Wiederholungsfehler
Von Arnold Schölzel
Die Entscheidung, »Leopard«-Panzer in die Ukraine zu liefern, ist die aktuelle Konsequenz einer Politik, die seit dem DDR-Anschluss und dem NATO-Beschluss zur Osterweiterung verfolgt wird. Die BRD hat heute mit Kiew und Washington das gemeinsame Ziel, Russland strategisch zu schwächen – bis hin zum Zerfall seiner Staatlichkeit. Die Stärkung der deutschen Position ist zugleich erkennbare Absicht – ein Wiederholungsfehler des deutschen Imperialismus. Am Anfang stand: Alle mündlichen Absprachen mit Moskau bei der DDR-Einverleibung, aber auch der Zwei-plus-vier-Vertrag wurden gebrochen. In dessen Artikel zwei steht, dass von deutschem Boden »nur Frieden ausgehen wird«.
Klasseninteresse ist stärker: Gegenüber ärmeren Ländern ist aus Sicht der Reichen alles erlaubt. Kolonialexpeditionen gegen Habenichtse, merkte Lenin einmal an, gelten Großmächten nicht als Kriege, nicht nur wegen des enormen Missverhältnisses der Kräfte, sondern auch, weil die Opfer »nicht einmal als Völker angesehen werden (irgendwelche Asiaten, Afrikaner – sind das etwa Völker?)«. Seit der NATO-Expansion war die Reaktivierung einer gleichgearteten Russland-Verachtung im osteuropäischen Hinterhof des deutschen Kapitals und erst recht hierzulande eine leichte Übung. In den europäischen Nachbarstaaten hatten die regierenden US-Marionetten den Kampf gegen Russland zur Staatsräson gemacht, dessen Atommachtstatus wurde großzügig ausgeklammert.
Folgerichtig ist mit der »Leopard«-Lieferung nicht Schluss. Selbst ein Hardliner wie Sicherheitsexperte Markus Kaim von der Stiftung »Wissenschaft und Politik« meinte am vergangenen Freitag im Spiegel: Angesichts der dürftigen Begründungen für deutsche Waffenlieferungen »ließe sich auch die Lieferung taktischer Nuklearwaffen an die ukrainischen Streitkräfte rechtfertigen«. Die Forderungen Melnyks und Selenskijs nach Raketen, Kampfflugzeugen und mehr Artillerie sind insofern nur Zwischenstand. Gewichtiger ist die NATO-Ankündigung vom Donnerstag, dass die von den USA gezimmerte Kriegskoalition »Ukraine-Kontaktgruppe« bereits am 14. Februar wieder in Brüssel tagt. Die Springer-Zeitung Politico verbreitete parallel Zitate, nach denen die Diskussion über die Lieferung von Kampfjets im Westen längst eingesetzt hat. Am selben Tag hieß es programmatisch auf Seite eins der FAZ: »Nach dem Leopard ist vor dem Tornado, ob ihn der Kanzler jetzt ausschließt oder nicht.«
Von Helmut Schmidt ist überliefert, dass er im Fall eines bevorstehenden sowjetischen Angriffs mit Atomwaffen als Kanzler die BRD für neutral erklären oder kapitulieren wollte – im Wissen, dass die USA ein Verglühen Westeuropas stets einkalkulieren. Jetzt rückt der Tag näher, an dem zu entscheiden ist, ob eine erhebliche russische Reaktion herausgefordert wird. Nach Auffassung Kaims hat die deutsche Außenpolitik längst »Maß und Mitte« verloren. Ausgang also offen.
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Leserbrief von Winfried Höna aus Leipzig (27. Januar 2023 um 19:40 Uhr)Vielleicht ist das ja genau der Plan dieser westlichen Kriegsbefürworter: erst die Ukraine vernichten und danach das möglicherweise geschwächte Russland besiegen. Ich bin gespannt, wie das ausgehen wird und hoffe, das Ende noch zu erleben. Gibt es bei uns keine Kräfte mehr, die diesen Wahnsinn stoppen können? Übrigens bin ich gespannt, welche Begründung Olaf Scholz vorbringen wird, wenn er die Zustimmung zur Lieferung von Kampfflugzeugen und Langstreckenraketen gibt, nachdem er gerade vehement dagegen ist (»Vertrauen Sie mir!«).
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Gabriel T. aus Berlin (27. Januar 2023 um 11:54 Uhr)Aller guten Dinge sind drei, sagt der Volksmund. Wieder rollen deutsche Panzer gegen Russland. Wieder einmal wird es das gleiche für Deutschland katastrophale Ergebnis haben. Ja, lernen die denn nix aus ihren Fehlern? fragt sich da jeder Grundschüler. Selbst deutsche Nationalisten erscheinen progressiv gegenüber dieser Politik. Jahrhunderte zurückgefallen gegenüber dem Kantschen Duktus der Vernunft, werden sich im kommenden Jahrzehnt Historiker wieder einmal Gedanken machen, wie es dazu kommen konnte. Doch diesmal wird sich dann doch ein Morgenthauplan durchsetzen, weil dieses Verhalten nur noch pathologisch erklärt werden kann. Noch ist es verboten, Leute wie Baerbock, Habeck oder Strack-Zimmermann mit Himmler, Heydrich oder Goebbels zu vergleichen, aber in zehn Jahren wird die Kontinuität nicht mehr zu übersehen sein. Dieses Mal werde ich nicht warten, bis sie uns aus den Kellern holen.
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Leserbrief von Pavel Elver aus Hamburg (27. Januar 2023 um 14:10 Uhr)Wo rollen denn deutsche Panzer gegen Russland? 1941 haben deutsche Panzer die Ukraine angegriffen, 2023 sollen deutsche Panzer helfen, die Ukraine zu verteidigen. Das ist doch genau das Gegenteil – wo ist denn da die Wiederholung?
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Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (26. Januar 2023 um 20:37 Uhr)Beim »Leopard« wird es gewiss demnächst nicht bleiben, als nächstes sind wohl dann Fernraketen für die Ukraine vorgesehen, ggf. die schmutzige Atombombe. Zudem verfügt die Ukraine über biologische Kampfstoffe, die möglicherweise gleichfalls zum Einsatz kommen. All das ist eine Spirale ohne Ende, denn mit jeder frisch eingesetzten »Wunderwaffe« folgt die nächste, so wie nach der »V 1« die »V 2« eingesetzt wurde. Wird dieser Wahnsinn von den westlichen »Wertestaaaten« nicht endlich gestoppt, müssen wir einen dritten Weltkrieg einkalkulieren. Das jetzige »Unternehmen Barbarossa II« schließt so was nicht aus.
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