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Aus: Ausgabe vom 18.03.2023, Seite 7 / Ausland
Koloniales Erbe Japans

Gut weggekommen

Streit um Entschädigungen für japanische Kolonialverbrechen in Südkorea scheint beigelegt
Von Igor Kusar, Tokio
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Zwei rechte Staatschefs sind sich einig: Südkoreas Präsident Yoon mit seinem Amtskollegen Kishida in Tokio (16.3.2023)

Wieder einmal scheinen Japan und Südkorea vor einem historischen Durchbruch zu stehen, der den Streit um die Interpretation der japanischen Kolonialherrschaft in Korea (1910–1945) beilegen könnte. Zu diesem Zweck besuchte der südkoreanische Präsident Yoon Suk Yeol am Donnerstag Tokio und traf dabei den japanischen Premier Fumio Kishida. Yoon wollte damit seinen festen Willen öffentlich machen, die bilateralen Beziehungen zu normalisieren.

Es war das erste Mal seit zwölf Jahren, dass ein südkoreanisches Staatsoberhaupt Japan zu bilateralen Gesprächen aufsuchte. Die beiden Staatschefs kamen überein, die Zusammenarbeit in politischen und wirtschaftlicher Zusammenhängen sowie den kulturellen Austausch zu stärken. Die Beziehungen hatten 2018 einen Tiefpunkt erreicht, als das oberste Gericht Südkoreas die beiden japanischen Firmen Nippon Steel und Mitsubishi Heavy Industries anwies, früheren südkoreanischen Zwangsarbeitern und deren Familien Schadenersatz zu zahlen. Tokio beharrte dagegen auf dem Standpunkt, dass alle Fragen bezüglich der Kolonialherrschaft über die koreanische Halbinsel inklusive Kompensationszahlungen an die Opfer im Grundlagenvertrag von 1965 »ein für allemal« geregelt worden seien. Der Streit um das Gerichtsurteil von 2018 wuchs sich schließlich zu einer Art Handelskrieg aus.

Der Umgangston beider Staaten miteinander änderte sich erst, als Yoon im vergangenen Mai zum Präsidenten gewählt wurde. Japan und Südkorea begannen hinter den Kulissen an diplomatischen Lösungen zu arbeiten. Hintergrund waren die steigenden Spannungen im ostasiatischen Raum, insbesondere die als militärische Bedrohung wahrgenommene Demokratische Volksrepublik Korea und der wirtschaftliche Aufstieg Chinas. Mit der Wiederaufnahme der bilateralen Gespräche will Yoon zudem seine Stellung auf dem internationalen Parkett verbessern, nicht zuletzt die Beziehungen zu den USA.

Letzte Woche hatte die südkoreanische Seite bekanntgegeben, die Zwangsarbeiter mittels eines Fonds entschädigen zu wollen, der sich aus privaten südkoreanischen Spenden speist. Diese für Japan preiswerte Lösung wurde von Tokio prompt honoriert: Die Regierung Kishida gab am Donnerstag bekannt, ihre Ausfuhrrestriktion für kritische Materialien zur Herstellung von Chips und Displays gegen Südkorea von 2019 aufzuheben. Als Antwort darauf will Seoul ein vor der Welthandelsorganisation (WTO) angestrengtes Schlichtungsverfahren zurückziehen. Diese Annäherungen sollten den Weg zur weiteren Zusammenarbeit im Bereich wirtschaftliche Sicherheit und Lieferketten ebnen.

Doch die Euphorie, die beide Seiten beim Besuch Yoons zeigten, könnte verfrüht sein. Laut einer Umfrage von Gallup Korea waren 59 Prozent der befragten Südkoreaner gegen die Aufhebung des Gerichtsurteils von 2018. Als Grund gaben sie an, die japanische Seite habe eine Verantwortung, sich zu entschuldigen und direkte Entschädigungszahlungen zu leisten.

In Japan hingegen, das bei diesem Deal gut wegzukommen scheint, befürworten laut einer Umfrage von Kyodo News 57 Prozent der Befragten die neuesten diplomatischen Schritte. Selbst konservative Kreise sind voller Lob für Yoon. Trotzdem mahnen auch hier Stimmen zur Vorsicht: Der südkoreanische Präsident werde es schwer haben, seine Bevölkerung und vor allem die ehemaligen Zwangsarbeiter umzustimmen.

In der japanischen Zivilbevölkerung regen sich allerdings auch kritische Töne: Mit der neuen Entscheidung Südkoreas werde Tokio aus seiner Verantwortung entlassen, ohne sich eines Verbrechens gegenüber den Zwangsarbeitern bewusst zu sein. Dadurch können die Opfer ihre »Würde« nicht wiedergewinnen, so der Tenor eines Statements des Netzwerks zur Aufarbeitung des Zwangsarbeiterproblems vom 7. März. Einer grundsätzlichen Lösung des Problems sei man durch die neuen Abmachungen keinen Schritt nähergekommen.

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