Der Milliardär schweigt
Von Gabriel Kuhn
Es ist ein Zeichen, auch wenn es niemand merkt. Das US-Team nimmt an den alpinen Skiweltmeisterschaften in Courchevel/Méribel mit einem neuen Rennanzug teil. Wer genau hinsieht, kann im Meer treibende Eisblöcke erkennen, die auf die Klimakrise aufmerksam machen sollen. Dass das US-Team hier eine Vorreiterrolle spielt, kommt nicht überraschend. Mikaela Shiffrin, der gegenwärtige Superstar im alpinen Skisport, weist seit Jahren auf die Folgen der Klimakrise hin. Mittlerweile hat sie in ihrem Freund, dem norwegischen Speed-Ass Aleksander Aamodt Kilde, einen Mitstreiter.
Shiffrin und Kilde sind auch die beiden prominentesten Namen in einem von mehr als 100 Wintersportlern unterzeichneten offenen Brief, der am Sonntag nach der WM-Abfahrt der Herren einer Mitarbeiterin des Internationalen Skiverbands FIS übergeben wurde. Der Brief fordert die FIS auf, in Sachen Klimaschutz endlich ernst zu machen. Die Presse war bei der Übergabe zugegen, die hohe Riege der FIS nicht. Präsident Johan Eliasch hüllte sich in Schweigen. Der Multimilliardär wurde 2021 als Quereinsteiger zum neuen FIS-Präsidenten gewählt und kündigte bald nach Amtsantritt an, die FIS zum »ersten klimapositiven Wintersportverband« zu machen. Wie? Eine NGO namens Cool Earth sollte die Abholzung von Regenwaldflächen verhindern, um die CO2-Emissionen der FIS zu kompensieren. Gründer von Cool Earth: Johan Eliasch. Die Unterzeichner des offenen Briefes lassen sich davon nicht hinters Licht führen. In diesem steht: »Wir sind uns der derzeitigen Nachhaltigkeitsbemühungen der FIS bewusst und bewerten sie als unzureichend.«
Verfasst wurde das Schreiben vom österreichischen B-Kader-Läufer Julian Schütter, der momentan an einem Kreuzbandriss laboriert, einer Standardverletzung unter Skirennfahrern. Ansonsten ist Schütter kein typischer Vertreter seines Fachs. Der 24jährige Steirer ist Vegetarier, verzichtet aufs Privatauto, gendert auf seinem Blog und studiert »Erneuerbare Energien«. Das Engagement im Klimaschutz erachtet er als notwendig, um den Skisport zu retten. »Wenn wir es nicht in den Griff kriegen, dann gibt es unseren Sport bald nicht mehr«, erklärte er gegenüber der österreichischen Tageszeitung Der Standard.
Der offene Brief macht zunächst die Sorgen der Athleten deutlich: »Als FIS-Athleten erleben wir die Auswirkungen des Klimawandels bereits in unserem Alltag und in unserem Beruf. Immer öfter müssen Wettkämpfe aufgrund von extremen Wetterereignissen oder Schneemangel abgesagt werden. (…) Die öffentliche Meinung über den Skisport verschiebt sich in Richtung Unvertretbarkeit. (…) Deshalb müssen wir als Wintersportgemeinschaft die Führung im Kampf gegen den Klimawandel übernehmen und unseren Sport so schnell wie möglich klimaneutral stellen.«
Es folgen konkrete Forderungen an die FIS: Sie müsse eine unabhängig kontrollierte Nachhaltigkeitsabteilung einrichten, vollständige Transparenz zeigen und eine Nachhaltigkeitsstrategie mit 50prozentiger Emissionsreduzierung bis zum Jahr 2030 vorlegen. Spätestens im Jahr 2035 sollten alle FIS-Veranstaltungen eine Nettonullbilanz beim CO2-Ausstoß aufweisen.
