Große Fragen
Von Arnold Schölzel
Die Zahl der Unterschriften unter dem »Manifest für den Frieden« von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer nähert sich am Freitag der 500.000er Marke – die Heimatfront schwächelt. Das ZDF-»Politbarometer« vom selben Tag meldet dagegen vorab: Der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) ist mit Abstand der beliebteste Politiker, Schlusslichter sind Wagenknecht und AfD-Fraktionschefin Alice Weidel. Außerdem sind 32 Prozent der Befragten dafür, dass Pistorius mehr Waffen nach Kiew liefert. Aus dem ARD-»Morgenmagazin« kommt allerdings wagenknechtmäßig der Dolchstoß in den ZDF-Rücken: 64 Prozent der Befragten haben die Bereitstellung deutscher Kampfjets für die Ukraine abgelehnt.
Das geht zu weit, auch der Partei Die Linke. Deren Vorstand, berichtet im Onlineauftritt des ND Wolfgang Hübner am Freitag vormittag, habe sich am Abend zuvor »indirekt von Manifest und Demoaufruf Wagenknechts und Schwarzers« distanziert. Nachgeholfen hatte Bodo Ramelow mit einem Brief an das Gremium. Darin verweist der Thüringer Ministerpräsident, der sich mehrfach für deutsche Waffenlieferungen nach Kiew eingesetzt hat, schon im ersten Satz darauf, dass ihn Bertha von Suttners »Die Waffen nieder!«, Immanuel Kants Schrift »Zum ewigen Frieden«, Denkschriften der Evangelischen Kirche in Deutschland, Willy Brandt und der Konziliare Prozess »begleiten«. Von solchen Autoritäten gestützt kommen Ramelow angesichts des »Friedensmanifests« – er nennt es ein »sogenanntes« – Bedenken. Er habe sein »Leben lang gegen jede weitere Verwendung von Atomwaffen gekämpft« und frage: »Hätten wir dem Vietcong zugerufen: ›Die Waffen nieder, denn die USA sind Atommacht‹?« Für ihn sind die unterm Faschistengruß »Slawa Ukraini!« seit 2014 folternden, totschlagenden und Wohngebiete im Donbass zertrümmernden »Asow«-, »Aidar«- und sonstigen Kiewer Bataillone gleich der »Befreiungsfront Südvietnam« (FNL), die gegen den gerade fälligen Völkermord durch die USA kämpfte. »Vietcong« war übrigens der antikommunistisch abfällige Ausdruck der westlichen Kriegspropaganda für die FNL. Ramelow meint jedenfalls, die Linkspartei müsse ihr »Verhältnis zu all diesen Fragen« klären. Denn: »Das ist nicht mit 100.000 Unterschriften zu erledigen, das ist keine Angelegenheit, in der wir gefährliche Unklarheiten aufkommen lassen dürfen.«
Neben Suttner, Kant und Brandt kann sich Ramelow seit Donnerstag auch auf die Spiegel-Redakteure Susanne Beyer und Timo Lehmann stützen. Sie »interviewen« Wagenknecht und Schwarzer: AfD-Chef Tino Chrupalla habe das »Manifest« unterschrieben, und Rechte riefen zur Kundgebung am 25. Februar auf – »es muss Ihnen klar gewesen sein, dass das kommt. Warum nehmen Sie das in Kauf?« Es soll, lässt sich da sagen, unter Spiegel-Lesern Nazis geben. Spiegel-Gründer Rudolf Augstein ließ bevorzugt SS- und NSDAP-Gediente für sich arbeiten. Man könnte glauben, dass er das in Kauf nahm. Beyer und Lehmann fragen weiter auf Ramelow-Niveau: »Frau Wagenknecht, Sie forderten immer wieder, ›den Finanzkriminellen‹ das Handwerk zu legen. Frau Schwarzer hat Steuern hinterzogen.« Die ist nämlich mindestens eine Warburg-Bank plus Olaf Scholz.
Vor mehr als 75 Jahren, im Oktober 1947, war Brecht im US-Kongressausschuss für unamerikanische Aktivitäten geladen. Ihm wurde eine schlechte Übersetzung des »Solidaritätsliedes« vorgelegt: »Haben Sie das geschrieben, Mr. Brecht?«. Antwort: »Nein, ich schrieb ein deutsches Gedicht, aber das unterscheidet sich sehr davon.« Der russisch-französische Schriftsteller Vladimir Pozner kommentierte das: »Man hätte meinen können, ein Zoologe sei Gefangener von Affen.« Ramelow, Beyer und Lehmann stehen in großer Fragetradition.
Für Ramelow sind die unterm Faschistengruß »Slawa Ukraini!« seit 2014 folternden, totschlagenden und Wohngebiete im Donbass zertrümmernden »Asow«-, »Aidar«- und sonstigen Kiewer Bataillone gleich der »Befreiungsfront Südvietnam« (FNL), die gegen den gerade fälligen Völkermord durch die USA kämpfte
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marc P. aus Cottbus (18. Februar 2023 um 14:05 Uhr)Die Umfrageergebnisse des ZDF-Politbarometers zu bestimmten Themen, besonders zur Rolle Deutschlands im Ukraine-Krieg, halte ich mittlerweile für stark frisiert oder sogar gefälscht. Es reicht, einen Vergleich anzustellen mit den jeweils etwa zur gleichen Zeit veröffentlichten Ergebnissen des »Deutschlandtrends« der ARD, die bekanntermaßen auch nicht von »Putin-Verstehern« betrieben wird. Bei ähnlichen Fragestellungen gibt es hier teilweise eklatante Abweichungen zwischen den beiden Veröffentlichungen, wobei die des ZDF stets viel stärker als die der ARD eine stärkere militärische Unterstützung der Ukraine befürworten. Z. B. meinten im ARD-Deutschlandtrend vom 2. Februar 2023 nur 15 Prozent der Befragten, die militärische Unterstützung der Ukraine mit Waffen ginge ihnen nicht weit genug. Bei ZDF-Politbarometer zum gleichen Thema waren es mehr als doppelt so viele, mit 32 Prozent! Und noch am 27. Januar 2023 waren Habeck und Baerbock im ZDF-Politbarometer die mit Abstand beliebtesten Politiker in Deutschland. Wer's glaubt …
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralf S. aus Gießen (24. Februar 2023 um 09:34 Uhr)»Und noch am 27. Januar 2023 waren Habeck und Baerbock im ZDF-Politbarometer die mit Abstand beliebtesten Politiker in Deutschland. Wer’s glaubt …« Leider halte ich das für vollkommen realistisch.
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