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Aus: Ausgabe vom 18.03.2023, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Instrumente der Aufklärung

Der lebenslange Kampf gegen das Dabeiseiern: Wiglaf Drostes sprachkritische Glossen »Vollbad im Gesinnungsschaum«
Von Peter Köhler
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»Wer die Aufrichtigkeit seiner Gefühle betonen muss, weiß, warum.« Wiglaf Droste hält’s im Kopf nicht aus

Als Polemiker und Alleszermalmer hatte Wiglaf Droste, der 2019 im Alter von 57 Jahren starb, in der deutschen Publizistik ein »Alleinstellungsmerkmal« inne – und hätte als Sprachkritiker, dem besonders die Zurichtung des Deutschen durch Politiker, Ökonomen, Werber und Journalisten zuwider war, vielleicht auch dieser Vokabel eine Glosse gewidmet, in der sich die marktgängige Egozentrik und ellenbogenhafte Wettbewerbsideologie des Kapitalismus spiegeln.

Zwar kann man einwenden, dass diese »Denke« und jene Eigenschaft auf dem Feld der freien Berufe, wie dem des Schriftstellers, unabdingbar sind. Aber als einer von wenigen war Wiglaf Droste ein Individualist, dessen starkes Ego sich im Widerstand gegen die Anpassung an und die Unterwerfung unter die Normen der bürgerlichen Gesellschaft befand.

Seine Opposition ging vom Grundsätzlichen – denn »Menschenrechte sind ein gut klingender Vorwand für wirtschaftliche Interessen« – bis ins besondere Wort und konnte schon die Zurichtung der Sprache durch Wörter wie ebendiese »Denke«, die »Schreibe« oder »die nötige Kenne« betreffen, die das Denken, das Schreiben und die nötige Kennerschaft banalisieren. Oder er wusste den Pleonasmus »aufrichtiges Beileid«, das Angela Merkel nach dem Tod eines Soldaten den Hinterbliebenen aussprach, kühl zu entzaubern: »Wer die Aufrichtigkeit seiner Gefühle betonen muss, weiß, warum.« Und hielt dagegen: »Mein Beileid für diese Bundeskanzlerin beispielsweise wäre immer ein unaufrichtiges.«

Damit stünde Wiglaf Droste weit außerhalb der von ihm schon mal »Volksgemeinschaft« genannten deutschen Gesellschaft und zugleich Sprachgemeinschaft; es ist diese Position des radikalen Außenseiters, die seine von Klaus Bittermann in dem Band »Vollbad im Gesinnungsschaum« gesammelten sprach- und stets auch ideologiekritischen Kolumnen bestimmt und auszeichnet.

Der Einzelkämpfer Wiglaf Droste war so wenig ein Parteisoldat wie Heinrich Heine. Als dessen Nachfahre war auch ihm Talent wichtiger als Gesinnung – Gesinnung enthüllt als plattes Einverständnis mit dem irgendwie Gutgemeinten, das ein »intensives Gefühl des Wohlbefindens« bewirkt und den Einzelnen in einem Kollektiv verschwinden lässt, das allzumal das Vaterland, das Deutsch sprechende, ist. Was Droste über die neuen sozialen Medien sagt: »Vom Dabeisein zum Dabeiseiern ist es nur ein kleiner Schritt« – das gilt für die alten schon lange.

»Konsens-Unfug, Solidaritäts-Kitsch und aufgeblasene Gratis-Bekenntnisse« waren Droste ein Gräuel. So im Fall der links und progressiv wirkenden »Ich bin ein Ausländer«-Aktion und -Phraseologie, die jedoch »nicht das Geringste verändert oder verhindert«; sondern wer mittut, will »in der schönen Gewissheit umherstolzieren, seinen guten Willen bekundet zu haben«. Dabei kann die Sache nach hinten losgehen und die Sympathie mit den Fremden ins Gegenteil umschlagen, weil ihr eine naive Weltsicht zugrunde liegt: »dass jeder Ausländer ein guter Mensch zu sein habe«. Droste nüchtern: »Dabei muss er das Recht haben, genauso unangenehm zu sein wie jeder Deutsche.«

Solche Merksätze finden sich in vielen Texten, und da Droste sein Dagegensein phantasievoll in Worte setzt, ist die Lektüre nicht nur aufklärerisch, sondern auch vergnüglich. Ob er die »Gaspedalsorte Mensch« verhöhnt oder das »ölige Erfolgsgrinsekaff München« aufs Korn nimmt, den »Heinz-Rühmann-Wiedergänger« Jan Josef Liefers bespöttelt, den »­Kreativ-Chef« einer Reklameagentur als »Pflaumenaugust« auslacht oder die »Islamisten und Christianisten« als »hohle Napfsülzen« hänselt, statt für Verdruss sorgt Droste für Aufschluss und jede Menge Spaß, wenn er all den »Schruz und Schrapel« entlarvt.

Die Antwort auf die Frage »Wo bleibt das Positive?« ist damit klar: Es ist Drostes Liebe zur deutschen Sprache, die ihm ebenso »ein Instrument der Aufklärung, ein Mittel zur zumindest partiellen Überquerung des Ozeans unserer Unwissenheit« ist wie »ein Spender der Freude, eine nie endende Spielwiese und«, unvermutet und daher besonders schön beim Individualisten Droste, »eine Möglichkeit, einander beizustehen und zu ermutigen.«

Die trotz aller Anstrengungen von Politikern und Werbefritzen immer einmal aufblinkende, nicht zu verschandelnde Schönheit des Deutschen, ihr Reichtum, begeistert ihn und lässt ihn sogar den Duden als Fundgrube schöner Wörter preisen – überraschend und doch überzeugend etwa: »Bratpfanne«. Der Polemiker erweist sich zu guter Letzt als sensibler Schöngeist: »Wer die Sprache liebt, wer ihr auf den Grund gehen und ihr auf all ihre schönen Schliche kommen will, hat mannigfach Gelegenheit dazu, und Freude macht das auch.«

Wiglaf Droste: Vollbad im Gesinnungsschaum. Sprachkritische Glossen. Hrsg. v. Klaus Bittermann. Edition Tiamat, Berlin 2023, 304 Seiten, 22 Euro

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