Es folgt eine »Liste von Maßnahmen«: Die nationalen Skiverbände sollen ihren CO2-Fußabdruck dokumentieren, FIS-Veranstaltungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sein. Der Wettkampfkalender dürfe nicht vor Ende November beginnen, und die Wettkampfstätten müssten so gewählt werden, dass unnötige Reisen wegfallen. Der Brief verweist darauf, dass die Herren im alpinen Skiweltcup in dieser Saison zweimal in die USA fliegen, obwohl die Rennen in Beaver Creek und in Aspen nur 50 Kilometer voneinander entfernt liegen. Hätte man sie hintereinander angesetzt, hätte man 1.500 Tonnen CO2 einsparen können.
Unterstützt wird Schütters Initiative von der NGO Protect Our Winters. Diese wurde 2007 vom ehemaligen Snowboarder Jeremy Jones gegründet, um Wintersportler für den Klimaschutz zu engagieren. Gesponsert wird die NGO von Unternehmen wie Burton, North Face und Jones’ eigener Snowboard-Marke.
Dass der Wintersport auf dem Weg in eine mächtige Krise ist, pfeifen die Spatzen seit langem vom Dach. In Skispringerkreisen wird bereits laut darüber nachgedacht, vom Image des Wintersports wegzukommen. Mattenspringen machen dies möglich. Der Cheftrainer des norwegischen Teams Alexander Stöckl erklärte im Dezember in einer Presserunde: »Ich glaube, dass es gut ist, wenn wir versuchen, ein Ganzjahresdenken reinzubringen. Entweder wir nennen uns weiter Wintersport und sterben im Winter – weil den gibt es irgendwann nicht mehr. Oder wir nennen uns Extremsport und sind offener für neue Destinationen.«
Selbst in den Riegen der Sportfunktionäre ist die Problematik angekommen. Das Exekutivkomitee des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) entschloss sich bei seiner Sitzung in Lausanne im Dezember 2022, vorerst keine Austragungsorte für die Olympischen Winterspiele 2030 und 2034 bekanntzugeben. Man wolle zuerst das Konzept der Winterspiele überdenken, oder, wie es das Mitglied des Exekutivkomitees Octavian Morariu ausdrückte: »Es wird eine neue, flexible Art der Vergabe der Spiele geschaffen, damit das IOC schnell und effektiv auf globale Veränderungen reagieren kann. Das nützt den Athleten, allen Teilnehmern und der gesamten Sportbewegung.«
Inwieweit dem IOC wirklich das Klima ein Anliegen ist, ist die Frage. Tatsache ist, dass immer weniger Orte als Veranstalter für Olympische Winterspiele in Frage kommen. Einer britischen Studie aus dem Jahr 2020 zufolge können mehr als die Hälfte früherer Veranstalteter Olympischer Winterspiele solche in naher Zukunft gar nicht mehr abhalten; es wird schlicht zu warm. Anscheinend erwägt das IOC sogar, die Winterspiele 2030 und 2034 an ein und denselben Ort zu vergeben, bestätigt wurden entsprechende Pläne bisher jedoch nicht.
Dafür wird im Moment um die Austragung der Bob- und Rodelwettkämpfe bei den Olympischen Winterspielen in Cortina d’Ampezzo 2026 gestritten. Zahlreiche Umweltschutzverbände fordern die Veranstalter dazu auf, die Wettkämpfe ins nicht einmal 100 Kilometer entfernte Innsbruck zu verlegen, um den Bau einer neuen Bahn zu verhindern. Die Veranstalter wollen davon jedoch nichts wissen. Auch der für die Winterspiele 2006 errichtete Eiskanal in Turin ist nicht gut genug. Mindestens 100 Millionen Euro kostet der Bau einer neuen Bahn, ob diese über die Winterspiele hinaus je genutzt wird, ist unklar. Die FIS ist für den Bob- und Rodelsport nicht zuständig.
Drei Wochen kostenlos lesen
Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (15. Februar 2023 um 21:51 Uhr)Die Krise als Chance nutzen! Mehr CO₂, damit es richtig warm wird. Hat die FIS und das IOC noch nichts vom Leidenfrost-Effekt gehört? Weg mit Schnee und Eis, auf einem Dampfpolster gleiten ist die Zukunft! Allerdings nicht für verzagte Ärsche und Weicheier.