Deutsch-kubanische Storys
Von Gerd Schumann
I
»Eine Schwarze, das war ebenso arg wie eine Jüdin.« (Klaus Mann: »Mephisto«, 1936, zit. nach Rowohlt 2004, S. 282)
II
In Kamerun kam es seit 1910 verstärkt zu Spannungen zwischen der deutschen Kolonialverwaltung und der Bevölkerung, nachdem Pläne zur Enteignung und Umsiedlung der einheimischen Duala bekanntgeworden waren. »Aus hygienischen Gründen«, so die Begründung, sollte eine vollständige räumliche Trennung zwischen den Wohnstätten der Europäer und den Dörfern der Eingeborenen erreicht werden. Die Deutschen ließen Kriegsschiffe in der Hafenmetropole Duala (heute franz.: Douala) landen, doch der Widerstand hielt an, und das Kaiserreich ließ den Sprecher der Duala, Rudolf Manga Bell (1873–1914), und seinen Vertrauten Ngoso Din aus dem Weg räumen.
Beide wurden wegen Hochverrats verurteilt und einen Monat vor Beginn des Ersten Weltkriegs hingerichtet. Manga Bells letzte Worte waren: »Unschuldiges Blut hängt ihr auf. Umsonst tötet ihr mich. Aber die Folge davon wird die größte sein.« Das war am 8. August 1914 – wenige Tage zuvor hatte das Deutsche Kaiserreich Russland (1. August 1914), Frankreich (3. August) und Großbritannien (4. August) den Krieg erklärt. Duala wurde am 27. September 1914 bedingungslos den britischen und französischen Truppen übergeben.
Anfang Dezember 2022 wurde in Berlin-Wedding der vormalige Nachtigalplatz (nach Gustav Nachtigal, 1884 Gründer der Kolonie Kamerun) umbenannt. Er heißt nun Manga-Bell-Platz, nach Rudolf Duala Manga Bell und seiner Frau, den Eltern von Alexander (Alexandre) Manga Bell. Dieser war der Ehemann von Andrea Manga Bell, geb. Jiménez Berroa alias Juliette Mertens – die weibliche Protagonistin von Klaus Manns Roman »Mephisto«. Sie ist folglich, soweit bekannt, »die erste Deutschkubanerin in der deutschen Literaturgeschichte«, so Professor Olavo Alén Rodriguez.
Ohne Rodriguez wären die im folgenden erzählten deutsch-kubanischen Storys wahrscheinlich unbekannt geblieben.
III
Schon 1996 war ich Olavo Alén Rodriguez begegnet, in Havanna hatte ich den Musikwissenschaftler von internationalem Ruf erstmals interviewt. Damals nutzte ich meine Reise auf die Insel, um mich für den Hessischen Rundfunk auf die Spur der multiethnischen Traditionen der Karibikinsel zu begeben. Alén erzählte mir aus dem Stegreif wichtige Details aus der Geschichte der Musiken des Landes zwischen Afrika, Europa und dem, was Arbeit und Leben im Laufe der Zeit aus den Ursprüngen gemacht hatte. Als »Kubas Salsaärzte« wurde der Beitrag schließlich gesendet (HR 2, »Musica mundi«) – der zweideutige Titel bezog sich sowohl auf »La Bola«, den Sommerhit eines Mannes, der sich »El Médico de la Salsa« nannte, als auch auf die heilende Wirkung von Musik in Krisenzeiten. Kuba steckte mitten in der »Período especial«, nachdem Jahre zuvor der Handel mit den sozialistischen Staaten Europas vollständig weggefallen war. Es wirkte auf mich wie ein kleines Wunder, dass sich die Menschen trotz alldem immer weiter im Takt des Son und seines endlosen, variantenreichen Wechselgesangs zwischen Band und Sänger bewegten, sich freuten und lachten.
Bei unserem zweiten Treffen, diesmal für ein Special des Magazins Melodie & Rhythmus in Aléns Haus in Cerro, einem Stadtteil Havannas, war Sonmusik zwar weiterhin populär, doch in den Straßen und Gassen und Kulturhäusern von Kubas Hauptstadt dominierte der härtere Sound des HipHop, meist auch schon der des musikalisch und textlich noch reduzierteren Reggaeton. 2016 war das, und die Besuche der westlichen Superstars Barack Obama und The Rolling Stones – auf Kuba nur »Los Rolling« genannt – standen bevor. Einige Signale schienen, mit welchen Hintergedanken auch immer, auf Entspannung umgeschaltet zu werden, doch der Schein trog dann doch. Letztlich setzten die Hardliner aus Miami und ihr neuer, unberechenbarer Präsidentendarsteller weiter auf Mürbemachen durch Blockade.
