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Aus: Ausgabe vom 27.01.2023, Seite 9 / Kapital & Arbeit
Westafrika

Wachsende Dollar-Schulden

Wirtschaftskrise in Ghana: Kosten für Lebensmittel und Sprit explodieren. Immer mehr Außenstände. Neuer IWF-Kredit soll »helfen«
Von Selina Böttcher, Accra
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Nahezu den gesamten Lohn kostet der Arbeitsweg, beim Einkaufen stehen viele Ghanaer dann am Rand der Verzweiflung

Die Inflation hat in Ghana zum Jahreswechsel die 50-Prozent-Marke überschritten – so schlecht ging es der ghanaischen Wirtschaft zuletzt vor über zwei Jahrzehnten. Nach dem Amtsantritt des Präsidenten Nana Akufo-Addo im Jahr 2017 war die Inflation vorübergehend gesunken, es gab auch ein leichtes Wirtschaftswachstum. Allerdings hatte Akufo-Addo dabei hauptsächlich auf den Ölsektor gesetzt, und andere Bereiche vernachlässigt, etwa die Landwirtschaft.

Die derzeitige Krise in Ghana, das einst als »Africa’s shining star« galt, trifft in erster Linie die Bevölkerung. Der Graph für den Wert des Cedi gleicht einer Berglandschaft; aktuell ist er die instabilste von 148 Währungen weltweit. Die Lebenshaltungskosten explodieren geradezu; immer weniger Ghanaer können sich Essen und Mobilität leisten.

Auch Emmanuel musste die Preise für seine Ware erhöhen. Er verkauft Indomie, gebratene Nudeln mit Ei, in einem kleinen Stand am Wegrand in einem der ärmeren Viertel Accras. Vor einem Monat hat er seine Boxen mit Reis oder Nudeln noch für zwölf Cedi verkauft – jetzt sind es bereits 15. »Die Lebensmittel, die ich zur Zubereitung brauche, werden immer teurer«, sagt er im Gespräch mit jungen Welt. »Reis, Eier, Gemüse – um sie mir noch leisten zu können, muss ich die Preise erhöhen. Die Konkurrenz handelt genauso; da muss ich mitziehen.«

Auch die Spritpreise sind gestiegen, und dementsprechend die Kosten für Bolt, Uber und Trotros – Minibusse, die Leute in Accra von A nach B bringen. Der Weg zur Arbeit wird für viele so teuer, dass fast der gesamte Lohn für den Transport draufgeht. Wenn dann noch Essen für die ganze Familie gekauft werden muss, stehen viele Ghanaer am Rand der Verzweiflung.

2019 erlebte die ghanaische Wirtschaft ein Hoch. Das Land ist der achtgrößte Ölproduzent in Afrika. Auch Gold und Kakao sind wichtige Exportgüter. Aber: »Es wurden falsche Prioritäten gesetzt«, sagt Benjamin Kofi Quashie, Vorsitzender der Allied Consortiums Group, ein Tiefbauunternehmen mit Sitz in Südafrika und Niederlassungen in Ghana, gegenüber jW. »Gelder wurden für unwichtige Projekte wie den Bau der nationalen Kathedrale verschwendet, statt in die Industrie zu investieren, um Produktion und Beschäftigung anzukurbeln.« 2020 versetzte die Coronapandemie der Wirtschaft einen harten Schlag. Während eines dreiwöchigen Lockdowns finanzierte die Regierung 470.000 Haushalten Wasser, Strom und Essen – das kostete 8,7 Millionen Euro. Das Land blieb optimistisch, dass es sich von dem Einbruch erholen würde. Dann begann der Krieg in der Ukraine und die Lebensmittelpreise schossen weltweit in die Höhe.

Ghana ist zu einem Großteil auf Ware aus dem Ausland angewiesen. Etwa 70 Prozent der Güter werden importiert, die meisten davon aus Europa und China. Gezahlt wird hauptsächlich in Dollar, was die Einkäufe durch den sinkenden Wert des Cedi verteuert. Der Schuldenberg wächst. Einnahmen werden vor allem für die Bezahlung von Angestellten in den Bereichen Bildung, Gesundheitswesen und Sicherheit ausgegeben, die Regierung ist Ghanas größter Arbeitgeber. 2021 hat das Land zwar für umgerechnet eine knappe Milliarde Euro 111 Krankenhäuser erbaut. Straßen, Schulen und die Infrastruktur für Märkte kamen jedoch zu kurz. In der Folge wuchsen die Dollar-Schulden.

Hinzu kommt die Korruption, die auch der Regierung vorgeworfen wird. Eine Studie von Transparency International bewertete Ghana als neuntkorruptesten von insgesamt 49 Subsaharastaaten. 2021 sollen knapp 400 Millionen Euro aus der nicht gut gefüllten Staatskasse in private Hände geflossen sein. In der schwierigen Gesamtsituation wenden sich zunehmend Investoren von dem Land ab.

Nun hat der ghanaische Staat im vergangenen Jahr einmal mehr »Hilfe« beim Internationalen Währungsfonds beantragt. Ein Darlehen von drei Milliarden US-Dollar ist vorgesehen. Die Bedingungen sind altbekannt: Der Staat muss fünf Jahre lang seine Ausgaben kürzen und die Steuern erhöhen. Das wäre nach Einschätzung des IWF nötig, um die Schulden auf ein »nachhaltiges« Niveau zu bringen. Selbst für den Unternehmer Quashie ist diese Entwicklung kein Lichtblick: »Die Rettungsaktion des IWF wird unsere Last eher vergrößern, als dass sie uns hilft.« In seinen Augen ist Ghanas einzige Hoffnung »eine industrialisierte Produktion, die Arbeitsplätze schaffen wird«. Das kann wohl noch dauern.

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