Großer Zuspruch
Von Steve Hollasky
»Überwältigend« sei die Teilnahme an der Streikdemonstration am vergangenen Freitag gewesen, hält Stella Ernstberger am Sonnabend im Gespräch mit junge Welt fest. Die Physiotherapeutin arbeitet seit sieben Jahren am Universitätsklinikum Gießen-Marburg (UKGM) und beteiligt sich nun aktiv am Kampf für mehr Personal. Trotz schlechten Wetters mit häufigen Regenschauern waren am Ende der ersten Streikwoche gut 4.000 Menschen nach Marburg gekommen.
Für die bundesweit einzige Uniklinik in mehrheitlich privater Hand fordert die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) einen Verzicht auf Kündigungen und Ausgründungen. Vor allem aber soll durch schichtgenaue Festlegungen mehr Personal für die Stationen und weitere nichtärztliche Bereiche erkämpft werden. Damit verlangt Verdi erstmals in einem privaten Krankenhaus einen Tarifvertrag zur Entlastung (TVE).
Seit letzter Woche Montag befindet sich die nichtärztliche Belegschaft im Arbeitskampf. An den ersten beiden Wochentagen waren zunächst Delegierte der Stationen zusammengekommen, um noch einmal im gesamten UKGM zur Teilnahme am Arbeitskampf aufzufordern. Gut 600 bis 1.000 Kolleginnen und Kollegen hatten sich dann beteiligt. Ab Mittwoch waren alle Beschäftigten aufgerufen.
Die Streikbeteiligung schätzte Fabian Dzewas-Rehm auf Anfrage von jW als enorm hoch ein. »Zwischen 75 und 90 Prozent der Operationen mussten abgesagt werden«, so der zuständige Betreuungssekretär von Verdi am Samstag gegenüber jW. Stationen und Betten hätten unter dem Druck des Streiks geschlossen werden müssen, hielt Dzewas-Rehm fest.
Die große Beteiligung am Arbeitskampf kann bei genauerem Hinsehen kaum überraschen. Immer wieder schildern Beschäftigte die Personalsituation am UKGM als unerträglich. So auch Stella Ernstberger. Die Physiotherapie helfe »Menschen die ersten Schritte in den Alltag zu machen«, nachdem sie oft länger erkrankt waren. Doch man habe zu wenig Personal, um den Anforderungen gerecht zu werden. Inzwischen seien die Arbeitsbedingungen so schlecht, dass es auch an Bewerberinnen und Bewerbern fehle, sagte die Physiotherapeutin im Gespräch mit jW. Es sei unmöglich festzulegen, welche Patientinnen und Patienten man vorrangig behandeln solle, denn »alle verdienen eine gute Versorgung«, so Ernstberger weiter. Doch aufgrund der Personalsituation scheine Therapie »mehr und mehr zum Luxus« zu werden. »Wir brauchen dringend mehr Personal, um den Menschen wieder angemessen helfen zu können«, appellierte sie. Und zwar überall. Es fehle nicht nur bei der Physio- und Ergotherapie oder der Logopädie an Personal, wie Ernstberger festhält. Für sie ist klar, ob Kreissaal oder Kinderklinik, an allen Stellen müsse endlich für mehr Leute gesorgt werden.
Inzwischen erweckt das Management den Anschein, als würde es sich in kleinen Schritten auf die Forderungen der Belegschaft zubewegen. So bot die Klinikleitung an, die von Verdi geforderte Beschäftigungssicherung festzuschreiben. Gleichzeitig jedoch forderte sie in einem Mitarbeiterbrief, den Streik auszusetzen. Dafür sieht Dzewas-Rehm jedoch keinen Grund. »Am Montag geht der Streik weiter«, sagte der Gewerkschaftssekretär. Die Verhandlungen würden am Dienstag fortgesetzt.
Auch Ernstberger kann in den bisherigen Angeboten der Geschäftsleitung keinen Grund für eine Aussetzung der Streikmaßnahmen entdecken. Zwar bewege sich die Kapitalseite in die richtige Richtung, aber es sei »noch viel zu wenig«, so Ernstberger.
Auf der Demonstration wurde auch die Solidarität mit den Beschäftigten des UKGM deutlich. Zahlreiche Bewohner von Gießen und Marburg wären mitgelaufen. »Eigentlich geht unser Kampf alle an«, meinte Ernstberger im Gespräch mit dieser Zeitung, denn alle könnten irgendwann auf Hilfe angewiesen sein. Und daher sei »mehr von uns besser für alle.«
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