Kemptener Anschlag bleibt unaufgeklärt
Von Henning von Stoltzenberg
Die im Jahr 2020 neu aufgerollten Ermittlungen zu einem tödlichen Brand in Kempten im Allgäu im Jahr 1990 sind wieder eingestellt worden. Es sei kein Täter einer Brandstiftung in dem an türkische Familien vermieteten Haus ermittelbar gewesen, teilte die Generalstaatsanwaltschaft München am Donnerstag mit. Auch die Brandursache habe sich im Zuge der neuen Ermittlungen nicht aufklären lassen. Damals, im November vor 32 Jahren, war ein fünf Jahre alter Junge an den Folgen einer Rauchvergiftung nach dem Feuer gestorben. Viele der 26 Menschen im Gebäude erlitten teils schwere Verletzungen. Kurz nach der Tat war ein Bekennerschreiben einer »Anti-Kanaken-Front Kempten« bekanntgeworden, welches mit Runen und Hakenkreuzen versehen war.
Genau wie bei den vergangenen Ermittlungen konnte nun laut Behörden auch im zweiten Anlauf kein Absender des Briefs ermittelt werden. Die Staatsanwaltschaft Kempten hatte, nachdem Medien über den Anschlag berichtet hatten, die Ermittlungen wieder aufgenommen. In den Berichten wurde ein möglicher Zusammenhang zu anderen Brandstiftungen in den 90er Jahren im Allgäu hergestellt. So hatten am 6. Oktober 1990 drei Neonazis einen Brandanschlag auf eine Arbeitersiedlung in Kaufbeuren verübt. In der Nacht zum 12. Oktober im darauf folgenden Jahr zündeten Unbekannte im Treppenflur eines von türkeistämmigen Menschen bewohnten Hauses Autoreifen an. Sieben Menschen erlitten zum Teil schwere Verletzungen. Nur einen Tag später wurde ein alter Pfarrhof in Immenstadt bei einem rassistisch motivierten Brandanschlag zerstört. Dort waren Geflüchtete untergebracht, von denen zwei sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten konnten, aber dabei schwer verletzten. Auch hier wurden laut Medienberichten drei Neonazis als Brandstifter ermittelt.
Die Generalstaatsanwaltschaft teilte allerdings mit, es seien keine Hinweise auf einen möglichen rechten Hintergrund zu erhärten gewesen. Es hätten sich auch keine Hinweise auf die tatsächliche Existenz einer »Anti-Kanaken-Front Kempten« ergeben. Ebensowenig sei mit der nötigen Gewissheit zu beweisen gewesen, dass in dem Treppenhaus vorsätzlich Brandbeschleuniger verwendet wurde. Die Bewohner des Hauses hätten mit Öl geheizt, vor jeder Wohnung hätten Kanister oder Ölkannen gestanden. Insbesondere aufgrund einer Zeugenaussage komme auch vor dem Hintergrund des Heizöls vor jeder Wohnung eine fahrlässige Brandstiftung in Betracht, die allerdings verjährt sei.
Zweifel an zumindest den ersten Ermittlungen scheinen mehr als angebracht. So berichtete die betroffene Familie S. in mehreren Zeitungsberichten, dass damals vor allem im Umfeld der Familien wegen Brandstiftung ermittelt worden sei, nicht wegen Mordes an ihrem Sohn durch Neonazis. Das antifaschistische Nachrichtenportal Allgäu rechtsaußen hatte nach der Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens darauf hingewiesen, dass zur Tatzeit in der Nähe des Hauses in Kempten ein bekannter Neonazi gewohnt hatte. Er soll aktiv in der 1992 verbotenen Neonazipartei »Nationalistischen Front« gewesen sein. Laut Staatsanwaltschaft wurde er seinerzeit nicht überprüft.
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