Ablenkungsmanöver
Von Reinhard Lauterbach
Als erstes fällt die Gleichzeitigkeit auf: Gegen 18 Uhr MEZ kam am Dienstag die New York Times mit der neuen Version über eine »proukrainische Gruppe« als möglicher Urheberin der Nord-Stream-Anschläge heraus, um 20 Uhr desselben Tages die »Tagesschau«. Beide unter Berufung auf die »Sicherheitsbehörden« der jeweiligen Länder. Eingangshypothese: Da soll eine These gepusht werden.
Es ist offenkundig, dass das erste Ziel dieser Berichte die im Januar veröffentlichte Recherche von Seymour Hersh ist. Seine These, die Anschläge seien auf direkte Anordnung von Präsident Joseph Biden von einer Arbeitsgruppe des US-Sicherheitsrates vorbereitet und in Kooperation zwischen den USA und Norwegen im Schatten eines NATO-Marinemanövers ausgeführt worden, soll – nicht entkräftet, dazu taugt das Material nicht annähernd, sondern – durch eine parallele Theorie relativiert werden. Es ist genau jene Desinformationstaktik, die westliche Geheimdienste ständig Russland vorwerfen: beliebige »Narrative« in die Welt zu setzen, um die Darstellung des Gegners in einem Meer widersprüchlicher Details zu ersäufen. Putins gelehrige Schüler.
An der Darstellung der BRD-Behörden stinkt schon ein Punkt: Die mutmaßlichen ukrainischen Attentäter sollen an Bord der Yacht so sorglos mit ihrem Sprengstoff umgegangen sein, dass sie Spuren davon am Esstisch hinterlassen und vor allem: die Yacht zum Abschluss ihrer angeblichen Terrormission ungereinigt an den Vermieter zurückgegeben haben. Und an so wenig Professionalität bei der Spurenverwischung soll man glauben? Bei einem Anschlag, der nach bisher übereinstimmender Darstellung aller involvierten Länder so komplex war, dass seine Ausführung ohne staatliche Beteiligung nicht denkbar gewesen sei? Und jetzt sollen da irgendwelche »proukrainischen« Amateure am Werk gewesen sein? Weiter stimmt misstrauisch, dass der mutmaßliche Segeltörn mitten durch ein Manövergebiet der NATO-Ostseeflotten geführt haben muss, denn dass zum entsprechenden Zeitraum im entsprechenden Seegebiet Baltops stattgefunden hat, ist bisher nicht dementiert worden. Und wenn: War der Törn dann mit der Manöverregie abgesprochen? Hierzu fehlen Informationen, selbst eine so banale wie das Ende des Törns bleibt aus. Andere wie die nach dem Zeitpunkt der Durchsuchung der Yacht mussten der Bundesanwaltschaft nachträglich aus der Nase gezogen werden.
Es drängt sich ein Zusammenhang zur kürzlichen USA-Reise des Bundeskanzlers auf, über die so auffällig wenig berichtet wurde. Liegt es nicht nahe, dass in Washington eine für die USA gesichtswahrende Nebelkerzenaktion abgesprochen wurde, die anschließend gemeinsam in beiden Ländern gestartet wurde? Mit einer nicht fassbaren »proukrainischen Gruppe« als Bösewicht und dem Verdacht, es könne auch eine Aktion unter falscher Flagge gewesen sein, also ganz jemand anderes dahinterstecken. Letzteres könnte sogar sein. Wie wäre es mit den USA?
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vom 09.03.2023
Kaum ist der starke Medienwellengang der Enthüllungen des US-amerikanischen Wahrheitsfinders in politisch verschleierten Konflikten, des anerkannten Investigativjournalisten Seymour Hersh, über die naheliegend von den USA initiierte Sabotage an den Nord-Stream-Pipelines von Russland nach Europa zurückgegangen, verbreitet die führende Meinungsbildungsgazette »New York Times« (NYT) eine abwehrende Version über die Sprengung der russischen Gasleitungen durch die Ostsee nach Europa. Nein, nicht die USA sind die Saboteure. Es waren »proukrainische Gruppen«, die sich mit einer in Polen bei einer ukrainischen Leasingfirma gecharterten Yacht Ende September 2022 bei Nacht und Nebel, mit Sprengsätzen beladen in die Nähe der dänischen Ostseeinsel Bornholm manövrierte und die Pipelines zerstört haben. Die NYT beruft sich mit ihrer Recherche auf US-Geheimdienstinformationen und deren Prüfung durch nicht genannt wollende Regierungsbeamte.
Eine Story, die zu vielen Gedanken verführt und Fragen erzeugt. Da weist ein Geheimdienst des Staates, der Russland zum Krieg gegen die Ukraine provoziert hat und der andererseits die Ukraine als Vasall gegen Russland missbraucht, plötzlich den Finger auf sein eigenes politisches Ziehkind, aufgezogen mit finanzieller und militärischer US-Muttermilch: »Du warst es!« Es folgt aber kein erzieherischer Rüffel »Schäm Dich«. Selbst, wenn es so sein sollte, dass die USA nicht die Täter waren, geschah die Tat nicht ohne ihre wesentliche Beihilfe mit Vorsatz.
»Uncle Sam« wehrt sich gegen die Identifizierung durch Seymour Hersh als Tatverdächtiger. Tatmotive bestreitet er zwar nicht, aber für die Tatausführung will er nicht zuständig sein. Wer sich reinwaschen will, aber dazu behindert ist, braucht Pfleger, die ihm dabei helfen. Die politische »New-York-Times-Krankenpflege« ist zur Stelle. Ärgerlich, dass ihr aber wenig Auswahl für Reinigungslotionen zur Verfügung standen. Die Benutzung des typisch russischen Maiglöckchen-Parfüms war nicht möglich, da sein Import den antirussischen Sanktionen unterlag. Deutsche Kernseife war zu sehr mit historischen Giftstoffen belastet und das übrige Europa hatte nichts an wirklich US-reinigender Wirkung zu bieten. Da fand die NYT schließlich Dnepr-Wasser aus Kiew, das »Uncle Sam« tatabspülend duschen könnte. Dass die Dusche nun aber aus ukrainisch-polnischer Produktion stammt, hat sogleich deutsche »Uncle Sam«-Verwandte in Regierungs- und Medienkreisen in Verwirrung gebracht. Abwarten heißt ihre Devise, bis die gegenstreitigen deutschen, schwedischen, dänischen und US-Ermittlungsbehörden unter Ausschluss russischer den Waschvorgang der »New York Times« akzeptieren werden. Wird es dabei bleiben: »Ukraine, geh Du voran und lass mich hinter den Baum?«