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Aus: Ausgabe vom 01.04.2023, Seite 1 / Titel
Militarisierung

Bomber über Brandenburg

»Air Defender 2023«: Größtes Luftkriegsmanöver seit Bestehen der NATO im Juni geplant – vor allem über Ostdeutschland
Von Jörg Kronauer
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Früher gab’s mehr Widerstand: Protestspaziergang gegen die Nutzung des »Bombodroms« in der Kyritz-Ruppiner Heide im August 1999

Die deutsche Luftwaffe bereitet sich als Gastgeberin auf das größte Luftkriegsmanöver in der Geschichte der NATO vor. Die Übung »Air Defender 2023« wird vom 12. bis zum 23. Juni großenteils im Luftraum der BRD stattfinden – und das vor allem am Himmel über Ostdeutschland. Beteiligt sind rund 10.000 Soldaten aus 18 Staaten mit bis zu 210 Militärflugzeugen, darunter Berichten zufolge auch hochmoderne US-Kampfjets des Typs F-35, von denen die Bundeswehr knapp drei Dutzend beschaffen will. »Air Defender 2023« sprengt damit die für reine Luftmanöver gängigen Dimensionen. Zum Vergleich: Als die deutsche Luftwaffe im vergangenen Sommer an der Luftkriegsübung »Pitch Black« in Australien teilnahm, die als größte westliche Übung ihrer Art in der Asien-Pazifik-Region gilt, waren insgesamt rund 2.500 Soldaten mit etwa 100 Flugzeugen beteiligt.

»Air Defender 2023« hat laut Angaben der Bundeswehr einen doppelten Trainingszweck. Zum einen wird die möglichst schnelle Verlegung von etwa 100 Militärflugzeugen aus den USA nach Europa geprobt. Darin ähnelt die Übung den »Defender Europe«-Manövern, bei denen bislang jeweils die Verlegung großer Einheiten der US-Landstreitkräfte nach Europa auf dem Programm stand. Politischer Kontext ist der Machtkampf des Westens gegen Russland; sollte der zu einem Krieg zwischen Russland und der NATO eskalieren, gilt es, US-Einheiten so schnell wie möglich heranführen zu können. In einem zweiten Schritt sollen auch Operationen »zur Verteidigung des NATO-Luftraumes« geübt werden, heißt es bei der Bundeswehr.

Deutschland wird dabei, wie die Luftwaffe erläutert, »seine Rolle als kollektiver Verteidigungsknotenpunkt innerhalb Europas« wahrnehmen. Dazu gehören unter anderem logistische Aufgaben, die laut Angaben der Bundeswehr nicht zuletzt über den Fliegerhorst Wunstorf in Niedersachsen abgewickelt werden sollen. Kampfjets werden während des Manövers auch von anderen Flugplätzen aus starten. Hauptstandorte sind, neben Wunstorf, Jagel beziehungsweise Hohn in Schleswig-Holstein sowie Lechfeld in Bayern. Daneben werden Laage in Mecklenburg-Vorpommern und Spangdahlem in Rheinland-Pfalz genutzt, außerhalb Deutschlands zudem Volkel in den Niederlanden und Caslav in Tschechien. »Es gilt, dass wir dort üben müssen, wo wir gegebenenfalls auch eingesetzt werden«, heißt es.

Besonders von den Übungsflügen betroffen sind drei riesige Gebiete. Zum einen handelt es sich um große Teile Mecklenburg-Vorpommerns, Berlin und Teile von Brandenburg und Sachsen. Luftkriegsübungen finden darüber hinaus über Schleswig-Holstein und Niedersachsen sowie über dem Saarland und Teilen von Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern statt. Weiträumige Luftraumsperrungen sind angekündigt. Mit Verzögerungen und womöglich auch mit Ausfällen im zivilen Flugverkehr wird gerechnet. Die Luftwaffe stimmt sich schon im Vorfeld mit der Deutschen Flugsicherung, den Flughäfen und Fluggesellschaften ab, darunter Lufthansa und Eurowings – eine Gelegenheit, die zivil-militärische Kooperation in der Praxis zu erproben.

