Höchsttempo
Von Arnold Schölzel
Am 31. März erinnert die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) unter der Überschrift »Unser Desinteresse am Elend freut Peking und Moskau« an die »5. UN-Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder«, englische Abkürzung LDC, die bereits vom 5. bis zum 9. März in Doha, der Hauptstadt von Katar, stattfand. NZZ-Auslandsredakteur Fabian Urech nennt die Tagung »das Treffen der Vergessenen«, wobei »das, was die Regierungschefs aus Ländern wie Bangladesch, Haiti und Guinea sagten, eine hohe Dringlichkeit« habe. Von einem »perfekten Sturm« sei die Rede gewesen. In Zahlen: Die Vereinten Nationen zählen 46 Staaten zu den LDC, in denen es laut Urech für die in ihnen lebenden 1,1 Milliarden Menschen »zuletzt nur bergab ging«. 33 von ihnen liegen in Afrika südlich der Sahara. Coronakrise und Ukraine-Krieg hätten die Lage »noch einmal verschlechtert«, die Zahl der Hungernden nehme »weltweit um über 200.000 Personen« zu – pro Tag. Einem Drittel der LDC-Länder drohe der Staatsbankrott, außerdem spürten sie den Klimawandel »viel stärker als wir«. Die Unterstützung aus dem Westen, Urech nennt speziell Großbritannien und Schweden, werde aber abnehmen: »Gelder, die einst in die ärmsten Länder in Afrika oder Südasien flossen, werden zunehmend in der Ukraine und fürs heimische Asylwesen eingesetzt.«
Zur Konferenz teilt Urech leider nichts Genaueres mit. Dabei hatte UN-Generalsekretär António Guterres zu deren Beginn von reichen Ländern etwa 500 Milliarden US-Dollar im Jahr gefordert. Sie bremsten mit »räuberischen« Zinssätzen die LDC aus. Das Ergebnis: Versprechen in Höhe von 1,4 Milliarden US-Dollar für 2023 – davon Saudi-Arabien 800 Millionen US-Dollar, di Bundesrepublik 210 Millionen US-Dollar, die EU 135 Millionen. Also fast nichts.
Das Ergebnis beschäftigt den NZZ-Kommentator aber weniger als die geopolitische Dämmerung. Längst gebe es für die ärmsten Staaten »Alternativen zur Partnerschaft mit dem Westen«. Seit Jahren zeichne sich ab, »dass China und Russland nur darauf warten, von einem allfälligen Rückzug des Westens zu profitieren und ihren Einfluss auszuweiten«. China sei in den vergangenen zehn Jahren »Topinvestor« in den LDC geworden, ebenso deutlich sei sein »politischer Einfluss vor Ort gewachsen«. Russland sei »bemüht, unter den Ärmsten neue Verbündete zu finden«. Die Soldaten der »Wagner«-Gruppe sind demnach »in mindestens fünf LDC-Staaten präsent, zudem ist Russland der größte Exporteur von Waffen nach Afrika«. Diese Entwicklung, meint Urech, sollte eine »Warnung« für die Industriestaaten sein, die bei der Unterstützung der Ärmsten jetzt den Rotstift ansetzten. In einer Welt, die zunehmend aus den Fugen gerate, »trifft das vielleicht gar in besonderem Maße zu«.
Noch während in Berlin der Koalitionsausschuss – das höchste Entscheidungsgremium der BRD – verhandelte, wurden die Prioritäten der deutschen Regierung am 28. März bekannt: Sie wies den Haushaltsausschuss an, für die Militärhilfe an Kiew in diesem Jahr zusätzliche 3,2 Milliarden Euro zu genehmigen und für die nächsten Jahre weitere 8,8 Milliarden Euro. Die deutsche Waffenhilfe steigt damit von bisher drei Milliarden Euro auf 15 Milliarden. Begründung: »Aufgrund der hohen materiellen Verluste der ukrainischen Streitkräfte sind neue Materiallieferungen erforderlich.« Es bestehe »die schwerwiegende Gefahr, dass die Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Aggressor unterliegt, mit unvorhersehbaren Konsequenzen für die europäische Friedensordnung«.
Am 29. März winkte der Ausschuss die Summen durch. Steigerung des faktischen Kriegs gegen die ärmsten Länder? Stört keinen in der Koalition. Es geht mit Höchsttempo zum militärischen Sieg über Russland.
Steigerung des faktischen Kriegs gegen die ärmsten Länder? Stört keinen in der Koalition.
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