Heute ist die globale Krise allgegenwärtig und auf Kuba besonders heftig. Auswege werden verbaut, nicht nur die Yankees blockieren, Halsstarrigkeit ersetzt auch in Europa Vernunft, und die Gefahr eines großen apokalyptischen Krieges wächst. Man könnte sagen: Die Welt hatte in vielerlei Beziehung schon bessere Zeiten erlebt, als wir uns diesmal im herbstlichen Berlin trafen, und doch vermittelte mir die Begegnung mit Alén und seiner Frau Dalia Mensoza Luna Hoffnung. Es waren vor allem die Freundlichkeit, seine Ideen, eine skeptische Zuversicht, die trotz allem zu neuen Gedanken anregten und Mut machten.
Plötzlich verwoben sich im Gespräch und in Gedanken verschiedene Epochen beider Länder – Kuba und Deutschland – miteinander, wurden verblüffend plastisch, und ich dachte, sonderbar, wie schnell Geschichten aus der Geschichte Geschichte vermitteln können, als wir uns völlig unvermutet bei Klaus Manns Exilroman »Mephisto«, dem deutschen Kolonialismus in Westafrika und der Okkupation Frankreichs durch die Hitlerwehrmacht wiederfanden. Alén ist ein blendender Erzähler, sein Deutsch exzellent, es gab in dem Eckcafé in Alt-Moabit nahe der Spree Milchkaffee und Espresso mit viel Zucker, die letzten Wespen der Saison nervten zwar etwas, doch behielten Olavo Alén und seine Frau trotz der auf Kuba wenig bekannten Flugobjekte weitgehend die Ruhe.
Nach Deutschland war der 74jährige nicht nur wegen der Premiere des empfehlenswerten Dokumentarfilms »La Clave« von Kurt Hartel (siehe jW, 25.10.2022) gekommen, in dem er selbst eine prägende Rolle einnimmt: Er referierte zudem auf einem Symposium der Humboldt-Universität zum Thema »Das Studium der Musikwissenschaft im Ostberlin der 1970er Jahre«, hinter dem sich seine eigene ungewöhnliche Biographie in der DDR als einziger kubanischer Stipendiat und späterer Doktorand der Musikethnologie an der Humboldt-Universität verbarg. Der »akademische Austausch, der zwischen Kuba und dem europäischen sozialistischen Lager bestand, ermöglichte es mir«. 1979 wurde er in Berlin mit Bravour und vorzeitig zum Dr. phil. promoviert. Die Jahre in der DDR würden zu den wichtigsten seines Lebens gehören, sagt er.
IV
Vorher gab es allerdings ein nicht einfaches, weil bürokratisch bedingtes Hindernis aus dem Weg zu räumen. Der auf Kuba ausgebildete Pianist Alén fand sich nämlich entgegen allen Absprachen und auch entgegen den Vorstellungen seines Professors in Havanna, Argeliers León (1918–1991), an der auf »europäische Musikgeschichte« spezialisierten Martin-Luther-Universität in Halle wieder – und nicht in Berlin an der einzigen DDR-Uni, an der Musikethnologie gelehrt wurde. Doch eben diese interessierte ihn.
»Von Anfang an habe ich versucht, in Halle mit jemandem zu reden über meine Geschichte, doch konnte ich noch nicht so gut Deutsch. Ich habe also alles aufgeschrieben, konnte es aber nirgendwo vortragen, weil mich keiner hören wollte.« Sein weitester Vorstoß endete im Vorzimmer des Direktors der Musiksektion. Da lief der eigentliche Kurs an der Humboldt-Uni bereits, und Alén befürchtete, dass er sein Studium ad acta legen müsste – bis der Direktor dann doch noch auf ihn zukam und ihn einiger Prüfungen unterzog, die demonstrierten, dass er nicht wegen europäischer Musikgeschichte, die er bereits bei seinem Professor in Havanna studiert hatte, in die DDR gekommen war.