»Air Defender 2023« weist zwar klare Parallelen zu den »Defender Europe«-Manövern auf, nicht zuletzt auch darin, dass Deutschland als Kriegsdrehscheibe vorgesehen ist. Es ist aber nicht damit identisch. »Defender Europe 2023« findet vielmehr in Südosteuropa statt, unter anderem in Albanien und Berichten zufolge auch im völkerrechtswidrig von Serbien abgespaltenen Kosovo.

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  • Leserbrief von Winfried Höna aus Leipzig (2. April 2023 um 13:54 Uhr)
    Was sagen eigentlich unsere Klimajünger zu diesen ganzen immer mehr ausufernden Militäraktionen? Schließlich gibt es Veröffentlichungen über den CO₂-Ausstoß und andere Schäden an der Umwelt, die das Militär weltweit verursacht. Aber wahrscheinlich muss dann der Bürger sich halt noch mehr einschränken, um das wieder auszugleichen. Schöne neue Welt im Dienste von Freiheit und Demokratie! Leider schaut die Mehrheit der Bevölkerung dem offenbar tatenlos zu. Warum nur?
  • Leserbrief von Lothar Böling aus Düren (1. April 2023 um 20:31 Uhr)
    »Neue Männer braucht das Land!« sang Ina Deter 1982. Nicht anders verhält es sich mit der Politik und das nicht erst seit gestern. Denn immer noch werden selbstherrliche Militaristen gewählt, die mit Parolen aus der Mottenkiste des Krieges agieren. »Frieden schaffen ohne Waffen!« kommt für sie nicht in Frage. Wie schon ihre Großväter 1914 hetzen sie gegen Russland und faseln von einer Bedrohung aus dem Osten. Täglich verbreiten sie Angst, um die eigene Aufrüstung zu rechtfertigen. Getrieben von Gier, wie schon Napoleon 1812, Deutschland 1914 und 1941 träumen sie von der Eroberung Moskaus und den riesigen Bodenschätzen Russlands. Würden sie siegen, könnten sie auch das größte Land der Erde hemmungslos ausbeuten. Ganz so, wie sie es heute mit anderen Ländern machen. Kohle, Öl, Gas, Holz und Getreide aus Russland gäb es dann quasi umsonst. Betreiber des Plans zur Unterwerfung Russlands und Chinas ist der US-Imperialismus. Unter seiner Führung wurde die NATO zur größten Angriffsarmee der Welt. Seit 1999 stieg die Zahl der NATO-Mitglieder von 16 auf 30. Mittels NATO-Osterweiterung ist die NATO über 1.000 Kilometer bis an Russlands Grenze vorgerückt. Die Gefahr eines militärischen Erstschlags hat damit extrem zugenommen. In nur wenigen Minuten könnten US-Atomraketen Moskau erreichen. Seit 2008 fordert Russland daher ein Ende der NATO-Osterweiterung. Die NATO-Osterweiterung sei nicht verhandelbar, erklärte die US-Regierung. Was 2014 in der Ukraine folgte, war ein blutiger Regime-Change (Euromaidan). Mit Hilfe ukrainischer Nationalisten und Faschisten wurde der gewählte Präsident Janukowitsch gestürzt. Hiergegen wehrte sich die Bevölkerung auf der Krim und im Donbass. Auf die acht Jahre Krieg gegen die Menschen im Donbass reagierte Russland am 24. Februar 2022 militärisch. Das geplante Manöver »Air Defender 2023« belegt, dass die NATO der Aggressor ist und weiter vorrücken will. Erneut ist Deutschland Aufmarschgebiet für gierige Ausbeuter, die Russland erobern wollen.
  • Leserbrief von Raimon Brete aus Chemnitz (1. April 2023 um 19:15 Uhr)
