie über die Selbstorganisierung der Beschäftigten, die einige Kolleginnen und Kollegen auch zu einem Beitritt in die Gewerkschaft Verdi bewogen hat.
Hierin scheint der tatsächliche Grund für die Abmahnung zu liegen. Durch das Engagement und den unermüdlichen Kampf für den Erhalt des Kreißsaals in Neuperlach konnte erreicht werden, dass erst 2028 wieder über eine mögliche Zusammenlegung mit dem Standort Harlaching debattiert werden wird. Immer wieder führten die Hebammen dafür Gespräche mit den Stadtratsfraktionen von SPD und Grünen und sammelten über 23.000 Unterschriften mit einer eigens initiierten Petition. Ihr Beispiel machte ordentlich politischen Druck auf den Aufsichtsrat, in dem Politikerinnen und Politiker des Stadtrats sitzen, und damit auch auf die Geschäftsführung der München Klinik. Auch wenn der Kampf noch nicht zu Ende ist, hat die Selbstorganisierung der Kolleginnen Erfolge erzielt, die zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen. So beschließt Leonie auch das Interview in der jungen Welt mit den Worten: »Wir haben einen Teilerfolg, aber unser Ziel ist noch lange nicht erreicht.«
Außerdem sprach Leonie Lieb offen über die gewerkschaftliche Organisierung, die Unternehmen grundsätzlich ein Dorn im Auge ist. Das scheint der Geschäftsführung zu viel des Guten gewesen zu sein. Die Abmahnung gegen Lieb muss daher vor allem als Einschüchterungsversuch verstanden werden. Dass Abmahnungen gegen Kolleginnen und Kollegen eingesetzt werden, die sich selbst organisieren, ist eine bekannte Union-Busting-Taktik. Der Angriff der Geschäftsführung richtet sich nicht nur gegen die Kolleginnen und Kollegen im Kreißsaal, sondern auch gegen gewerkschaftliches Engagement insgesamt. Aus diesem Grund ist es auch vor allem die Gewerkschaft Verdi, in der Lieb sowie einige ihrer Kolleginnen organisiert sind, die nun aktiv gegen die Abmahnung vorgehen und neben rechtlicher Beratung deutlich Stellung beziehen muss.
Das Solidaritätskomitee, das sich zur Unterstützung der Kolleginnen gegründet hat, ist mit einer Unterschriftensammlung, die die Rücknahme der Abmahnung von Lieb fordert, einen ersten Schritt gegangen. Auf der großen Streikkundgebung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in München am 21. März konnte Lieb vor 6.000 Menschen über ihre Abmahnung sprechen. Allein an diesem Tag unterschrieben 380 Personen, unter ihnen viele Verdi-Kolleginnen und -Kollegen, die sich gerade in den Tarifauseinandersetzungen um den TVöD befinden. Mittlerweile wurden über 600 Unterschriften gesammelt, zu den prominenten Unterzeichnerinnen und Unterzeichnern zählen die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi, der Bundestagsabgeordnete Ates Gürpinar von der Partei Die Linke sowie Mitglieder des Münchner Stadtrats.
Im Falle der Abmahnungen gegen Lieb und andere betroffene Beschäftigte geht es nicht um die Unterstellung von Straftaten. Vielmehr versuchen Unternehmen wie die MüK aktiv, die öffentliche Aufmerksamkeit für die Kämpfe der Lohnabhängigen einzuschränken beziehungsweise ganz zu unterbinden. Es handelt sich dabei also auch um einen Angriff auf das im Grundgesetz festgeschriebene Recht auf freie Meinungsäußerung! Die Abmahnung gegen Leonie Lieb muss zurückgenommen werden! Dafür werden auch weiterhin Unterschriften gesammelt.
Die Autorinnen haben den Artikel im Namen des Solidaritätskomitees »Kreißsaal bleibt« verfasst
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