»Ich bot ihm dann eine Analyse der Bedeutung Johann Sebastian Bachs für heutige Musiker an und erklärte, dass wir erst durch Bach eine Zwölftonorganisation der Musik erreicht haben, die wohltemperierte Stimmung. Davor war das noch nicht möglich. Seine 48 Präludien und Fugen gehen also durch jede Tonart und zeigten somit die Möglichkeiten der Transponierung durch alle Tonarten auf. Bach hat das gemacht und nicht Telemann, Corelli und Torelli aus Italien und auch nicht Händel. Ich habe versucht, Bachs harmonisches Denken zu erläutern. Welche Akkorde er benutzte, was das Modell seiner Zeit war.«
Der Direktor las nunmehr die Prüfungsberichte und gestand den Fehler ein. »Wir haben mit der HU gesprochen. Dr. Hesse wartet auf Sie. Meine Sekretärin hat schon Ihr Zugticket gekauft. Sie sind dann morgen früh um zehn Uhr an der Uni.« Der Kubaner bedankte sich noch. »Das war also mein Anfang des Musikwissenschaftsstudiums in der DDR.« Das Ende mit Summa cum laude 1979 ist bereits erwähnt.
V
Zurück in Havanna wurde Alén Gründungsdirektor des Zentrums zur Erforschung und Entwicklung der kubanischen Musik (Centro de Investigación y Desarrollo de la Música Cubana, Cidmuc) und zeitweilig Direktor der Musikabteilung des Kulturministeriums. Er reiste viel, hielt weltweit Vorträge, die Arbeit des Zentrums strahlte aus. »Unsere Spezialisten begannen, andere Länder wie Mexiko, Grenada, Guyana, Angola zu beraten.« Und auch Aléns DDR-Erfahrungen zeigten Wirkung, nicht nur, weil weitere Kubaner an die Humboldt-Uni delegiert wurden: Einige seiner ehemaligen Professoren in Berlin fungierten als Berater – Professor Reiner Kluge, Professor Christian Kaden, Professor Erich Stockmann, Professor Georg Knepler reisten nach Kuba, Stockmann beteiligte sich an den Forschungen für den »Atlas der Instrumente der folkloristisch-populären Musik Kubas«. Die internationalen Beziehungen entwickelten sich über gegenseitigen Austausch.
Man könnte den Versuch der kubanischen Revolution, Gleichheit durch gleiche Bildungschancen für alle zu erreichen, auch als »eine Alphabetisierung der Musik« durch kostenlose Musikerziehung verstehen, so Alén. »Musiktraditionen wurden akademisiert, wodurch ein höheres Level erreicht wurde.« Die späteren Jazzgrößen Kubas wie beispielsweise Chucho Valdés könnten »nicht so spielen, wie sie spielen«, wenn sie vorher nicht klassische Musik studiert hätten. Das sei ein Ergebnis der Revolution gewesen.
»Aber die Traditionen existierten schon«, sagt Alén und plädiert für eine Neubewertung auch im Bereich der Klassik und deren Weiterentwicklung durch verschiedene Komponisten, darunter die schwarze Musikerfamilie Jiménez im 19. Jahrhundert. Zum Thema veröffentlichte er gemeinsam mit der Bibliothekswissenschaftlerin Gudrun Weber ein quellenstarkes Buch auf deutsch, 2021 verlegt in Potsdam bei Welttrends, gefördert von der deutschen Botschaft in Havanna und dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD): »Zwischen Kuba und Deutschland«.
Also. Drei Afrokubaner namens Jiménez, stammend aus Trinidad/Kuba, Nachkommen von aus Afrika verschleppten Sklaven, machen eine bemerkenswerte Karriere als klassische Musiker in Europa und in ihrer Heimat. Sicherlich sind sie auch mit den traditionellen, afrikanischbasierten und auf Kuba weiterentwickelten oder neu entstandenen Musiken aufgewachsen, was sich dann in ihrem späteren Werk abbildet, aber eben vor allem mit klassischen europäischen Instrumenten und Stücken. Der Vater von José Julián Jiménez (1828–1880), Francisco Nicasio Jiménez, ist ein »beachtenswerter Orchesterleiter« (Alén). Er unterrichtet seinen Sohn in Violine. Der wiederum wird gefördert durch einen Gutsbesitzer.
Zu der Zeit existierten im wohlhabenden, boomenden Trinidad 66 Zuckerfabriken. Auf den Plantagen der deutschen und spanischen Großgrundbesitzer schufteten 10.500 schwarzhäutige Menschen. Zudem hatten sich, so Alén, »bereits 230 Deutsche auf Kuba angesiedelt, in der Mehrzahl Kaufleute, aber auch Musiker und Pianofortefabrikanten«. José Julián zieht von Trinidad nach Havanna, arbeitet dort am Theater und verlässt Kuba 1853 in Richtung Leipzig, um sich weiterzubilden. Er studiert am renommierten Konservatorium, legt Ostern 1854 seine Prüfung ab und wird, zurück auf Kuba, Violinist am Teatro Tacón in Havanna, komponiert Tänze und Guarachas, arbeitet später in Trinidad als Musikdirektor. 1869 verlässt er schließlich gemeinsam mit seinen Söhnen Nicasio Jiménez (1847–1891), einem Cellisten, und dem Pianisten José Manuel Jiménez Berroa (1852–1917) erneut die Karibik.