    Die Waffen nieder! – Für eine friedliche Welt. Wir stehen heute am Rande des atomaren Endes der Welt! Dies ist angesichts der Konfrontation und menschenverachtenden und irrationalen Aktivitäten in der Ukraine wahrlich keine Übertreibung. Angesichts des nur noch zu vernehmenden hysterischen Geschreis von Politikern aller Couleur nach noch mehr Waffen, einer unkalkulierbaren Zuspitzung der militärischen Lage an der »Ostfront« und einer weiteren Suche nach noch mehr unsinnigen sowie fast wirkungslosen Sanktionen, müsste der lebensbedrohliche Konflikt schnellsten durch diplomatischen Mitteln eine Lösung erfahren. Stattdessen wird das größte Luftkriegsmanöver der NATO für den Juni diesen Jahres geplant und soll vor allem am Himmel Ostdeutschlands stattfinden. Dies ist eine Perversion menschlicher Logik und demaskiert die Friedensnobelpreisträgerin EU als eine unselige Macht, die, anstatt zu löschen, Öl ins Feuer gießt. Die kraftvolle und nachdrückliche Forderung an die Politik muss jetzt lauten: Kein »Air Defender 2023« und dafür umgehend Verhandlungen für einen sofortigen Waffenstillstand! Keine Übertreibung, für den Frieden ist es ist fünf vor zwölf!
  • Leserbrief von B. Schroeder aus Apen (1. April 2023 um 16:07 Uhr)
    Die Franzosen und Engländer haben ihre Könige geköpft … die Deutschen Revolutionäre stehen meist auf der falschen Seite … Die Deutschen jedoch haben stets ihre Hacken zusammengeschlagen und jawohl geschrien. Frieden möchten wohl alle, die Deutschen haben es zweimal verpasst und sind munter mitmarschiert. Und es ist absehbar – wenn schon die Außenministerin sagte »wir sind im Krieg mit Russland« – und die gesamte systemtreue Presse Land auf, Land ab für ein Eingreifen trommelt bzw. aktive Unterstützung für die Stellvertreter anglo-amerikanischer Statten in Kiew wirbt. Da wird nicht auf die Straße gegangen, da wird wieder gehofft, auf der »richtigen Seite« zu stehen. Atlantik-Brücke hin, Aspen-Institut her … und da es immer so schön war mit Bier und Hamburger, die Kriegsverbrechen der USA /Großbrittaniesn live um 20 Uhr am Fernseher mitzuverfolgen und zu wissen, dass es weit weg ist. Nur jetzt kann der nächste Werbeblog nicht mehr angesehen werden, weil das Schauspiel zu Hause stattfinden wird. Der Geräuschpegel könnte nicht mehr aus den Lautsprechern kommen, ebenso wenig wie das Märchen von der Verteidigung der Demokratie und Freiheit. Aber da werden alle diejenigen, die Dir die US/NATO Flausen ins Gehirn gehämmert haben, bereits ihre Flüge nach Übersee gebucht haben und darauf vertrauen, dass Du schon alles richtig machen wirst. »The same procedure …« oder »Nach dem Krieg um sechs im Kelch!«
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Christel H. aus Aschersleben (1. April 2023 um 11:21 Uhr)
    Ich gehe mal davon aus, dass das kein Aprilscherz ist. Da kriegt das Wort Eskalation eine ganz neue Dimension!
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (1. April 2023 um 09:34 Uhr)
    Interessant, wie ausführlich und detailliert in dem Artikel über das bevorstehende NATO-Manöver berichtet wird. Auch zu Zeiten der DDR fanden in diesem Gebiet regelmäßig Manöver statt. Als ehemaliger DDR-Bürger hätte ich mir gewünscht, ebenfalls informiert zu werden, wenn der Flugzeuglärm tagelang mal wieder besonders laut war. Leider fand sich in den DDR-Medien (einschließlich Junge Welt) dazu nichts. Lediglich am Ende gab es eine eher knappe Meldung über den erfolgreichen Abschluss des Manövers der Luftstreitkräfte des Warschauer Vertrages. Warum durften die DDR-Bürger nichts Genaueres wissen?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (3. April 2023 um 13:28 Uhr)
      NVA = sozialistische Verteidigungsarmee – trotz aller Mängel. Bundeswehr = kapitalistische Angriffsarmee – trotz Diversity-Geschwafel; Bundeswehrkindergärten usw. Deshalb! Aber Sie haben trotzdem recht – Offenheit hätte dem Sozialismus genutzt, die z. T. dümmliche Geheimniskrämerei hat ihm leider nur geschadet.

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