junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Gegründet 1947 Montag, 27. März 2023, Nr. 73
Die junge Welt wird von 2701 GenossInnen herausgegeben
junge Welt: Jetzt am Kiosk! junge Welt: Jetzt am Kiosk!
junge Welt: Jetzt am Kiosk!
Aus: Ausgabe vom 06.02.2023, Seite 16 / Sport
Ski Alpin

Auf zum Lotteriespiel

Eine Vorschau auf die 47. Alpine Ski-Weltmeisterschaft in Courchevel/Méribel
Von Gabriel Kuhn
16.jpg
Emma Aicher fährt Ski (beruflich)

In Courchevel/Méribel in den französischen Alpen beginnt am 6. Februar die 47. Alpine Ski-Weltmeisterschaft mit der Alpinen Kombination der Frauen. Die Alpine Kombination der Herren folgt am Dienstag. Danach werden die Speedrennen (Abfahrt und Super-G) ausgetragen. Bei wetterbedingten Absagen muss Spielraum für Neuansetzungen bleiben. Die technischen Disziplinen (Riesenslalom und Slalom) beenden die WM. Das geplante Abschlussrennen ist der Slalom der Herren am 19. Februar. Dazwischen liegen die sinnlosen Parallelrennen, einmal als Einzelwettbewerb, einmal als Team-Event.

Der Internationale Skiverband FIS begann vor fünfzehn Jahren, Parallelrennen zu forcieren. Diese sollten ein jüngeres Publikum ansprechen und neue Märkte erschließen. »City-Events« fanden unter anderem in München, Moskau und Stockholm statt. 2005 wurde der Teamwettbewerb erstmals ins WM-Programm aufgenommen, 2019 kam das Einzelrennen dazu.

Sportlich erweisen sich die Parallelrennen als wertlos. Wer den Start verschläft, hat verloren, großgewachsene Läufer sind bei den in Falllinie gesteckten Kursen im Vorteil, und es ist ein Ding der Unmöglichkeit, zwei identische Kurse zu stecken – einer erweist sich immer als schneller, die Rennen werden zum Lotteriespiel.

Die Athleten wissen das und schreiben den Rennen kaum Bedeutung zu. Den Teamwettbewerb lassen fast alle Stars aus, und selbst im Einzelwettbewerb bekommt oft die zweite Garde den Vortritt. In der Folge können sich darüber die Zufallssieger freuen. Die heutigen Slalomasse des Deutschen Skiverbandes, Lena Dürr und Linus ­Straßer, errangen ihre ersten Weltcupsiege jeweils bei Parallelrennen.

Die FIS hat inzwischen eingesehen, dass sich die in die Parallelrennen gesetzten Hoffnungen nicht einlösen ließen. Im heurigen Weltcupkalender war nur noch ein Parallelrennen geplant, dieses fiel, wie fast alle Rennen zu Saisonbeginn, den warmen Temperaturen zum Opfer. Bei der WM gibt es zumindest das Einzelparallelrennen ab 2025 nicht mehr.

Unsicher ist auch die Zukunft des diesjährigen Auftaktwettbewerbs, der Alpinen Kombination. Hier stellt sich nicht die Frage des sportlichen Werts, im Gegenteil. Die Alpine Kombination, bestehend aus einem Speedrennen und einem Slalom, dient dazu, den »komplettesten Skifahrer« zu ermitteln. Hier hat die FIS schlicht die Entwicklung verschlafen. Sie bewertet die Einzeldisziplinen höher, was zu einer Spezialisierung der Läufer führte. Weniger als eine Handvoll sind für Spitzenplatzierungen in allen Disziplinen gut, womit es auch in der Alpinen Kombination zu Zufallssiegern kommen kann. Zudem gelang es der FIS nicht, ein sowohl attraktives als auch sportlich gerechtes Format für den Wettbewerb zu entwickeln. Dadurch fehlt das Publikum, was wiederum das wichtigste Kriterium zur Förderung von Wettbewerben durch die FIS ist. Für Wettbewerbe, die nicht lukrativ sind, gibt es keinen Platz. Bei der diesjährigen WM zeigt sich die FIS großzügig und lässt die Kombination noch einmal durchführen. Im Weltcup steht keine einzige mehr im Programm.