In Deutschland konzertieren Nicasio und José Manuel unter anderem im Leipziger Gewandhausorchester und erregen auch als Trio einiges Aufsehen, sicherlich auch wegen ihrer Hautfarbe. Das Kaiserreich wird 1871 gegründet, die kolonialen Bestrebungen Deutschlands nehmen zu, sogenannte Völkerschauen – veranstaltet unter anderem vom Hamburger Tierhändler Carl Hagenbeck – mit eindeutig rassistischem Charakter feiern Hochkonjunktur: Menschen fremder Kulturen werden ausgestellt und in Klischees gepresst, die Ideologie von der »den Wilden« überlegenen Zivilisation etabliert sich. Inwieweit die Kubaner der Familie Jiménez in dieses Bild eingepasst werden, bleibt im Buch weitgehend ausgespart – die gründliche Recherche konzentriert sich auf die Anerkennung, die die Musiker aufgrund ihrer herausragenden künstlerischen Fähigkeiten erfahren.
Ab 1875 spielen die drei Männer als Trio in Frankreich. Nicasio Jiménez bleibt im Land. Er stirbt in Tours 1891, inzwischen eingebürgerter Franzose. José Julian und José Manuel sind 1879 nach Kuba zurückgekehrt, geben umjubelte Konzerte am Teatro Tacón in Havanna. Der Pianist José Manuel Jiménez gehört schließlich zu den bedeutenden Komponisten des Landes und nimmt maßgeblich Einfluss auf die kubanische Klassik.
Auf Kuba, so die These von Alén, seien eben jene Einflüsse seit der Wende zum 20. Jahrhundert unterbewertet worden. Die Werke mehrerer Komponisten, darunter José Manuel Jiménez, seien »als eurozentristisch verunglimpft« worden und auch in der universitären Lehre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu kurz gekommen. Das wiederum drängte »Interpreten der Musik ungeachtet ihrer Relevanz in den Hintergrund«.
Das sei zugunsten einer Betonung der afrikanischen und afrokubanischen Wurzeln der kubanischen Musikgeschichte geschehen und sollte, so sein Anspruch, auf den Prüfstand gestellt werden, um sich so »einer realen Einordnung des Schaffens einzelner Künstler in die Geschichte der Musik in Kuba« zu nähern.
VI
1890 hatte sich José Manuel Jiménez endgültig entschlossen, nach Deutschland überzusiedeln. Er entschied sich für Hamburg, wo er die Deutsche Margaretha Filter heiratete und bis zu seinem Tod 1917 als Musiker wirkte. Das deutsch-kubanische Paar Jiménez/Filter hatte drei Kinder, darunter Andrea Jiménez Berroa – und bei diesem Namen kommen Klaus Mann, der deutsche Kolonialismus und der Faschismus zumindest dann ins Spiel, wenn man dem Hinweis von Klaus Manns Schwester Erika folgt, den sie dem Autor Eberhard Spangenberg in einem Brief von 1981 gibt.
Demnach habe Andrea dem deutschen Schriftsteller im Exil, Sohn von Thomas Mann, als Vorbild für eine seiner weiblichen Protagonistinnen in »Mephisto« gedient. Juliette Mertens, »Prinzessin Tehab«, die »Schwarze Perle«, sei also in Wirklichkeit Andrea Manga Bell, geborene Jiménez Berroa, und wäre damit, soweit bekannt, »die erste Deutschkubanerin in der deutschen Literaturgeschichte«, so Olavo Alén.
Allerdings entspricht die im Roman dargestellte Person keinesfalls der tatsächlichen. Mann hat sich wohl von seiner Phantasie leiten lassen, als er Juliette als berechnende, sadomasochistisch veranlagte Hure in Szene setzt und ihr rassistische Züge andichtet, während alle anderen seiner Figuren in »Mephisto« ihren authentischen Vorbildern doch sehr stark ähneln – angefangen beim meisterlich charakterisierten Idealopportunisten, dem Mephisto-Darsteller Hendrik Höfgen (Gustaf Gründgens), über den kommunistischen Schauspieler und Widerstandskämpfer Hans Otto (1900–1933) alias Otto Ulrichs bis zur Schauspielerin und späteren Ehefrau von Naziministerpräsident und Fliegeroberbefehlshaber Hermann Göring, im Buch die Höfgen-Förderin Lotte Lindenthal (Emmy Göring geborene Sonnemann). Die Quellenlage erscheint, abgesehen von Erika Manns Vermutung, recht dünn.
