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Aus: Ausgabe vom 08.04.2023, Seite 4 / Inland
Linkspartei und Ostermärsche

Diagnose »Putin-Nähe«

Die Linke: Rechter Flügel zieht alle Register, um sich von Ostermarsch- und Friedensbewegung abzusetzen. Andere Genossen halten dagegen
Von Nico Popp
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Ostermarsch in Berlin im vergangenen Jahr (16.4.2022)

Konflikte um mehrere prominente Ostermärsche in verschiedenen Städten zeigen, wie lädiert das Verhältnis zwischen der Linkspartei und der klassischen Friedensbewegung nach einem Jahr Krieg in der Ukraine ist.

Schauplatz einer Posse besonderer Art ist Magdeburg. Dort hat sich der Stadtvorstand von Die Linke vom Ostermarsch der Bürgerinitiative »Offene Heide«, der am Montag in Haldensleben stattfindet, distanziert und die ursprünglich bewilligten 150 Euro Unterstützung zurückgefordert. Der Vorwurf: Eine »starke« beziehungsweise »zu erwartende« »Nähe zu Putin« bei den eingeladenen Rednerinnen und Rednern, die der Stadtvorstand, in dem laut Aussage eines Parteimitglieds gegenüber jW rechte »Antideutsche« den Ton angeben, festgestellt haben will. Eine der Ostermarschrednerinnen ist die Europaabgeordnete Özlem Demirel. Nach Informationen dieser Zeitung haben Mitglieder der Magdeburger Linkspartei nach dem Beschluss des Stadtvorstandes auf eigene Initiative Geld gesammelt. Der Linke-Kreisvorstand Börde unterstützt den Ostermarsch weiterhin.

In Berlin schien die Entwicklung in den vergangenen Tagen auf eine offene Konfrontation hinauszulaufen: Der Linke-Landesverband hatte am 30. März mit der Berliner VVN-BdA kurzfristig eine »Friedenskundgebung« angesetzt, die am Ostersonnabend in unmittelbarer zeitlicher und räumlicher Nähe zum traditionellen Berliner Ostermarsch stattfinden sollte. Diese Kundgebung, von der Parteimitglieder gegenüber jW sagen, dass sie offensichtlich als Alternativ- und Gegenkundgebung neben den Ostermarsch gestellt werden sollte, wurde vom Landesgeschäftsführer am Dienstag abend »aus organisatorischen Gründen« wieder abgesagt. Dafür gibt es nun eine ausdrücklich als Gegenkundgebung deklarierte Veranstaltung aus dem »linken ukrainesolidarischen« Spektrum, das für Waffenlieferungen und gegen Forderungen nach einem Waffenstillstand Stimmung macht. Diese überschaubare Szene wird, wie eine Veranstaltung im Karl-Liebknecht-Haus gezeigt hat, von Teilen der Berliner Linke-Führung offen unterstützt.

Hintergrund dieser Manöver ist, dass sich der Berliner Ostermarsch mit der Öffnung des Organisationsbündnisses für Akteure aus dem diffusen Spektrum der Coronaproteste, das in Teilen personelle und inhaltliche Verbindungen nach weit rechts aufweist, angreifbar gemacht hat. Die Ostermarschorganisatoren betonen zwar, dass es sich bei den Mitstreitern um Einzelpersonen handele, die man überprüft habe. Der Schritt erweist sich – ganz unabhängig von seiner politischen Problematik – gleichwohl als Steilvorlage für die gerade in der Berliner Linkspartei starke Strömung, die mit den klassischen Forderungen und Debatten der Friedensbewegung nichts mehr zu tun haben will und nach Möglichkeiten sucht, um sich von ihr abzusetzen beziehungsweise sie offensiv zu diffamieren. Der Vorwurf, der Ostermarsch als solcher sei »rechtsoffen« – inzwischen wird sogar die Qualifizierung »dezidiert rechts« gestreut –, eignet sich nahezu perfekt als Hebel für den rechten Parteiflügel, um auch Leute auf seine Seite zu ziehen, die in der Debatte um den Ukraine-Krieg bislang keine regierungslinken Positionen vertraten.

Das »Umkippen« des Linke-Bezirksvorstandes von Berlin-Mitte zeigt das exemplarisch. Der Bezirksvorstand hatte sich im Februar noch fast einstimmig für eine Unterstützung der an das »Manifest für Frieden« anschließenden Kundgebung am Brandenburger Tor ausgesprochen. Eine offizielle Unterstützung des diesjährigen Ostermarsches hat der Vorstand nach jW-Informationen am 28. März indes mit elf gegen sieben Stimmen nach kontroverser Debatte mit Verweis auf die »Beteiligung rechtsoffener Strukturen« abgelehnt. Im Beschluss heißt es allerdings auch, dass man sich »explizit nicht gegen eine Teilnahme am Ostermarsch« stelle.

