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Aus: Ausgabe vom 27.03.2023, Seite 4 / Inland
Geschichtspolitik

Kopfschütteln international

Zusammenschluss für Kommunistin und Frauenrechtlerin: Überregionaler Widerstand gegen Angriff auf Erinnerung an Clara Zetkin in Tübingen
Von Matthias Rude, Tübingen
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Im Visier: Clara-Zetkin-Straße in Tübingen

Im Januar legte eine Kommission zur Überprüfung der Tübinger Straßennamen ihren Abschlussbericht vor. Clara Zetkin wird darin in einem Atemzug mit faschistischen und antisemitischen Namensgebern genannt. Empfohlen wird, die 1985 nach der Kommunistin, Kriegsgegnerin und Frauenrechtlerin benannte Clara-Zetkin-Straße als »in der Kritik stehend« mit einer Markierung zu versehen – einem »Knoten« aus dem 3D-Drucker. Gegen den Vorschlag, über den in den städtischen Gremien im Herbst abgestimmt werden soll, formiert sich Protest.

Das Aktionsbündnis »Kein Knoten für Zetkin« hat den Bericht der Kommission überprüft. Seine Rechercheergebnisse dokumentiert es in einem Papier, das im Internet abrufbar ist. Die Behauptungen gegen Zetkin ließen sich »sogar mit den Quellen, die die Kommission selbst angeführt hat, widerlegen«, heißt es darin. Es geht um zwei zentrale Vorwürfe: »Demokratiefeindlichkeit« und ein angebliches Plädoyer für Todesstrafen im Rahmen eines Prozesses in Sowjetrussland im Jahr 1922. »Zetkin hat sich gegen Todesstrafen eingesetzt«, so Sophie Voigtmann, Sprecherin des Bündnisses. Die Kommission habe »wissenschaftlich unsauber gearbeitet und eine politisch fragwürdige Einschätzung abgeliefert – wir widersprechen entschieden dieser Verunglimpfung Zetkins«.

Das Bündnis wird von verschiedenen antifaschistischen, antimilitaristischen und feministischen Organisationen unterstützt; die Zetkin-Gedenkstätte Birkenwerder und das Zetkin-Haus Stuttgart stehen ebenso hinter seinen Forderungen wie die Tübinger Linkspartei. Letztere organisierte zusammen mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung am 14. März eine Podiumsdiskussion zum Thema. Für die Historikerkommission nahm unter anderem deren Leiter Johannes Großmann teil, der für seine Arbeit »Die Internationale der Konservativen« von der Konrad-Adenauer-Stiftung ausgezeichnet worden ist und momentan ein Forschungsprojekt über die »globale antikommunistische Gemeinschaft« der 1960er Jahre vorantreibt.

Der Berliner Historiker Jörn Schütrumpf, der ebenfalls auf dem Podium saß, machte deutlich: Aus den Briefen Zetkins, an deren Herausgabe er arbeite, gehe hervor, dass ihre Teilnahme an dem Prozess von Anfang an in der Absicht erfolgt sei, Todesurteile zu verhindern. Aus dem Publikum schlug den Kommissionsmitgliedern Unmut entgegen. Claudia Haydt, Vorstandsmitglied der Europäischen Linkspartei, merkte an, was in Tübingen vor sich gehe, löse auch international Kopfschütteln aus.

»Die internationale Rolle Zetkins wird in Deutschland unterschätzt«, meinte auch die deutsch-französische Autorin Florence Hervé im Rahmen einer Lesung über Zetkin anlässlich der Eröffnung des »Linken Ladens Trude Lutz«, benannt nach einer kommunistischen Widerstandskämpferin, am Sonnabend abend in Tübingen. Sie staune immer wieder über den Antikommunismus in Deutschland. Die Vorgänge in Tübingen findet sie »empörend«, wie sie in einer Erklärung für das Bündnis schreibt.

Sogar die Lokalzeitung Schwäbisches Tagblatt bezeichnet den Vorschlag der Kommission inzwischen als »Posse« und fordert in einem Kommentar vom 15. März: »Lieber ein Knoten für Bismarck, Ebert, Wilhelm«. Die repräsentativste Straße der Stadt ist nach König Wilhelm I. von Württemberg benannt. Der bekämpfte die bürgerliche Revolution 1848/49 militärisch, lehnte Volksvertretungen ab, führte Prügel- und Todesstrafe ein. Im Gegensatz zu Zetkin sieht die Kommission bei ihm »keine konkreten Hinweise auf eine ethische Problemlage«.

Am Freitag vermeldete der SWR, dass Zetkin für Todesstrafen plädiert habe, sei »umstritten und mittlerweile zurückgenommen«. Unterdessen kündigt das Bündnis weiteren Protest an. »Wir erfahren Zuspruch, das Bündnis wächst«, sagt Voigtmann, und: »Zetkins Kampf für Frieden und die Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung gilt es gerade heute zu erinnern und zu verteidigen.«

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Max G. aus Tübingen (28. März 2023 um 19:55 Uhr)
    Die Bismarckstraße stellt offenbar kein Problem für die Historikerkommission dar. Man muss aber anmerken, dass unweit jener Straße die August-Bebel-Straße liegt. Das dürfte dem Eisernen Kanzler nicht schmecken.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (27. März 2023 um 12:22 Uhr)
    »Der nächste Faschismus wird auf den leisen Sohlen des Antifaschismus daher kommen.«

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