Unbefristete Versammlung
Von Gerhard Feldbauer
Die Aktiengesellschaft Guest, Keen and Nettlefolds (GKN) drang nach dem Untergang der DDR auch dort vor: In Mosel bei Zwickau übernahm die Gruppe das Gelenkwellenwerk, das seit 1981 Teil des VEB Sachsenring war. Bis heute produziert das Werk unter anderem Kugelnaben und Gelenkwellen für BMW, Mercedes-Benz, VW und Audi. Jetzt soll es geschlossen werden. Im Interesse des neuen Eigentümers Melrose Industries will GKN Driveline die Produktion nach Ungarn verlagern, wo die Arbeitskräfte zu geringeren Kosten ausgebeutet werden können.
Belegschaft und IG Metall wollen das »Aus« für den Standort nicht widerstandslos hinnehmen. In einer Mitgliederversammlung am 29. Januar forderte der zweite Bevollmächtigte der IG Metall Zwickau, Benjamin Zabel, die Unterstützung von Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik. Die Fraktionen des Zwickauer Stadtrats haben sich bereits mit der Belegschaft solidarisiert. Auch der sächsische Wirtschaftsminister, Martin Dulig (SPD), forderte die westdeutsche Geschäftsführung auf, ihre Entscheidung zu »überdenken«. Die IG Metall befürchtet eine Kettenreaktion. Die Schließung des Werkes in Zwickau könnte auch zur Schließung der Werke in Kiel und Trier führen. Zumal GKN schon 2018 dasjenige in Kaiserslautern geschlossen hatte.
In dieser Situation haben die Arbeiter des ehemaligen GKN-Werkes Campi Bisenzio bei Florenz, die seit Juli 2021 gegen die Schließung ihres Werkes kämpfen und das bis heute verhindert haben, ihren Kollegen in Mosel eine Solidaritätsadresse geschickt. Wie in Mosel war das GKN-Werk Campi Bisenzio mit der Herstellung von Achswellen ein Zulieferer für Ferrari und Stellantis. Auch hier sollte die Produktion in Billiglohnländer nach Osteuropa verlegt werden.
Am 9. Juli 2021 erhielten die 422 Arbeiterinnen und Arbeiter per E-Mail ihre Kündigung – mit der Mitteilung, dass das Werk geschlossen wird. Noch am selben Tag besetzten sie den Betrieb. Indem sie eine »unbefristete Betriebsversammlung« abhielten, legalisierten sie ihre Werksbesetzung. Sie griffen militante Formen italienischer Arbeitskämpfe der 60er und 70er Jahre auf, in denen Fabrikbesetzungen an der Tagesordnung waren. Organisiert im »Collettivo di Fabbrica GKN« der Basisgewerkschaft Unione Sindacale di Base (USB) und unterstützt von der Metallarbeitergewerkschaft FIOM in der CGIL, mobilisierten sie regionale und überregionale Unterstützung.
Den Kampf stehen sie bis heute durch. Die Arbeiter konnten den Abtransport von Maschinen, Material und fertigen Produkten verhindern. Es gab eine wahrhafte Massenmobilisierung, unterstützt von Kommunisten, Sozialdemokraten und Grünen sowie dem Partisanenverband ANPI, an dem sich Einwohner von Florenz, Sozialzentren, Schüler, Studenten und Umweltaktivisten beteiligten. In Florenz demonstrierten mehrmals Zehntausende Menschen.
Einen Teilerfolg erreichten sie im September 2021, als das Arbeitsgericht Florenz der Klage der FIOM stattgegeben hatte und urteilte, dass die Entlassung gegen Artikel 28 des Arbeiterstatuts verstößt und ein »gewerkschaftsfeindliches Verhalten« darstellt. Die Beschäftigten suchen auch selbst nach Investoren für das Werk. Sie können sich aber ebenso vorstellen, als Genossenschaft weiterzuarbeiten. Der Arbeiterkampf in Florenz wird bis in die Gegenwart in den Spalten des linken Manifesto und des kommunistischen Onlineportals Contropiano sowie auf den Webseiten der Gewerkschaften abgebildet. Auf dem »Festival der Völker« in der Stadt in der Toskana hatte am November ein Dokumentarfilm über den Kampf der GKN-Arbeiter seine Weltpremiere.
»Melrose Industries setzt bei euch seinen Schlachtplan fort: Wir sollen für den Profit der Aktionäre zahlen«, schreiben die GKN-Arbeiter ihren Kollegen in Mosel und versichern sie ihrer Solidarität. »Ihr gehört zu unserer Familie. Wir stehen zur Verfügung, um euch zu unterstützen.« Zu den Erfahrungen der Florentiner gehört das Wissen um die Argumente der Kapitalseite: Sie werden »euch vorgaukeln, dass das Werk in Mosel ein Einzelfall ist, was nicht stimmt«, wie ihr Fall zeigt. »Kämpft heute für alle, auch diejenigen, die nicht kämpfen, für eure Gegenwart und für die Zukunft von uns allen. Wir kämpfen seit 18 Monaten. Und auch ihr könnt eure eigene Geschichte schreiben. Wir können euch nur raten, in Gemeinschaft zu handeln, nur gemeinsam seid ihr stark.«
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