Milliardengrab AKW
Von Hansgeorg Hermann
Der französische Stromgigant EDF (Électricité de France) hat das Geschäftsjahr 2022 mit einem Rekordverlust von 17,9 Milliarden Euro abgeschlossen. Dabei hätte 2022 ein gutes Jahr werden können für den Konzern, wie etwa für den Energieriesen Total Energies, der kürzlich geradezu unverschämt hohen Gewinn meldete. Wäre da nicht das politische Programm des Präsidenten Emmanuel Macron, das die Stromerzeugung des Staatsbetriebs von der Kernenergienutzung abhängig gemacht hat: Theoretisch kommen 72 Prozent des französischen Stroms aus den 56 Reaktoren der EDF. Zwischen 30 und 32 der auf 18 Standorte verteilten Meiler sind allerdings in einem erbärmlichen Zustand und gegenwärtig abgeschaltet. Die Kosten für ihre Instandsetzung und für die Konstruktion des nach 15 Jahren Bauzeit immer noch nicht betriebsbereiten neuen Europäischen Druckwasserreaktors (EPR) Flamanville 3 haben aus der französischen Energiewirtschaft inzwischen ein Milliardengrab gemacht.
Und das alles, obwohl das Geschäftsvolumen der EDF im vergangenen Jahr um sage und schreibe 70 Prozent auf 143,5 Milliarden Euro in die Höhe geschnellt war. Ein Ergebnis der im Zuge des Ukraine-Kriegs gegen Russland verhängten Sanktionen und der daraus resultierenden Explosion der Strompreise. Dennoch, unter dem Strich wuchs der Schuldenberg des Konzerns von 43 Milliarden in 2021 auf 64,5 Milliarden Euro. Nur, beirren lassen wollen sich Staatschef, Regierung und große Teile der parlamentarischen Opposition nicht; sie halten weiter an der Nutzung der Atomkraft fest, seit 50 Jahren: trotz Finanzdesaster und ungelöstem Entsorgungsproblem nuklearen Mülls.
Der seit November 2022 nach einem Ausweg aus der nuklearen Misere suchende neue EDF-Generaldirektor Luc Rémont gestand am Freitag vergangener Woche: »Trotz des gewaltigen Anstiegs des Geschäftsvolumens, gestützt auf die Gas- und Elektrizitätspreise«, seien die finanziellen Erwartungen wegen des Minus bei der Nutzung von Kernenergie enttäuscht worden. Schuld seien vor allem Bautätigkeit und »Regulierungsmaßnahmen« der Regierung »unter schwierigen Marktbedingungen«. Wie lange Rémont nach dieser auf die Regierung zielenden Analyse im Amt bleiben wird, ist nicht abzusehen. Seinen Vorgänger Jean-Bernard Lévy hatte der ungeduldige Präsident vor Ende der Vertragszeit »brutal abserviert«, wie Pariser Tageszeitungen am vergangenen Wochenende anmerkten.
Wäre die EDF kein Betrieb der öffentlichen Hand – der Staat hält 89,01 Prozent der Anteile –, dann hätte sie längst Konkurs anmelden müssen, bilanzierten Wirtschaftsblätter wie Les Echos im Anschluss an die Jahrespressekonferenz der Unternehmensleitung. Trotz der nun offenliegenden finanziellen und damit auch politischen Pleite seines Energieprogramms lässt sich der Staatschef in seiner zweiten, 2027 endenden Amtszeit von Misserfolgen nicht bremsen. Ihn schrecken offenbar weder der millionenfache Straßenprotest gegen seine »Rentenreform« noch die von ihm weiter vorangetriebene völlige Abhängigkeit des Landes von der Atomwirtschaft. Nicht nur das, Macron hat den Bau von 14 Reaktoren »neuen Typs« angeordnet, sechs sollen noch vor dem Ende seines Mandats in Angriff und bis spätestens 2035 in Betrieb genommen werden.
Ein kühnes Vorhaben. Seit rund 15 Jahren verfolgen die Franzosen mit ungläubigem Staunen, wie an der normannischen Kanalküste der erwähnte Reaktor Flamanville 3, Typ EPR, die technischen und finanziellen Möglichkeiten des Konzerns erschöpft. Die Bauarbeiten am Nordwestzipfel des Départements Manche begannen 2007, in Betrieb gehen sollte das Energiemonster mit einer geplanten Kapazität von 1.650 Megawatt fünf Jahre später. Inzwischen hat sich die Fertigstellung um zwölf Jahre verspätet, die ursprünglich auf 3,3 Milliarden Euro veranschlagten Kosten des EPR haben sich auf 13,2 Milliarden Euro vervierfacht. Die privatwirtschaftliche Industrie verfolge Macrons Gesamtprojekt dennoch »mit großem Interesse«, ließ EDF-Boss Rémont wissen.
Für Wirtschaftsanalysten ist dieses Interesse keine Überraschung; sobald der Staat die Entstehungs- und Instandsetzungskosten bezahlt haben wird, könnten private Betreibergesellschaften – mit irgendeinem neuen neoliberalen Regierungschef – in Gespräche über eine Privatisierung des Atomenergiesektors eintreten.
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