Zensurvorlage zurückgezogen
Von Nick Brauns
Der Musiker Roger Waters darf am 21. Mai in der Münchner Olympiahalle auftreten. Eine ursprünglich seinerseits erhoffte Kündigung der Halle sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, musste der Stadtrat am Mittwoch in einem Beschluss eingestehen. Sowohl die Stadtratskoalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen als auch die CSU-Opposition unterstellt dem Mitbegründer der Rockformation Pink Floyd aufgrund seiner Unterstützung der Israel-Boykottkampagne BDS, die sich für die Rechte der Palästinenser einsetzt, ein Antisemit zu sein. Angekreidet wird ihm zudem, dass er bei seinen Bühnenshows Luftballons in Schweineform aufsteigen lässt, auf denen – neben anderen religiösen, weltanschaulichen und kommerziellen Symbolen – manchmal auch ein Davidstern abgebildet ist. Da sich der Musiker nicht nur gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine positioniert hat, sondern auch »Provokationen« der NATO und der ukrainischen Regierung mitverantwortlich für den Krieg macht, wird ihm zudem das Verbreiten von »Verschwörungsmythen« unterstellt.
Vor der Vollversammlung des Stadtrates, in der zunächst über eine CSU-Beschlussvorlage zur Kündigung des Vertrages zwischen der städtischen Betreibergesellschaft der Olympiahalle und dem Konzertveranstalter abgestimmt werden sollte, hatte Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) die Regierung von Oberbayern um eine juristische Einschätzung gebeten. Diese dem bayerischen Innenministerium unterstellte Mittelbehörde für den Regierungsbezirk Oberbayern hat daraufhin deutlich gemacht, dass eine Hallenkündigung nicht zulässig sei. Sie verwies auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom Januar letzten Jahres. Das Gericht hatte einen Münchner Stadtratsbeschluss für verfassungswidrig erklärt, der BDS-nahen Personen die Nutzung öffentlicher Räume untersagte. Auch unliebsame Äußerungen dürften nicht zu einer Verweigerung der Raumnutzung führen, solange diese der Widmung eines Veranstaltungsortes beispielsweise als Konzerthalle entsprechen, hatte das Gericht unter Verweis auf das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung betont.
Waters schüre Antisemitismus und seine Haltung zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine »überschneidet sich an vielen Stellen mit der Propaganda aus dem Kreml«, wiederholte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Dominik Krause in der Stadtratssitzung die Vorwürfe gegen den Künstler. Oberbürgermeister Reiter kündige an, gemeinsam mit der Landesregierung nach gesetzlichen Grundlagen zu suchen, damit Kommunen zukünftig solche Auftritte verbieten können. Laut dem nun an die rechtliche Lage angepassten Stadtratsbeschluss will die Stadt rund um das Konzert Zeichen für Völkerverständigung sowie gegen Antisemitismus setzen und für das Existenzrecht Israels ebenso wie für die Souveränität der Ukraine eintreten. Gemeint ist wohl, dass im Olympiapark Flaggen der beiden Staaten aufgezogen werden.
Eine Verhinderung der Waters-Konzerte wird insbesondere von Israel-Lobbyorganisationen und jüdischen Gemeinden gefordert. Gegen die Kündigung der Festhalle in Frankfurt am Main durch den dortigen Magistrat und das Land Hessen hat Waters rechtliche Schritte angekündigt. Den Antisemitismusvorwurf hat der Künstler zuletzt Ende vergangener Woche im Interview mit dem Spiegel entschieden zurückgewiesen. »Gebt den Völkern im Heiligen Land gleiche Menschenrechte«, forderte er darin mit Blick auf die von ihm beklagte »Apartheid« in Israel.
