Ressentiments und rechte Hetze
Von Kristian Stemmler
Für reaktionäre Revolverblätter kamen die Proteste gegen die Errichtung einer Flüchtlingsunterkunft im mecklenburgischen Upahl offenbar wie gerufen. So hetzt Bild seit Tagen gegen das Vorhaben und behauptete am Wochenende, Upahl sei Symbol einer »versagenden Migrationspolitik«. Und sogar von Österreich aus schlug das der ÖVP nahestehende Boulevardportal exxpress.at dieselben Töne an: Das »Versagen in der Flüchtlingspolitik in Deutschland« habe einen »neuen Namen: Upahl«. Anders als von diesen Medien vermutlich erhofft, kam es am Freitag abend aber zu keiner neuerlichen Eskalation. Bei der Bürgerversammlung in einer Sporthalle in Grevesmühlen blieb es eher ruhig.
Anders verlief es beim ersten Anlauf: Ende Januar hatten rund 700 Personen, darunter zahlreiche Neonazis, in Grevesmühlen gegen die Unterkunft gehetzt und schließlich versucht, den Kreistag von Nordwestmecklenburg zu stürmen. Mit Blick auf diese Tumulte bot die Polizei in Upahl dieses Mal nach eigenen Angaben rund 120 Beamte auf, um die Bürgerversammlung zu schützen. Zur Sporthalle erhielten am Freitag abend nur Personen Zutritt, die sich als Einwohner von Upahl ausweisen konnten. Vor der Tür versammelten sich zeitgleich nach Polizeiangaben rund 100 Personen mit Trillerpfeifen, Tröten und Sprechchören gegen die geplante Unterkunft. Laut der Nachrichtenagentur dpa waren auch »Lügenpresse«-Rufe zu hören.
Drinnen ließen sich rund 400 Einwohner und Gewerbetreibende des nördlich von Grevesmühlen gelegenen Ortes von Politik und Verwaltung über die geplante Containersiedlung für etwa 400 Geflüchtete informieren. Dem dpa-Bericht zufolge herrschte unter den Zuhörern Skepsis gegenüber den Plänen des Kreises. So wurde darauf verwiesen, dass die Kapazität der Unterkunft für einen Ort mit nur rund 500 Einwohnern viel zu hoch sei. Auch Ängste vor sinkenden Grundstückspreisen und wachsender Kriminalität wurden geäußert.
Landrat Tino Schomann (CDU) rechtfertigte die Errichtung der Unterkunft. »Ich kann Sie zutiefst verstehen, dass Sie sauer sind, dass Sie enttäuscht sind«, erklärte er den Anwesenden. Der Kreis habe keine andere Möglichkeit gehabt. Er sei unter großen Handlungsdruck geraten, weil ihm seit November 2022 deutlich mehr Flüchtlinge zugewiesen worden seien, so der Landrat. Diese könnten aber, im Gegensatz zu Geflüchteten aus der Ukraine, nur in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Im Landkreis Nordwestmecklenburg gibt es bislang nur in Wismar eine weitere Gemeinschaftsunterkunft für ebenfalls 400 Menschen.
Schomann bemühte sich aber auch um Beschwichtigung. Er versprach, dass nicht mehr Menschen nach Upahl kommen sollen als bisher vorgesehen und dass die Einrichtung nur eine »Überbrückung« sein solle. Wie Vertreter des Landkreises deutlich machten, soll weiterhin nach Alternativen gesucht werden. Gesucht werde ein Grundstück mit 5.000 Quadratmetern, um Unterkünfte für mindestens 200 Menschen zu errichten. Die geplante Unterkunft in Upahl könnte also gekippt werden, sollten sich kurzfristig noch andere Flächen finden lassen, wie der NDR am Freitag berichtete. Am kommenden Donnerstag solle es erneut ein Treffen der Verantwortlichen geben. Auch eine dezentrale Unterbringung der Flüchtlinge sei noch im Gespräch.
Der wohl vor allem von Ressentiments gegenüber Geflüchteten geschuldeten Befürchtung, die Kriminalität könne im Umfeld der neuen Einrichtung zunehmen, widersprach Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD). Von vergleichbaren Einrichtungen wisse man, dass die Kriminalität in der Umgebung nicht zunehme. Zudem würden vor Ort Sicherheitsvorkehrungen getroffen, so der Minister. In der Unterkunft werde es einen Wachdienst geben. Upahls Bürgermeister, Steve Springer, kritisierte nach der Versammlung die mangelhafte Kommunikation in der Sache. »Das ist das beste Beispiel, wie man es nicht machen soll«, sagte er. Die Bürger des Ortes hätten erst gut eine Woche zuvor von den Plänen des Landkreises erfahren.
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Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin ( 7. Februar 2023 um 14:09 Uhr)400 Geflüchtete in einem Ort mit 500 Einwohnern? Auch Linke-Kommunalpolitiker Björn Griese hat da berechtigterweise Bedenken: https://www.ndr.de/nachrichten/info/Fluechtlingsunterbringung-in-Upahl-kann-keine-Dauerloesung-sein,audio1306570.html. Reflexhaftes Dämonisieren solcher Bedenken hilft niemandem. Auch den Geflüchteten nicht.
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Leserbrief von Thomas Walter aus Berlin ( 7. Februar 2023 um 09:16 Uhr)Warum dieses Bild von unsympathischen Krakeelern? Mit Sicherheit hätten sich Einwohner des Ortes zu einem vernünftigen Gespräch finden lassen. Dass sich Bürger ängstigen, ist bei 400 Einwohnern und genauso vielen Flüchtlingen durchaus verständlich. Anstatt des Verweises auf rechte Dumpfbacken hätte ich gerne etwas über die Argumente der Einwohner gelesen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in knut-michael h. aus Ostseebad Heringsdorf ( 6. Februar 2023 um 21:03 Uhr)(…) Wenn offensichtlich dem rechten Spektrum nahestehende Medien ein Versagen der Migrationspolitik konstatieren, dann sprechen sie nur das aus, was ein ernstzunehmendes Faktum ist. Wie kann es sein, dass eine »rot-rote« Landesregierung, die um die Flüchtlingsentwicklung durchaus Bescheid weiß, nicht in der Lage ist, Grundstücke oder leerstehende Gebäude in Mecklenburg-Vorpommern zu finden, um 400 Flüchtlinge unterzubringen? Das fragt sich Kristian Stemmler nicht, statt dessen schwadroniert er von rechter Hetze schon in der Überschrift. Die Ängste der Bürger der 500 Seelengemeinde wurden zwar brav wiedergegeben und ebenso artig wurde die Rechtfertigung des Landrates, genau in diesem Ort die Flüchtlinge unterzubringen, zusammengetragen. Aber keine Positionierung darüber, ob und inwieweit die Bedenken der Bürger berechtigt sind oder inwieweit die Rechtfertigung des Landrates nichts weiter als eine Beruhigungspille für die Einwohner der Gemeinde darstellt. Dafür aber ein paar Zeilen später ein klares über die teilnehmende Bürger vorgebrachtes Urteil, dass diese wohl von Ressentiments gegenüber Geflüchteten geradezu befallen seien. Diese Unterstellung ist, gelinde gesagt, schon despektierlich und steht einer linken Tageszeitung nicht gut zu Gesicht. (…)
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