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Aus: Ausgabe vom 11.03.2023, Seite 8 / Inland
Widerstand gegen Unterdrückung

»Feminismus nicht von der Klassenfrage trennen«

Stuttgart: Rund 7.000 Menschen protestierten am Frauenkampftag gegen Patriarchat und Kapitalismus. Ein Gespräch mit der Aktivistin Yvonne
Interview: Hendrik Pachinger
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Kein Widerspruch, sondern notwendig: Feminismus und Klassenkampf (Berlin, 8.3.2023)

Am Frauenkampftag gingen in Stuttgart am Mittwoch knapp 7.000 Menschen auf die Straße. Aufgerufen hatte ein Bündnis der Gewerkschaften und linker Organisationen. Ist der Schulterschluss von Gewerkschaften und feministischer Bewegung geglückt?

Der 8. März war beides: Frauenkampftag und Warnstreik im öffentlichen Dienst. Deshalb waren unter anderem Verdi, die »DGB Frauen«, Gruppen aus der kurdischen und türkischen Bewegung, aus dem Iran, revolutionäre Linke, aber auch gewerkschaftliche Betriebsgruppen beteiligt. Bei nicht wenigen gab es zunächst die Sorge, dass die »eigenen« Themen zu kurz kommen könnten. Allerdings können mit Geduld, Offenheit und Gesprächsbereitschaft gegenseitiges Vertrauen aufgebaut und Beschäftigte und feministische Aktivistinnen zusammengebracht werden.

Dazu kommt, dass der Arbeitskampf gerade in den sozialen Teilen des öffentlichen Dienstes überwiegend Frauen betrifft: Der Gender-Pay-Gap, mehrfache Überlastung, Teilzeit, um die anfallende Haus- und Sorgearbeit überhaupt leisten zu können – all das sind sowohl feministische als auch betriebliche Themen.

Eine so große, sichtbare Manifestation linker Kräfte bleibt in Baden-Württemberg nicht ohne Reaktion. Die aktuelle Repressionswelle macht auch vor Ihnen nicht halt.

Nach der 8.-März-Demo im letzten Jahr gab es mindestens vier Gerichtsverfahren, in einem Fall sogar eine Bewährungsstrafe. Die Polizei hatte ein enormes Aufgebot aufgefahren. Als Aktivisten den Platz vor dem Gewerkschaftshaus symbolisch nach Clara Zetkin umbenennen wollten, griff die Polizei sie mit Pfefferspray an. Gerade auf viele Menschen, die zum ersten Mal gestreikt haben oder auf einer Demo waren, hat das einschüchternd gewirkt.

Dieses Jahr haben Aktivisten Platzverweise bekommen, weil sie Plakate gegen den Strafrechtsparagraphen 218 aufgehängt haben sollen – darunter eine iranische Rednerin, die so de facto ein Redeverbot bekam. Wir versuchen, dem Staat nicht die Deutungshoheit zu überlassen. Bisher haben wir alle Verfahren solidarisch begleitet. Auf Veranstaltungen haben wir die Repression thematisiert. So haben wir den Spieß letztlich umgedreht und sind trotz der Angriffe bei der jetzigen Demo noch einmal 3.000 Menschen mehr geworden.

Zahlreiche Kollegen, die letztes Jahr nicht dabei waren, wurden durch die aktuellen Tarifauseinandersetzungen mobilisiert. Wie groß war der Ausstand in Stuttgart?

Bestreikt wurden unter anderem Kitas und andere Einrichtungen aus dem Sozial- und Erziehungsdienst, die Krankenhäuser, Städte und Gemeinden sowie die Sparkassen.

Sie hatten unter dem Motto »Die Krisen stecken im System – feministisch streiken weltweit« zur Demonstration aufgerufen. Ist eine antikapitalistische Position Konsens im Aktionsbündnis?

Ja, das ist Konsens. Wir wollen unseren Feminismus nicht von der Klassenfrage trennen. Im Kapitalismus wird auf Frauenunterdrückung zurückgegriffen, wenn damit gespalten werden kann oder Extraprofite winken. Andererseits ist das Patriarchat viel mehr als nur ein Instrument, um Lohnabhängige gegen einander auszuspielen. Sexismus, Gewalt an Frauen, ungleiche Verteilung von häuslicher Sorgearbeit: Das alles sind Unterdrückungsformen, die auch unabhängig vom Kapitalismus existieren.

Um das Patriarchat zu überwinden, muss sich unser Kampf gegen den Kapitalismus richten. Andersherum gilt das auch: Ein antikapitalistischer Kampf, der nicht feministisch ist, kann keine befreite Gesellschaft schaffen.

In Ihrem Aufruf heißt es: »Mit dem feministischem Streik hin zum guten Leben.« Wie stellen Sie sich das vor?

Es gibt viele Mittel, um mit den kapitalistisch-patriarchalen Verhältnissen zu brechen. Wir verstehen unter »feministischem Streik« die Verbindung von ökonomischem Streik von »Frauenberufen« mit politischem Streik für Frauenrechte und Streik im Bereich häuslicher Sorgearbeit. In Spanien hat dieses Konzept im Jahr 2018 fünf Millionen Menschen auf die Straße gebracht.

Yvonne, die ihren vollen Namen aufgrund der jüngsten Repressionswellen in Stuttgart nicht in der Zeitung lesen möchte, ist Mitglied in der Revolutionären Aktion Stuttgart und im Aktionsbündnis 8. März

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