In der Kombination der Damen gibt es auch für den DSV Medaillenchancen. Die erst 19jährige Emma Aicher vom SC Mahlstetten fuhr in diesem Weltcupwinter bereits im Slalom und in der Abfahrt in die Punkteränge. Insgesamt wird es für das Team des DSV jedoch schwierig werden, die überraschend hohe Medaillenausbeute bei der WM 2021 in Cortina d’Ampezzo zu wiederholen. Vier Medaillen gingen damals nach Deutschland, mehr als nach Norwegen, Schweden oder Italien. Auch Emma Aicher gewann mit ihren damals erst 17 Jahren Edelmetall. Sie war Teil der Mannschaft, die im Teamwettbewerb Bronze holte.

In der Abfahrt der Damen ist Kira Weidle vom SC Starnberg zuzutrauen, nach Silber in Cortina eine weitere WM-Medaille zu gewinnen. Weidle zeigte zuletzt aufsteigende Form und fuhr in zwei Weltcupabfahrten aufs Podest. Das gelang Romed Baumann (WSV Kiefersfelden), dem Silbermedaillengewinner im Herren-Super-G von Cortina, nicht. Doch Baumann stand auch 2021 in keinem einzigen Weltcuprennen auf dem Podest. Warum sollte er bei dieser WM nicht noch eine Überraschung schaffen? Ebenfalls für Überraschungen gut sind seine Speedkollegen Thomas Dreßen (SC Mittenwald), Josef Ferstl (SC Hammer e. V.), Simon Jocher (SC Garmisch) und Andreas Sander (SG Ennepetal). Letzterer verblüffte die Skiwelt schon 2021 in Cortina mit seiner Silbermedaille in der Abfahrt. Im Riesenslalom gibt es für die Herren des DSV eine Medaillenchance durch Alexander Schmid (SC Fischen). Bei der WM 2021 lag Schmid nach dem ersten Lauf auf Rang drei, schied im zweiten jedoch aus.

Die größten Medaillenchancen für den DSV gibt es im Slalom. Bei den Damen gewann Lena Dürr (SV Germering) bei der WM-Generalprobe in Spindleruv Mlyn/Spindlermühle ihr erstes Weltcuprennen seit dem Sieg beim Parallelrennen in Moskau 2013. Dürr verhinderte damit auch den 86. Weltcupsieg der US-Amerikanerin Mikaela Shiffrin, die ansonsten mit dem schwedischen Rekordhalter Ingemar Stenmark gleichgezogen hätte. Insgesamt stand Dürr in diesem Winter schon in vier Weltcup-Slaloms auf dem Podest. Bei den Herren wurde Linus Straßer (TSV 1860 München) zweimal Dritter. Komplettiert wird das deutsche Aufgebot durch die Slalomläufer Andrea Filser (SV Wildsteig), Jessica Hilzinger (SC Oberstdorf) und Sebastian Holzmann (SC Oberstdorf). Medaillen für sie wären ein Wunder.

Wer wird der Superstar dieser WM? Mikaela Shiffrin hat in der diesjährigen Weltcupsaison bereits in jeder Disziplin außer der Abfahrt gewonnen. Dort ist Sofia Goggia die große Favoritin. Die Italienerin dominiert die Disziplin seit Jahren, ist jedoch aufgrund ihres risikoreichen Fahrstils für Ausfälle und Verletzungen anfällig.

Die zwei großen Favoriten in den Speedwettbewerben der Herren sind der Norweger Aleksander Aamodt Kilde und der Doppelweltmeister von Cortina 2021, der Österreicher Vincent Kriechmayr. Doch auch der Gesamtweltcupführende Marco Odermatt aus der Schweiz ist in den Speedrennen für Spitzenplätze gut. In seiner Paradedisziplin, dem Riesenslalom, wäre alles andere als die Goldmedaille für ihn eine große Überraschung.

Im Herrenslalom ist vieles offen. Der Führende in der Weltcupwertung, der Norweger Lucas Braathen, wurde vorige Woche am Blinddarm operiert und muss die WM möglicherweise auslassen. Dafür könnte es zur ersten WM-Medaille für Griechenland kommen. Im letzten Weltcuprennen vor der WM, dem Slalom der Herren in Chamonix am Samstag, fuhr »AJ« Ginnis, Sohn eines Griechen und einer US-Amerikanerin, sensationell auf Platz zwei. Es gewann der wiedererstarkte Schweizer Ramon Zenhäusern.

Drei Wochen kostenlos lesen

Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.

Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.

Drei Wochen lang gratis gedruckte junge Welt lesen: Das Probeabo endet automatisch, muss nicht abbestellt werden.