Manche Traditionen sterben langsam
Von Gabriel Kuhn
Die Weltmeisterschaften der Wintersportsaison setzen sich nahtlos fort. Kaum sind die Alpinen in Courchevel/Méribel und die Biathleten in Oberhof fertig geworden, starten schon die Nordischen im slowenischen Planica. An diesem Donnerstag werden dort die ersten Medaillen vergeben: Im Langlauf gehen Herren und Damen im Sprint im klassischen Stil an den Start, im Skispringen kämpfen die Frauen um Edelmetall auf der Normalschanze.
Planica ist vor allem für seine Skisprungschanzen bekannt, doch auch Loipen lassen sich in die Landschaft der Julischen Alpen zaubern. 2015 wurde das moderne »Nordische Zentrum« eröffnet. Die mächtigste aller Schanzen, der Skiflugbacken, dient nur als Kulisse. Für das Skifliegen gibt es eigene Weltmeisterschaften.
Zum Abholen bereit
Dort dürfen die Frauen noch nicht mitmachen, und auch bei dieser Nordischen Ski-WM ist die angestrebte Geschlechterparität noch nicht erreicht. Im Skilanglauf gibt es für Herren und Damen zwar gleich viele Wettbewerbe, die Distanzen der Herren sind jedoch fast doppelt so lang. Manche Traditionen sterben langsam. In der Nordischen Kombination dürfen die Damen nur einen Wettbewerb austragen und ein eigenes Staffelrennen gibt es auch nicht, lediglich einen erstmals ausgetragenen Mixed-Team-Wettbewerb. Für mehr sei die Leistungsdichte zu gering, so der Internationale Skiverband FIS. Dasselbe Argument gebrauchte im Juni 2022 das Internationale Olympische Komitee, das der Nordischen Kombination der Damen weiterhin die Aufnahme ins Programm der Olympischen Winterspiele verweigert. Das Beispiel der Norwegerin Gyda Westvold Hansen liefert allerdings wenig Gegenargumente. Sie hat seit zwei Jahren jeden Weltcup-Wettbewerb gewonnen, außer einen, in dem sie aufgeben musste. Dahinter kämpfen Athletinnen aus Italien, Österreich und Deutschland um die Plätze, darunter die erst 17jährige Nathalie Armbruster (SV-SZ Kniebis 1928), eine der deutschen Medaillenhoffnungen in Planica. Auch Jenny Nowak (SC Sohland) schaffte es bei der WM-Generalprobe, dem Weltcup-Wettbewerb in Schonach, als Zweite aufs Podest.
Und sonst? In der Nordischen Kombination der Herren ist Julian Schmid (SC 1906 Oberstdorf) in der Weltcup-Gesamtwertung Dritter, und auch mit seinem zuletzt gesundheitlich angeschlagenen Vereinskollegen Vinzenz Geiger ist zu rechnen, sollte er rechtzeitig in Form kommen. Die Staffelmedaille steht in jedem Fall zum Abholen bereit, die Leistungsdichte in der Nordischen Kombination ist bei den Herren auch nicht höher als bei den Damen.
Die Skispringer des Deutschen Skiverbandes scheinen gerade für die WM in Form zu kommen. Nach einem enttäuschenden Saisonauftakt gewann Andreas Wellinger (SC Ruhpolding) zwei der drei letzten Weltcup-Springen und war zuletzt auch mit dem Team im rumänischen Rasnov erfolgreich. Bei den Damen gewann Katharina Althaus (SC 1906 Oberstdorf) in dieser Weltcup-Saison bereits sechsmal und liegt in der Gesamtwertung hinter der Österreicherin Eva Pinkelnig auf Rang zwei. Selina Freitag (SG Nickelhütte Aue) stand Mitte Januar als Zweite in Yamagata erstmals im Weltcup auf dem Podest.