Die tatsächliche Andrea Manga Bell, von Haus aus Grafikerin, arbeitete als Redakteurin bei der Ullstein-Zeitschrift Gebrauchsgraphik in Berlin. Manga Bell hieß sie – »ein sehr hübsches Mädchen, eine deutsche Mulattin« (Alén) –, nachdem sie als Siebzehnjährige mit Sondergenehmigung 1919 einen afrikanischen Prinzen aus Kamerun geheiratet hatte, Alexander Douala-Bell (1897–1963). Das Paar zieht nach Paris, und Alexandre, wie er sich inzwischen nennt, geht drei Jahre später in die nun französische Kolonie Cameroun. Die beiden Kinder, Jose Emmanuel (1920–1947) und Andrea Tüke Ekedi (1921–2003), bleiben bei der Mutter. In Berlin lernt Andrea Ende des zwanziger Jahre den österreichisch-jüdischen Schriftsteller Joseph Roth (1894–1939) kennen – eine tragische Geschichte, die nach der Flucht vor den Nazis mit dem Tod des Alkoholikers Roth in Paris endet. »Joseph Roth war im Exil ein sehr enger Freund von Klaus Mann«, sagt Alén.
Das »Regime der totalen, militant-hochkapitalistischen Diktatur (ging) seinen schauerlichen Weg weiter, und am Rande des Weges häuften sich die Leichen« (S. 365), so die treffliche Bewertung des deutschen Faschismus, die Klaus Mann 1935 vornahm. Der Roman erschien 1936 bei Querido in Amsterdam. In deutschen Landen wurde er 1955 in der DDR bei Aufbau verlegt. In der BRD nur kurzzeitig 1966, doch erschien er schließlich nach einem mehrfach bestätigten Verbotsurteil 1981 bei Rowohlt – zunächst illegal. In der 1982 Oscar-prämierten Verfilmung von István Szabó spielt Klaus Maria Brandauer den fiktiven Gründgens, Rolf Hoppe den »Ministerpräsidenten« (Göring) und Karin Boyd die Juliette Mertens.
VII
Als die Naziwehrmacht Frankreich überfällt, muss Andrea Manga Bell untertauchen und lebt jahrelang versteckt im Untergrund. Sie ist verarmt, Roth hat ihr Geld vertrunken. »Ihr Sohn ist nach Kamerun gefahren, mit seinem Vater, unter französischer Kolonialherrschaft König, über Geld zu diskutieren. Sie haben Hunger, und seine Mutter war immer noch verheiratet mit seinem Vater. Der hat ihn dann 1947 erschossen.«
Es klinge wie ein Krimi, sagt Alén, aber der Sohn wurde vom Vater ermordet. Eine Mordanklage indes bleibt aus. »Die Erklärung dafür ist die, dass Frankreich unbedingt Ruhe in Kamerun braucht, Kamerun birgt reiche Schätze an Uran«, zitiert der Spiegel (34/1950) die trauernde Andrea Manga Bell. Sie stirbt 1985 in Paris. Ihre Bemühungen, ein Mordverfahren gegen Alexandre durchzusetzen, waren gescheitert. Klaus Mann hatte 1949 Selbstmord begangen. Eine Neuauflage seines »Mephisto« bei Langenscheidt war zuvor auf Eis gelegt worden, »denn Herr Gründgens spielt hier bereits eine sehr bedeutende Rolle«.
Olavo Alén Rodríguez/Gudrun Weber: Zwischen Kuba und Deutschland. Leben und Wirken der kubanischen Musikerfamilie Jiménez. Edition Welttrends, Potsdam 2021, 249 Seiten, 16,90 Euro
Gerd Schumann lebt und arbeitet als Autor in Berlin und Mecklenburg. Er war langjährig Leiter des Auslandsressorts von junge Welt. Jüngste Buchveröffentlichungen: »Kaiserstraße. Der deutsche Kolonialismus und seine Geschichte«, »Joschka Fischer. Wollt ihr mich oder eure Träume?« (beide 2021), »Das Morgen im Gestern« (2019). Zuletzt schrieb Schumann an dieser Stelle am 28./29. Januar 2023 »Im Fluss der frühen Jahre: Zu Leben und Tod des US-amerikanischen Musikers David Crosby«
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