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Leserbrief von Peter Groß aus Bodenseekreis (24. März 2023 um 17:43 Uhr)»Lieder, die nicht so piefig waren wie Schlager, wurden in den Sechzigern auf einer Burg im Hunsrück gespielt. Als die Politik kam, war alles aus«, erinnerte Reinhard Mey (taz). Damals wurden auf der Burg Waldeck revolutionär-politische Diskussionswerkstätten inszeniert. 1977 ließen Pink Floyd das Schwein protestfrei in der Deutschlandhalle schweben. Es dauerte nicht lange und man konnte mediale Aufmerksamkeit durch parteiischen Protest mobilisieren, war erfolgreich durch unreflektierte, kulturelle Hasspredigten ordentlich Kasse zu machen. »Einst sprach Rechtsanwalt Hermann Alter, damals einer der Mitorganisatoren des erfolgreichen Protests der Jüdischen Gemeinde Frankfurt gegen die Aufführung ›Der Müll, die Stadt und der Tod‹ (inklusive einer Eintrittskartenfälschungsaktion), zwischendurch von dem ›Dreck‹, der hier subventioniert worden sei«(FR). Die Subventionen flossen reichlich und umfangreich dorthin von wo das Geschrei am lautesten tönte. Luftballons wurden zu besonderen Hassobjekten. NENA mobbte man mit Querdenkerunterstellungen von der Bühne und mobilisierte gegen das kapitalismuskritische Pink-Floyd-Schwein. Sind Konzertbesucher Querdenker? Gibt es einen Bonus für Nostalgiker, die im großen Kreis früherer »Haschrebellen« die Gedanken fliegen ließen oder mit Hippies aus der Sowjetunion auf Klangteppichen schwebten. Waters ist ja nicht allein. Es gab eine Völkerfreundschaft, heute verschwiegen, teils verboten, aus Wissenschaftlern, Künstlern, kulturell Interessierten. Soweit ich es herausfinden konnte aus 105 deutsch-russischen Städtepartnerschaften, 18 Städtefreundschaften, 15 kommunalen Kooperationen und regionalen Partnerschaften mit Bürger-, Schüler- und Studentenaustausch, die niederschwellig, unabhängig von sozialen Schranken, direkte Begegnungen, besonders der jüngeren (Kultur)Generation ermöglichten. Schockierend ist, dass ausgerechnet Universitäten den Forschungs-, Projekt- und Gedankenaustausch aufkündigten und Russendiskos nicht mehr stattfinden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (23. März 2023 um 13:00 Uhr)Warum macht die junge Welt ständig Werbung für diesen größenwahnsinnigen Künstler? Waters spricht von einem »abscheulichen Angriffskrieg« Putins. 1990 feierte er in Berlin die Konterrevolution mit einem Konzert. Auf seinen Konzerten wird ein gehörntes, schwarzes Schwein mit Davidstern, Hammer und Sichel von der johlenden Menge zerrissen. Zitat aus dem Interview mit Roger Waters im Magazin Counter Punch 2013: »Es gab viele Menschen, die so taten, als wenn die Unterdrückung der Juden nicht stattfinden würde. Zwischen 1933 und 1946. Nun gibt es ein neues Szenario. Nur dass es jetzt die Palästinenser sind, die ermordet werden.« Mehr Antisemitismus und Antikommunismus geht nun wirklich nicht mehr. Und die BDS-Kampagne? Unter den Unterstützern sind auch fragwürdige Gestalten, denen es gar nicht um das Schicksal der Palästinenser geht, sondern um ihrem Antisemitismus ein humanes Mäntelchen umzuhängen. Waters ist das beste Beispiel. Und was wäre der israelische »Apartheidstaat« ohne die Unterstützung durch die von Deutschland dominierte EU? Eine Kampagne »Kauft nicht bei Deutschen« gibt es aber nicht.
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Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (23. März 2023 um 14:33 Uhr)Auch wenn offenbar Ihre ganz persönlichen religiösen Gefühle verletzt sind: Laut Grundgesetz herrscht Meinungsfreiheit (Artikel 5). Und der Hinweis, dass etwa im Nahen Osten die Nachfahren der Opfer heute auch Täter sein können, mag betrüblich sein – aber er gehört zur Wahrheit, welche die Anti-BDS-Hetzer nicht so gerne hören.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Lenard S. aus München (23. März 2023 um 11:31 Uhr)Es ist sprachlich gesehen interessant zu betrachten, wie sich die bürgerliche Mainstreampresse in ihrer hasserfüllten Wortwahl immer mehr steigert: von »Verschörungstheorien« über »Verschwörungsmärchen« sind sie nun bei »Verschwörungsmythen« angelangt, damit auch jedem klar wird, wie sehr ihnen die Meinung des andersdenkenden missfällt und wie absurd dessen Inhalte sind. Dass CSU und Grüne mal derartig an einem Strang ziehen würden, hätte vor 30 Jahren niemand vorhersehen können. Es zeugt aber einmal mehr davon, was sich für ein neoliberaler, reaktionärer NATO-Einheitsbrei mittlerweile als politischer »Konsens« etabliert hat. Lauter verschiedenfarbig angepinselte Parteien, und doch ist es alles dasselbe.
