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Aus: Ausgabe vom 29.03.2023, Seite 15 / Antifa
Antifa

Braunes Rückzugsgebiet

Strukturschwacher Westerwald für Neonazis, »Reichsbürger« und völkische Esoteriker attraktiv für Pflege gemeinsamer Netzwerke
Von Janka Kluge
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Rechter Aufmarsch gegen Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete am Stegskopf (Rennerod, 19.11.2015)

Als sogenannte strukturschwache Region liegt er verkehrsgünstig zwischen Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg. Seine größten Ortschaften zählen nicht mehr als 20.000 Einwohnerinnen und Einwohner: Der Westerwald bietet Neonazis die Möglichkeit, ungestört und lange auch unbehelligt von antifaschistischen Protesten ihre Netzwerke zu pflegen. Der Frage, wie gefährlich diese sind, ging zuletzt auch der Südwestrundfunk (SWR) in einem am Donnerstag veröffentlichten Beitrag nach.

So erzählte der Ortsbürgermeister von Mehren, Thomas Schnabel, im SWR-Magazin »Zur Sache Rheinland-Pfalz« von dem großen Entsetzen, das aufgekommen sei, als die ersten Berichte über ein Treffen »rechtsgerichteter« Gruppen in einem Dorflokal veröffentlicht worden waren. Der Bürgermeister habe dem Sender zufolge »sofort Polizei und Verfassungsschutz eingeschaltet und um Klärung gebeten«. Wie sich herausgestellt habe, sei allein dieses Lokal dem Inlandsgeheimdienst seit rund sechs Monaten ein Begriff. »Letztes Jahr hatten wir zum ersten Mal einen Blick drauf, weil es mittlerweile doch einige Veranstaltungen gab, wo wir teilweise sagen: da müssen wir genau hinschauen!« erklärte Elmar May, der Leiter des Verfassungsschutzes im rheinland-pfälzischen Innenministerium, dem SWR.

Szenetreff »Fassfabrik«

Rund 30 Kilometer östlich von Mehren spielt in Hachenburg ein anderes Lokal eine besondere Rolle, die »Fassfabrik«. Ausgerechnet dort, wo in den Jahren 1942 und 1943 Zwangsarbeiter aus Osteuropa für die Nazis Sklavenarbeit leisten mussten, diene das Lokal seit einigen Jahren »Reichsbürgern«, Esoterikern und Neonazis dazu, sich im Westerwald »fest zu verwurzeln«, wie der SWR im Januar das Innenministerium von Rheinland-Pfalz zitiert hatte. Doch nicht nur Anhänger dieser rechten Szenen fanden sich dort bereits ein.

So hatte die AfD Westerwald zunächst das Lokal als Kontaktadresse angegeben. Aus einer per E-Mail verschickten Einladung hatte der Verein Demos e. V. in einem Beitrag vom 3. Oktober 2019 über die Eröffnung der »Fassfabrik« zitiert, wonach es gelungen sei, »einen Leuchtturm des Widerstands im Westerwald« zu schaffen. Bei der Eröffnung hielt der AfD-Mann Hansjörg Müller einen Vortrag. Seither traten immer wieder Vertreterinnen und Vertreter von Neonaziparteien wie »Die Rechte« oder neurechten Zusammenschlüssen wie der »Identitären Bewegung« in dem Lokal auf.

Ost-West-Vernetzung

Vier Jahre zuvor, als im Oktober 2015 eine Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in einer ehemaligen Kaserne in Stegskopf eingerichtet werden sollte, hatte sich eine weitere Vernetzung offenbart, die davor für viele nicht sichtbar gewesen war: Dresdener Kader der rassistischen Pegida-Vereinigung reisten eigens dafür in die Gegend. Am Anfang waren es 200, die gegen die Einrichtung für Schutzsuchende aufmarschierten, später waren es mehr als 600. Damals stand den Rechten ein Vielfaches an Antifaschisten gegenüber. Nachdem die Erstaufnahmeeinrichtung im März 2016 wieder geschlossen wurde, nannte sich der Pegida-Ableger in »Bekenntnis zu Deutschland« um.

Bereits bei diesen Aufmärschen waren übrigens auch Mitglieder der faschistischen Kleinstpartei »Der III. Weg« als solche offen erkennbar dabei. Der Westerwald gehörte zu den Regionen, in denen die Partei besonders aktiv ist. Zumindest damals bestand außerdem eine enge Verbindung mit der »Kameradschaft Westerwald«, die 2005 als terroristische Vereinigung verboten worden war. In dem Prozess wurde bekannt, dass sie 40 Mitglieder hatte, die sich regelmäßig in einem Gasthaus in Rennerod getroffen haben, Angriffe auf Linke verübten und deren Pkw anzündeten.

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  • Leserbrief von Rainer Robert Klee aus 55545 Bad Kreuznach (29. März 2023 um 18:48 Uhr)
    Als ich 2007 meinen Lebensabend von Dresden (Sachsen) nach Bad Kreuznach (Rheinland-Pfalz) verlegt, wurde mir von einer Rechtspflegerin gesagt: »Hier gibt es keine Rechten wie in Freital!«. Ich erwiderte, die Rechten in Freital sind von den Rechten aus dem Westen Deutschlands seit 1990 verstärkt rekrutiert und ausgebildet wurden. Es wollte niemand glauben. Es war so und es ist so. Übrigens, 1933 war es hier noch viel schlimmer als im Rest des Deutschen Reiches!

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