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Aus: Ausgabe vom 18.03.2023, Seite 4 / Inland
Militarismus und Krieg

Washingtons General

Carsten Breuer ist seit Freitag Generalinspekteur der Bundeswehr. Vorgänger war nach Zweifeln an Siegeschancen der Ukraine in Ungnade gefallen
Von Nick Brauns
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Alte Kameraden: General Breuer (l.) und Minister Pistorius (Berlin, 17.3.2023)

Wachwechsel an der Spitze der deutschen Armee: Am Freitag trat General Carsten Breuer sein Amt als neuer Generalinspekteur der Bundeswehr an. Im Bendlerblock, dem Berliner Dienstsitz des Verteidigungsministeriums, wurde der 58jährige oberste Soldat der Bundeswehr am Nachmittag von Minister Boris Pistorius (SPD), mit dem er bereits in den 80er Jahren seinen Grundwehrdienst bei einem Flugabwehrregiment geleistet hatte, mit militärischen Ehren empfangen. Pistorius hatte am Donnerstag Breuers Vorgänger, den 63jährigen General Eberhard Zorn, nach fünf Jahren an der Truppenspitze in den vorläufigen Ruhestand versetzt. Mit den Worten »Ich gehe weder zur EU noch zur Industrie noch schließe ich einen Beratervertrag ab. Und in Talkshows werden Sie mich nicht sehen«, hatte sich Zorn am Donnerstag nach fast 45 Dienstjahren von der Truppe abgemeldet.

Dem Generalinspekteur unterstehen alle deutschen Soldaten; er ist für die militärische Gesamtkonzeption und Führung der Streitkräfte und ihrer Einsätze verantwortlich. Zudem fungiert er als militärischer Berater der Bundesregierung und gehört der Leitung des Verteidigungsministeriums an. Breuer, der von Pistorius am Freitag seinen vierten »Generalstern« entgegennahm, war einer breiten Öffentlichkeit bereits als »Coronageneral« bekannt, nachdem er Ende 2021 von Olaf Scholz (SPD) als Leiter des Coronakrisenstabs ins Bundeskanzleramt geholt worden war.

Als nunmehr frischgebackener »Zeitenwende-General«, wie er in verschiedenen Medien genannt wird, soll Breuer im Unterschied zu seinem nicht allzu fordernd aufgetretenen Vorgänger Zorn das gigantische Aufrüstungsprogramm der Bundeswehr vorantreiben. Mit der Wehrbeauftragten Eva Högl (SPD), die bei Vorlage ihres Jahresberichts in dieser Woche den Bedarf der Truppe mal eben auf 300 Milliarden Euro bezifferte, und der faktisch als Rüstungslobbyistin agierenden Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), stehen auf Parlamentsebene bereits kongeniale Mitspielerinnen in den Startlöchern.

Zorn hatte im September den Unmut sowohl der Ampelkoalition – insbesondere der Grünen – als auch des »großen Bruders« jenseits des Atlantiks auf sich gezogen, als er im Interview mit dem Focus bezweifelte, dass die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnen könne. Er sehe allenfalls »Gegenstöße, mit denen man Orte oder einzelne Frontabschnitte zurückgewinnen, aber nicht Russland auf breiter Front zurückdrängen kann«, hatte der General erklärt. Zugleich sprach er sich gegen weitere Waffenlieferungen Deutschlands an die Ukrai­ne aus, insofern sie zu Lasten der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr gingen. Der ehemalige Kommandeur der US-Streitkräfte in Europa, Ben Hodges, nannte Zorns Ausführungen damals auf Twitter eine »atemberaubend dürftige Analyse der russischen Fähigkeiten«, die stellvertretend für das Denken der deutschen »Eliten« stehe. Zwar hat der weitere Kriegsverlauf bislang Zorns Annahmen bestätigt. Nicht unwahrscheinlich ist jedoch, dass die bellizistischen Hardliner auf eine Gelegenheit gewartet haben, den General gegen einen für ihre Zwecke geeigneteren und Washington genehmeren Mann auszutauschen.

Schon biographisch zeigt sich bei Breuer – der nach eigenen Angaben wiederholt Gast in der transatlantischen Lobbyvereinigung »Atlantik-Brücke« war – eine größere US-Nähe als bei seinem Vorgänger. Während Zorn in den 90er Jahren eine ergänzende französische Generalstabsausbildung gemacht hatte, absolvierte Breuer von 2001 bis 2002 in Fort Leaven­worth im US-Bundesstaat Kansas einen amerikanischen Generalstabslehrgang. Zwischen 2008 und 2010 war er als Stellvertreter des »Supreme Allied Commander Transformation Representative in Europe« im NATO-Hauptquartier in Brüssel eng in die Führungsstrukturen des US-geführten Kriegsbündnisses eingebunden.

Zuletzt war Breuer Befehlshaber des im Oktober 2021 neu aufgestellten territorialen Führungskommandos der Bundeswehr. Es soll die laut Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht nur im engen Rahmen zulässigen Inlandseinsätze der Bundeswehr leiten – einschließlich möglicher Einsätze bei Krisenlagen. Bereits 2016 war in dem unter Breuers Regie als Leiter der Projektgruppe »Weißbuch« veröffentlichten militärpolitischen Grundlagendokument der Bundeswehr erklärt worden, die Streitkräfte sollten zur Unterstützung der Polizei »auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen können«.

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  • Leserbrief von B.Schroeder aus Apen (18. März 2023 um 12:38 Uhr)
    »Captain Corona« … oder wie der Erfolg von Vetternwirtschaft und alten Seilschaften fröhliche Urstände feiert. Pistorius und Breuer haben zusammen den Grundwehrdienst abgeleistet, mir kommen die Tränen. Aber als »alte Vaterlandsverteidiger« kommt das in Zeiten aufkommenden Faschismus sehr gelegen. Und es geht wieder gegen Russland, das eint um so mehr. Stalingrad 2.0 oder Endlich der »Endsieg« … was gibt es schöneres für »alte Kameraden« ! Warten wir Bachmut erst einmal ab, bevor nachgeladen wird!

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