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Aus: Ausgabe vom 20.03.2023, Seite 4 / Inland
Aufrüstung des Westens

Blindes Vertrauen

Bundesregierung hat keine Angaben über Umfang von ausländischem Kriegsgerät, das über deutsche Häfen verschickt wird
Von Kristian Stemmler
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Warten auf Weiterfahrt: US-amerikanische Militärfahrzeuge im Seehafen von Bremerhaven (3.3.2023)

Sie wissen von nichts: Seit etlichen Wochen werden über deutsche Häfen Kampfpanzer und allerlei anderes Kriegsgerät in die Ukraine geliefert – doch die Bundesregierung hat offenbar keine Ahnung, was da genau angelandet wird. Diesen Schluss zieht jedenfalls Amira Mohamed Ali, Kovorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, aus der Antwort der Regierung auf eine Anfrage ihrer Fraktion. Darin erklärte die Bundesregierung, sie habe keine Informationen darüber, welche Waffen für die Ukraine seit Kriegsausbruch von den USA und anderen Staaten über deutsche Häfen geliefert wurden. Sie halte dieses »blinde Vertrauen für hochgefährlich«, kritisierte Mohamed Ali in einer Mitteilung vom Freitag.

Durch eigene Waffenlieferungen und den Transport von internationalem Kriegsgerät beraube sich Deutschland »immer mehr der Möglichkeit, in diesem Konflikt deeskalierend zu wirken«, so die Linke-Politikerin weiter. Immer mehr Militärexperten betonten, dass der Krieg nicht auf dem Schlachtfeld entschieden werden könne. »Wir brauchen endlich Diplomatie statt Panzer«, sagte Mohamed Ali. Deutschland müsse sich den internationalen Friedensinitiativen anschließen und sich für einen Waffenstillstand sowie anschließende Friedensverhandlungen einsetzen.

Die Kofraktionschefin verwies darauf, dass seit Februar in Bremerhaven schweres Kriegsgerät für die Ukraine von US-Frachtschiffen entladen werde. Weder Hafenbehörde noch Bundeswehr oder US-Armee hätten sich bisher zum Umfang der Waffentransporte geäußert. Die Nordsee-Zeitung berichtete am 2. März von Hunderten Militärfahrzeugen, die im Hafen von Bremerhaven auf ihren Weitertransport nach Osten warteten. Auf der sogenannten ABC-Halbinsel, einer Fläche so groß wie 14 Fußballfelder, ständen sie in langen Reihen: Kampfpanzer, Schützenpanzer, Bergepanzer, unzählige Militärlastwagen und -transporter sowie Geländefahrzeuge. Auch die Umrisse eines Kampfhubschraubers seien zu erkennen, so die Nordsee-Zeitung.

Ekkehard Lentz, Sprecher des Bremer Friedensforums, erklärte am Sonnabend gegenüber junge Welt, die »enorme Militarisierung« werde auch im Norden greifbar. Bremerhaven werde immer mehr zur »Drehschreibe von schweren Waffen«. In der Hafenstadt habe die USA erst kürzlich rund 150 Panzer für die Ukraine verladen lassen, so Lentz. »In den nächsten Wochen und Monaten pumpen US-Schiffe laufend Kriegsmaterial nach Bremerhaven zum Weitertransport nach Osteuropa«, erklärte der Aktivist und verwies auf Angaben der Nordsee-Zeitung, denen zufolge in den kommenden Wochen und Monaten insgesamt 150 weitere Schiffe mit militärischer Ausrüstung erwartet würden.

Die Häfen in Kiel, Hamburg, Bremerhaven und Wilhelmshaven seien schon länger Umschlagplatz für Rüstungsexporte und Militärtransporte, kritisierte Lentz. Die Ostsee werde mit den Marinestützpunkten in Kiel und dem Lagezentrum in Rostock in diesem geostrategisch bedeutsamen Raum weiter zur Gefahrenquelle in der Auseinandersetzung der NATO mit Russland. Im Juni solle die Logistik für das NATO-Manöver »Air Defender 23«, zudem die größte NATO-Luftwaffenübung seit dem Ende des Kalten Krieges, über den Fliegerhorst Wunstorf abgewickelt werden. »Alle diese Standorte sind mit den militärischen Aktivitäten auf den Ukraine-Krieg ausgerichtet, können aber auch für weitere Kriege in Europa und der Welt genutzt werden«, warnte der Friedensaktivist.

Das Bremer Friedensforum setze sich im Verbund norddeutscher Friedensgruppen dagegen für eine »radikale Entmilitarisierung« und eine zivile Außenpolitik ein. »Wir unterstützen die Forderung des diesjährigen Bremerhavener Ostermarsches: »Bremerhaven soll Friedenshafen sein, kein Kriegshafen! Stopp der Waffeneinfuhr über Bremerhaven!« Lentz verwies weiter auf die Bremerhavener Initiative »Mut zum Frieden«, die an jedem Freitag vor der Großen Kirche in der Bürgermeister-Smidt-Straße 47 um 16 Uhr bei einer Mahnwache die Forderung vorbringe: »Keine Waffen und Munition über Bremerhaven!«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (20. März 2023 um 10:33 Uhr)
    Versteinertes Besatzungsrecht! Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat 2006 in einem Gutachten bestätigt, dass die Westalliierten nie auf ihre Besatzungsrechte in Deutschland verzichtet haben. In dem Gutachten, dessen Titel »Überleitungsvertrag und Feindstaatenklauseln im Lichte der völkerrechtlichen Souveränität der BRD« lautet, erläutert die Seite sieben, bei den fortgeltenden Bestimmungen handle es sich im Wesentlichen um ein sogenanntes »versteinertes Besatzungsrecht«, das seit Ende des Zweiten Weltkriegs gelte. Wenn die USA unlängst die Entscheidung traf, dass Deutschland kein russisches Gas kaufen darf, dann wird es so gemacht und das politische Deutschland muss kuschen! Die USA besitzen auch weiterhin in Deutschland Militärbasen als eigenes Hoheitsgebiete, wie Ramstein und bestimmten Hafengebieten. Über die dortigen Geschehen braucht sie keine Auskunft zu geben. Weiterhin ist es eindeutig nachvollziehbar auch, dass die deutsche Außenpolitik immer ein Vasall des Nordatlantikpaktes gewesen war und ist. Also ist es nicht ein »blindes Vertrauen« wie der Vertreter von die Linke es vermutet und hochgefährlich hält, sondern bestimmten Besatzungsrechte gelten nach wie vor!

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