»Ein Text ist etwas hoch Kodiertes«
Von Maximilian Schäffer
Josefine Rieks hat einen Metapoproman geschrieben. »Der Naturbursche«, erschienen im XS-Verlag, erzählt von einem alternden Popliteraten namens Martin von Hohenstein, der sich im Jahr 2001 in einer privaten wie beruflichen Lebenskrise wiederfindet. Die Exzesse der 90er-Jahre hängen ihm in den Knochen. Der selbstgerechte Hedonismus der Dotcom-Generation, das Koksen und Schwadronieren in der metropolitanen Intellektuellenclique hat sich als wenig tröstlich erwiesen. Von Hohenstein versucht den Waldgang und bekommt zunächst nur westfälische Kleinbürgerlichkeit. Doch dann tritt Christian in sein Leben, ein verschwurbelter, aber liebenswürdiger Heilpraktiker. Emotionen fernab ständiger ironischer Brechung erweisen sich in jeder Hinsicht als Herausforderung. (mas)
*
Welche Autoren verachten Sie am meisten?
Es wäre jetzt auf jeden Fall sehr attraktiv, Namen zu nennen. Nun ja. Will ich wirklich Namen nennen? Ich glaube zumindest, es ist niemals gut, aus der Perspektive von Kindern zu schreiben. Das wird extrem schnell lächerlich und führt zu extrem langweiligen Geschichten.
Sie können also Wolfgang Herrndorf nicht leiden. Verachten Sie Popliteratur?
Ich weiß nicht so genau, woher Sie die Verachtung nehmen. Zumindest kann ich in »Der Naturbursche« eigentlich keine ausmachen.
Ihre Figur ist ein durchaus lächerlicher, 30jähriger Mann in den frühen 2000er Jahren. Sie sind 1988 geboren.
So eine Figur zu erfinden, fängt im besten Sinne ja an, eine gewisse schillernde Ambivalenz zu erzeugen. Literatur schreiben und keinen Essay. Wenn mich allerdings nur Verachtung getrieben hätte, wäre das nicht Inspiration genug gewesen, eine Figur mit einer ganzen Geschichte drum herum zu konstruieren. Bestimmt bin ich zumindest gespalten. Und das ist doch vielleicht spannend genug, den langen Atem zu entwickeln, 200 Seiten zu schreiben. Als ich begann, an »Der Naturbursche« zu arbeiten, haben einige dieser Popliteraten, die heute 50 Jahre alt oder älter sind, auf einmal autobiographische Literatur herausgegeben. Bret Easton Ellis zum Beispiel veröffentlichte »Weiß«, Benjamin von Stuckrad-Barre »Panikherz«. Ich fand es interessant, dass diese Typen auf einmal anfingen, total mit der Ästhetik zu brechen, mit der sie in den 90ern innovativ waren. Bestimmt war diese Lektüre die erste Inspiration.
Haben Sie das mit Freude oder Verachtung gelesen?
Das ambivalente Verhältnis, von dem ich gerade gesprochen habe, ist vielleicht erst mit diesen autobiographischen Werken aufgetaucht. Denn die Popliteratur der 90er Jahre finde ich ziemlich hervorragend. Da gibt es viel Scheiß, der nicht gelungen ist, aber die gelungenen Werke finde ich großartig. Ich habe die mit Anfang 20 gelesen und mir gewünscht, ein bisschen früher geboren worden zu sein. Besonders imponierte mir dieses ästhetizistische Spiel mit der Wahrheit, in dem Ironie immer eine große Rolle gespielt hat. Dem autobiographischen Schreiben hingegen ist aber immer der Wunsch inhärent, die »wirkliche« Wahrheit zu sagen.
Wie halten Sie es mit der Wahrheit?
Im »Naturburschen« habe ich das Klischee eines Popliteraten erfunden, er heißt Martin von Hohenstein. Dieser fiktive Autor fängt auch an, damit zu liebäugeln, es endlich einmal mit einer Wahrheit, die eins zu eins seine ist, zu versuchen. Das ließe sich sicher als eine Parallele finden.
Von der Figur zur Autorin?
Nein, vom Interesse der Popliteraten am Autobiographischen. Da gibt es vielleicht einen kleinen Denkfehler, den Sie da machen: dass das Schreiben einer ausgedachten Figur auch immer etwas Autobiographisches wäre. Als ob man erlebt haben müsste, was man schreibt. Selbst wenn ich damals nicht erwachsen war, kann ich den autobiographischen Ansatz doch nachstellen oder zumindest flankieren. Ein Text ist etwas hoch Kodiertes, das nach bestimmten handwerklichen Regeln funktioniert, sich nicht nach dem Wert von Erfahrung richtet.
Die Konstruktion Ihrer Figur lebt von popkulturellen Referenzen. Die müssen doch aber zumindest in sich so authentisch sein, dass sie Zeit und Raum erklären können.
Das ist natürlich auch eine Setzung von Ihnen, dass das »authentisch« sein muss. Zweifelhaft ist, ob ich überhaupt das Jahr 2001 so sehr beschreibe, meine Figur befindet sich ja in der westdeutschen Provinz, es gibt viele Landschaftsbeschreibungen. Die Außenwelt bekommt von Hohenstein vor allem über das Fernsehen mit. Ich habe zur Recherche beispielsweise sehr viel Harald Schmidt auf Youtube geguckt. Entsprechend erzählt auch mein Roman vor allem von dieser schon reproduzierten Welt des betreffenden Jahres. Wirklich erlebt werden hingegen seine Rückblicke in die 90er. Da gibt es eine Liebesgeschichte, da ist von Hohenstein viel in Kneipen, da wird gekokst und über bestimme Themen diskutiert – zum Beispiel über Mode. Deswegen habe ich mich aber nicht als Historikerin mit der Mode der 2000er auseinandergesetzt, sondern die Diskussion an sich als Referenz auf die Popliteratur verwendet. Bei Bret Easton Ellis geht es immer viel um Mode, und ich habe sie bei Ellis abgeschrieben. So werden die Referenzen zur Popliteratur halt wieder selbst zu Popliteratur, weil sie dieselben Regeln befolgen.
Ihr erster Roman »Serverland« erschien im Hanser-Verlag, Ihr zweiter im wesentlich kleineren XS-Verlag.
Magnus Klaue habe ich als Autor immer sehr geschätzt – da dachte ich, ich schicke seinem Verlag mal mein Manuskript. Dann kam Moritz Liewerscheidt, der neue Herausgeber von XS auf mich zu, und wir haben uns gleich alkoholisch und literarisch gut verstanden. Am Ende hat die Zusammenarbeit mit einem kleinen Verlag nur Vorteile: Da kann man nach ein paar Bieren entscheiden, welches Cover das schönste ist.
Josefine Rieks, Jahrgang 1988, studierte Philosophie in Berlin und Bonn. 2018 veröffentlichte sie den Science-Fiction-Roman »Serverland« im Hanser-Verlag, der 2019 in spanischer Übersetzung erschien und 2022 im Theater Landungsbrücken in Frankfurt am Main uraufgeführt wurde. Zusammen mit Hannes Wesendonk schrieb und produzierte sie die No-Budget-Filme »U 3000 – Tod einer Indieband« (2018) und »Erster Berliner Kunstverein e. V.« (2021). Im Oktober 2022 erschien im XS-Verlag ihr Roman »Der Naturbursche«. Rieks lebt in Wien
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