Konzept Lohndrückerei
Von Susanne Knütter
Kugelnaben, Gelenke und Seitenwellen sind Komponenten, die auch in Elektrofahrzeugen gebraucht werden. Solange Autos mit Rädern fahren, ein krisensicheres Geschäft. Möchte man meinen. Dennoch soll in Zwickau ein Werk mit 835 Beschäftigten, die genau das herstellen, geschlossen werden. Am Montag nachmittag übergab die IG Metall Zwickau der Geschäftsführung des Automobilzulieferers GKN Driveline deshalb Forderungen für einen Sozialtarifvertrag. Darauf hatten sich rund 600 Beschäftigte in einer Betriebsversammlung tags zuvor geeinigt. In dem Sozialtarifvertrag sollen unter anderem die Gründung einer Transfergesellschaft und Abfindungen der Beschäftigten geregelt werden. Oberste Priorität aber, das stellten die Kollegen laut einer Mitteilung der IG Metall von Dienstag klar, haben ihre Arbeitsplätze.
Aber die scheinen sich für das Unternehmen nicht mehr zu rentieren. Am 18. Januar kündigte die Geschäftsführung an, das Gelenkwellenwerk in Zwickau-Mosel, das seit 1981 zum VEB Sachsenring gehörte und das der Autozulieferer GKN Driveline nach dem Anschluss der DDR an die BRD übernommen hatte, zu schließen. Nach Angaben der IG Metall soll in diesem Jahr mit dem Personalabbau begonnen und das Werk in den nächsten zweieinhalb Jahren geschlossen werden. »Damit sollen sie Arbeiter in dem sächsischen Werk im Auftrag des britischen Finanzinvestors Melrose Industries noch solange weiterarbeiten, bis das Werk in Ungarn aufgebaut ist«, verdeutlichte Benjamin Zabel, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Zwickau, gegenüber jW am Dienstag.
GKN Driveline verweist laut IG Metall auf einen starken internationalen Preisdruck im Bereich der Gelenkwellen. Weil dieser Konkurrenzkampf zu den Bedingungen in Deutschland nicht zu gewinnen ist, führte die IG Metall seit 2011 immer wieder Gespräche mit der Unternehmensleitung, um das Werk »zukunftssicher« aufzustellen. So schlug die Gewerkschaft vor, alternativ auch für andere Branchen und andere Bauteile zu produzieren – außerhalb des Individualautomarktes, etwa im Bereich der Energieerzeugung aus erneuerbaren Ressourcen, erläuterte Zabel. GKN wolle aber nicht investieren. Strategie sei, durch die Verlagerung der Produktion in »Best-Cost-Countries« noch mehr auf dem Rücken der Arbeiter für die Anteilseigner herauszuholen, so Zabel. Zwar habe GKN Driveline auch in Olesnica in Polen ein Werk. Aber auch dort komme die Lohndrückerei inzwischen an Grenzen.
Dass diese Schließung weitere nach sich ziehen wird, davon ist auszugehen. Der Autozulieferer der ehemaligen Aktiengesellschaft Guest, Keen and Nettlefolds (GKN) produziert in Deutschland außerdem an den Standorten Offenbach, Kiel und Trier. 2018 wurde das Werk in Kaiserslautern geschlossen. Das war auch das Jahr, in dem Melrose GKN in einer feindlichen Übernahme aufkaufte und die Gesellschaft in mehrere Unternehmen aufspaltete. Es folgten außerdem Betriebsschließungen in Birmingham und Campi Bisenzio bei Florenz. Na ja, fast. Denn nachdem den Florentiner Kollegen die Entlassungen mitgeteilt worden waren, versammelten sie sich zu einer Betriebsversammlung, die nicht enden sollte. Bis heute halten sie der Schließung des Werks stand und suchen selbständig nach Investoren.
Die IG Metall setzt zunächst auf Verhandlungen mit der Geschäftsführung und erwartet, dass sie nächste Woche aufgenommen werden. Wäre eine unbefristete Betriebsversammlung auch für die Zwickauer Kollegen eine Möglichkeit? »Wir prüfen alle Optionen«, so die Antwort des Gewerkschafters Zabel.
Drei Wochen kostenlos lesen
Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
Ähnliche:
- Oliver Berg/dpa24.01.2023
Feuern am Fließband
- IMAGO/BeckerBredel24.06.2022
Wortbruch bei Ford
- Siphiwe Sibeko/REUTERS21.02.2022
Brüchige Lieferketten
Mehr aus: Inland
-
»Das Bekenntnis zu linker Haltung wird bestraft«
vom 01.02.2023 -
»Das ist fachlich-medizinisch haarsträubend«
vom 01.02.2023 -
Wahl unter Vorbehalt
vom 01.02.2023 -
Im Sumpf steckengeblieben
vom 01.02.2023 -
Immoriese als Baumuffel
vom 01.02.2023