Die Langlaufwettbewerbe sind notorisch schwer einzuschätzen. Die Weltcup-Rennen lassen nur bedingt Aufschluss zu. Viele Athleten fokussieren im Formaufbau ganz auf die Großereignisse, manche lassen Weltcup-Rennen immer wieder aus. Bei den Olympischen Spielen in Beijing 2022 überraschten die DSV-Damen mit zwei Medaillen, dem Silber in der Staffel und dem Gold im Team-Sprint. Die Heldinnen von Beijing – Victoria Carl (SCM Zella-Mehlis), Katharina Hennig (WSC Erzgebirge Oberwiesenthal), Sofie Krehl (SC Oberstdorf) und Katherine Sauerbrey (SC Steinbach-Hallenberg) – sind in Planica alle mit dabei. In den Einzelwettbewerben wird Katharina Hennig die größte Medaillenchance eingeräumt. In Beijing schrammte sie bei ihrem fünften Platz über zehn Kilometer nur um zwölf Sekunden an einer Medaille vorbei. Anfang Januar feierte sie beim Massenstart über 15 Kilometer im klassischen Stil in Val di Fiemme ihren ersten Weltcup-Sieg.
Der Kampf um die Medaillen wird dadurch erleichtert, dass aufgrund der in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg verhängten internationalen Sanktionen russische und belarussische Athleten in Planica nicht am Start sind. Die derzeitigen Diskussionen um eine eventuelle Teilnahme russischer und belarussischer Athleten bei Olympischen Spielen unter neutraler Flagge sind für die Wintersportler weniger relevant als für die Sommersportler. Letztere messen sich schon 2024 in Paris unter den olympischen Ringen, die Wintersportler sind erst wieder 2026 in Cortina d’Ampezzo an der Reihe. Bis dahin kann noch viel geschehen.
Kunstschnee fürs Klima
Vielleicht ändert sich bis 2026 sogar die Haltung der FIS zum Klimawandel. Bei den Alpinen Skiweltmeisterschaften in Courchevel/Méribel weckte ein vom österreichischen Abfahrtsläufer Julian Schütter aufgesetzter Brief an die FIS Aufsehen. Schütter fordert die FIS darin auf, es mit dem Klimaschutz endlich ernst zu nehmen. Die derzeitigen Maßnahmen seien »unzureichend«. Schütter fordert eine unabhängig kontrollierte Nachhaltigkeitsabteilung, eine 50prozentige Emissionsreduzierung bei FIS-Veranstaltungen bis zum Jahr 2030 und spätestens im Jahr 2035 eine Nettonullbilanz beim CO2-Ausstoß. Bisher haben mehr als 300 Wintersportler den Brief unterzeichnet, darunter auch einige, die in Planica an den Start gehen wie die Langlauf-Weltmeisterin und -Olympiasiegerin Jessica Diggins aus den USA.
FIS-Präsident Johan Eliasch sieht keinen Grund, viel zu ändern. Selten gewährt er Interviews, doch der österreichischen Tageszeitung Der Standard erklärte der Milliardär während der Alpinen Ski-WM vorige Woche, die FIS sei der erste »klimapositive« internationale Sportverband, weil eine von ihm selbst gegründete NGO die Abholzung von Regenwaldflächen im Amazonas verhindere, um die CO2-Emissionen der FIS zu kompensieren. Auf die Frage, ob es wirklich notwendig sei, dass der alpine Weltcup-Tross der Herren in dieser Saison zweimal in die USA fliegt, um Rennen an Wettkampfstätten auszutragen, die nicht mehr als 50 Kilometer voneinander entfernt liegen, antwortet der Unternehmer: »Für den Sport ist es wichtig, dass wir den US-Markt entwickeln. Er hat großes Potential. Hier in Europa können wir nicht mehr wachsen. Der amerikanische und der asiatische Markt können uns helfen, mehr Popularität zu erreichen.«
Allzu sehr wird man sich mit diesen Debatten in Planica nicht aufhalten. Der Sport wird im Vordergrund stehen, mit Keramikspuren in den Anlaufbahnen der Skispringer und Kunstschnee auf den Loipen der Langläufer. Norwegen wird die Konkurrenz düpieren und über den Mangel an russischer Opposition nicht traurig sein. Augen zu und durch.
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