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Aus: Ausgabe vom 06.04.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Gefährliche Strategie

Mélenchon, Staatsfeind Nummer eins

Frankreich: Präsident Macron sucht Allianz mit rechter Le Pen, um »Einheitsfront« gegen Linke zu schmieden
Von Raphaël Schmeller
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Der deklarierte Feind der Bourgeoisie: Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon

Das Projekt »Rentenreform« hat Frankreich in eine tiefe soziale und politische Krise gestürzt. Der Grund: Präsident Emmanuel Macron hat die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre per Dekret am Parlament vorbei durchgesetzt – und das, obwohl mehr als zwei Drittel der Franzosen und 93 Prozent der Beschäftigten des Landes die »Reform« ablehnen. Weil der Widerstand dagegen von allen Seiten immer größer wird, und es längst auch um den Sturz der Regierung geht (den sich gut 80 Prozent der Franzosen wünschen), lässt Macron seit knapp drei Wochen auf die Demonstrierenden einprügeln und streikende Arbeiter durch die Staatsmacht zwangsrekrutieren.

Doch da das Kalkül, wonach durch eine Eskalation der Gewalt die Proteste nachließen, nicht aufgeht, hat der Präsident seit knapp einer Woche eine neue Strategie entwickelt. Diese besteht darin, die Partei La France insoumise (LFI) und speziell den Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon ins Visier zu nehmen. Konkret lautet die Erzählung, Mélenchon und seine Partei würden die Proteste unterwandern, um die politische Ordnung durch Gewalt zu bekämpfen. »Das politische Projekt der LFI besteht darin, auf der Welle der Gewalt zu surfen. Sie wollen unsere Institutionen untergraben und die Verfechter der Ordnung delegitimieren«, so Macron während einer Sitzung im Élysée-Palast vergangene Woche. Mélenchon bedrohe die Republik, schlussfolgerte der Präsident, der den Mann so zum Staatsfeind Nummer eins erklärte.

Ziel der Strategie ist es, den Widerstand auf eine Person zu reduzieren und diese dann durch den Dreck zu ziehen. Dadurch soll der gesamte Protest delegitimiert werden. Um das Ziel zu erreichen, arbeitet die Regierung an einer »republikanischen Einheitsfront gegen LFI und das Linksbündnis NUPES«, wie es mehrere Minister formulierten. Bisher handelte es sich bei der »republikanischen Einheitsfront« immer darum, dass, wenn der faschistische Rassemblement National (RN) in eine Stichwahl gelangt, alle anderen Parteien den Gegenkandidaten unterstützen, um den RN zu verhindern. Nun also soll das ganze Spiel umgedreht werden und eine Anti-NUPES-Front, bestehend aus RN, Konservativen, Macronisten und rechten Sozialdemokraten, gebildet werden.

Eine solche Anti-NUPES-Front hat es bei einer Abstimmung bereits vergangenen Sonntag im Département Ariège gegeben. In einer Wiederholungswahl für die Nationalversammlung standen sich in der zweiten Runde Bénédicte Taurine vom Linksbündnis NUPES und Martine Froger, eine »Dissidentin« des Parti socialiste, gegenüber. Obwohl Taurine im ersten Wahlgang noch klar vorne lag, unterlag sie in der Stichwahl nun der rechten Sozialdemokratin Froger, weil diese mit den Stimmen der Macronisten, der konservativen Les Républicains (LR) und des RN gewählt wurde.

Die Annäherung zwischen Macronisten und RN ist also wesentlicher Teil der Strategie der Regierung, die das auch nicht versteckt. Arbeitsminister Olivier Dussopt erklärte beispielsweise kürzlich, dass RN-Frau Marine Le Pen »viel republikanischer« sei als Mélenchon, und auch Innenminister Gérald Darmanin befand im Interview mit dem Radiosender RTL am Montag, »Le Pen ist viel intelligenter als Jean-Luc Mélenchon«.

Es ist nicht verwunderlich, dass Macron diesen Weg einschlägt, um aus der Krise zu kommen. Zwischen extremer Rechte und der Linken hat das Kapital schon immer gewusst, wo es steht. Das bestätigen auch die jüngsten Äußerungungen des Vorsitzenden des Medef, der größten »Arbeitgebervereinigung« in Frankreich, am Montag vergangener Woche im Interview mit dem Radiosender Franceinfo. Dort erklärte Geoffroy Roux de Bézieux wortwörtlich, Le Pen an der Macht sei »ein notwendiges Risiko«, das man jetzt eingehen müsse.

Der marxistische Philosoph Frédéric Lordon hatte schon 2021 eine »Einheitsfront gegen links« unter Macron vorhergesagt. Dass diese Strategie jetzt dem Präsidenten helfen wird, aus der Krise zu kommen, ist unwahrscheinlich. Der Protest gegen die »Rentenreform« ist dafür zu breit aufgestellt. Allerdings ist dieses Spiel ein gefährliches, weil es Le Pen den Weg in den Élysée-Palast ebnet.

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  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (7. April 2023 um 20:31 Uhr)
    Eine Kollaboration des Rassemblement National mit den Macronisten käme in der brisanten aktuellen Situation einem innenpolitischen Hochverrat gleich und hätte für den RN einen katastrophalen Wählerschwund sowie den Verlust der politischen Basis in der französischen Bevölkerung zur Folge.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Stephan K. aus Neumarkt i.d.OPf. (6. April 2023 um 07:45 Uhr)
    Guter Beitrag von Raphaël Schmeller. Vielleicht hilft diese Betrachtung Frankreichs einer schlecht gebildeten Linken und Antifa unseres Landes, den Links-Rechts-Kompass wieder zu justieren. Vielleicht hilft das Beobachten der Verhältnisse in Frankreich dabei, den wirklich gefährlichen Teil der Rechten zu lokalisieren und nicht selbst erfundene Querfronten zu bekämpfen. »Querfronten«, die primär aus bürgerlichen und »proletarischen« Widerständigen oder zumindest Aufmüpfigen bestehen. Genau aus jenen Menschen, ohne die der Kampf für den Frieden, Umwelt und soziale Gerechtigkeit nie auch nur den Hauch einer Erfolgschance hat. Für Menschen, mit Menschen, mit denen wir gemeinsam die Welt verändern möchten – und müssen. Mit diesem Kampf oder besser Krampf gegen alles »Rechtsoffene« werden sonst die eigenen Genossen, die es nur noch nicht wissen (wie Brecht verirrte oder noch nicht richtig orientierte Klassenschwestern und Brüder sieht), in die Arme der Rechten getrieben, statt sie zu befähigen, gemeinsam und solidarisch gegen den wirklichen Gegner zu kämpfen.

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