Vier Mitglieder des Bezirksvorstandes haben die Nichtunterstützung und »Diffamierung« des Ostermarsches in einer Erklärung kritisiert, die jW vorliegt. Sie sprechen darin von einem »vor unseren Augen stattfindenden Versuch, die Friedensbewegung zu zerschlagen«. Weiter heißt es: »Antifaschismus ist für uns eine Selbstverständlichkeit. Dies bedeutet aber nicht, dass jede und jeder, die von der Coronapolitik oder der ›Friedenspolitik‹ der Linken enttäuscht sind, pauschal als rechts oder rechtsoffen bezeichnet werden dürfen.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. (10. April 2023 um 01:06 Uhr)
    Liebe Redaktion, das, was der Redakteur Nico Popp hier schreibt: »… die der Stadtvorstand, in dem laut Aussage eines Parteimitglieds gegenüber jW rechte ›Antideutsche‹ den Ton angeben, festgestellt haben will«, das hat mit Journalismus nichts mehr zu tun. Ein einziges nicht genanntes »Parteimitglied« erklärt, rechte »Antideutsche« würden den Ton im Vorstand des Stadtverbandes Magdeburg angeben. Diese Aussage ist einfach absurd. Aber Nico Popp nimmt das als Beleg für die steile These, der »Rechte Flügel zieht alle Register, um sich von Ostermarsch- und Friedensbewegung abzusetzen.« Bedauerlicherweise habe ich mit Nick Brauns schon eine gleiche Erfahrung gemacht, als er wohl auch nach einem Einzelgespräch mit einem »Parteimitglied« einfach falsch über die Gründe für den Rücktritt des knapp gewählten Landesvorsitzenden im März letzten Jahres berichtete. Wirklich ärgerlich ist, dass trotz Hinweisen und Kritik meinerseits an dieser unzulässig verkürzten Berichterstattung festgehalten wird – zum Schaden der Zeitung, die damit an Glaubwürdigkeit verliert.
  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (8. April 2023 um 16:54 Uhr)
    Soll diese schwindsüchtige Linkspartei ruhig eine Distanzierung nach der anderen kritzeln. Der Friedensbewegung kann es nur guttun, sich vom Abwärtsstrudel dieser sterbenden Partei abzusetzen. Und die »ukrainesolidarischen« Operettenlinken sollten sich derweil konsequenterweise selbst mal an der Ostfront bewähren.
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (8. April 2023 um 05:55 Uhr)
    Sowohl bei den Rechten als auch bei den Linken gibt es unterschiedliche Tendenzen und Schattierungen. Ebenso wenig wie es »Die Linke« gibt (eine ziemliche Anmaßung und Hochstapelei, dieser Parteiname) gibt es auch nicht »Die Rechte«. Nun ist es leidige Tradition der ohnehin nicht übermäßig starken Linken, sich in unzählige Grüppchen und Fraktionen aufzuspalten, während der tatsächlich gefährlichste Teil der Rechten sich in praktischen Schritten zusammen tut und Nägel mit Köpfen macht. Wir hatten das im Vorfeld der Machtübernahme Hitlers, als ein Bündnis von Kommunisten, Sozialdemokraten mit gemäßigt rechten Kräften »selbstverständlich« nicht in Frage kam, um sich anschließend für zwölf Jahre überhaupt nicht mehr äußern zu können und einen Weltkrieg zu erhalten. Wir hatten es beim Bürgerkrieg in Spanien, der Stalin ideologisch nicht ins Konzept passte. Innerhalb der Internationalen Brigaden wurden Trotzkisten bekämpft und ausgegrenzt. Die Linke war mit Krieg und Denunziationen untereinander beschäftigt. Inzwischen machten Franco und Hitler erneut Nägel mit Köpfen. Gerade jetzt im Augenblick besetzen die USA widerrechtlich syrisches Territorium und stehlen dort syrisches Erdöl. Interessiert das irgend eine Maus in Deutschland? Spricht da jemand von Biden-Nähe? Sanktionen gegen die USA? Auch die Kurden dürfen in den Augen vieler Linker syrisches Territorium abspalten, was Russen im Donbass bei der Ukraine per Abstimmung »selbstverständlich« nicht dürfen. Was ist das für eine verkehrte Welt, in der man nicht gemeinsam mit Rechten gegen einen Krieg mit Russland demonstrieren darf? Aber die Ukraine, die von Faschisten beherrscht wird, die ihre Militärverbände und Staatshelden offen in die Tradition des III. Reiches stellen, die unterstützen wir. Diese ganzen Diskussionen erinnern mich an den Vorstand einer Schrebergartenkolonie, der über die zulässige Höhe von Gartenhecken debattiert, während es an verschiedenen Ecken der Kolonie bereits brennt.

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