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Leserbrief von B. Schroeder aus Apen (23. März 2023 um 10:42 Uhr)Seit langem eine mehr als gute Botschaft in Zeiten von Hetze, Verleumdungen und Lügen. Die woke Politik, eine willige Künstlerszene und die allwissende Kriegspresse hat mit ihrer Diffamierungskampagne eine Pleite erlitten, vorerst. Ich ahne aber jetzt schon, dass die »Stalingrad-Fraktion 2.0« in allen Bereichen erneut den »Antisemitismus-Hammer« schwingen wird, um Waters erneut das Konzert zu sabotieren. Wenn Waters schon nicht mit seiner Sicht der Dinge im Ukraine-Krieg belangt werden kann, dann tun sich mit den an den Haaren herbeigezogenen Antisemitismusvorwürfen ein breites Feld an Vorwürfen auf. Zudem hat sich die Regierung gerade eine fragwürdige Gesetzgebung auferlegt, bestimmt Meinungen und Äußerungen unter Strafe zu stellen … eine andere Form von Maulkorberlass. Wir dürfen auf die Reaktion der »Gutmenschen« gespannt sein …
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (23. März 2023 um 02:14 Uhr)»Überschneidet sich an vielen Stellen mit der Propaganda aus dem Kreml«. Dagegen muss man entschieden vorgehen, da der Kreml stets zu 100 Prozent Unrecht hat. Würde man den russischen Bedenken, Erklärungen, Sicherheitsbedürfnisssen auch nur zu fünf Prozent nachgeben und Verständnis zeigen, dann würde sich unsere Haltung ja bereits an vielen Stellen mit denen des Kremls überschneiden – undenkbar. Wir haben zu 100 Prozent Recht, sind am Ukrainekrieg zu 100 Prozent schuldlos, verbreiten keine Propaganda, vor allem keine ukrainische Propaganda. Propaganda ist im Krieg sowieso undenkbar, jedenfalls auf unserer Seite. Waters beteiligt sich am Boykott gegen Israel, weil er der Meinung der UNO ist, dass Israel seit über 50 Jahren widerrechtlich Territorien besetzt hält und dort Menschenrechtsverletzungen und teils sogar Kriegsverbrechen (die belegbar sind) beging. Das geht gar nicht. 40 westliche Staaten sind der Meinung, dass Russland widerrechtlich seit nur einem Jahr Territorien besetzt hält und dort Kriegsverbrechen (bisher nicht belegt) beging. Doch wir rufen da nicht nur zum Boykott von Russland auf wie Waters. Nein, wir führen ihn mit insgesamt über 11.000 Sanktionen selbst durch, beschlagnahmen das Staatsvermögen Russlands, liefern Waffen und logistische Unterstützung für die Ukraine, setzen den gesamten Propagandaapparat für sie ein. Das geht selbstverständlich. Wann bricht dieses Paralleluniversum eines Lügengebäudes endlich zusammen? Obwohl Israel gegen die palästinensische Bevölkerung Kriegsverbrechen beging, hätte ich dennoch ihr Staatssymbol nicht auf dieses Schwein geklebt, im Gedenken an die Vergangenheit. Aber Selenskij würde ich direkt ins Gesicht sagen: »Du bist ein Schwein, welches dennoch von allen westlichen Parlamenten mit stehendem Applaus bedacht wird (Donezk, Uranmunition)«. Was ist ein fehlplatzierter Stern auf einem Ballon gegen das Leserforum von Die Zeit, welches täglich seinen blutrünstigen Schlamm über Russland ergießt – gewünscht, weil nicht zensiert.
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