»Diese Konflikte können nicht in einem Jahr gelöst werden«
Interview: Thorben Austen
Vor einem Jahr, am 27. Januar 2022, wurde Xiomara Castro als Präsidentin von Honduras vereidigt. Wie hat sich die Lage der sozialen Bewegungen in den vergangenen zwölf Monaten verändert?
In den vorherigen zwölf Jahren der »Diktatur« (gemeint sind die rechten Regierungen seit dem Putsch gegen Manuel Zelaya 2009, jW) dominierte die Repression. Heute ist die Situation für die sozialen Bewegungen in Honduras ruhiger. Viele hoffen darauf, dass die Regierung Antworten auf die großen Probleme im Land finden wird. Bei der Amtseinführung trug Castro die »Vara Alta Lenca« – ein traditioneller Stab mit Fahne und Symbol der indigenen Völker in Honduras. Zunächst standen die sozialen Bewegungen sehr geschlossen zu Xiomara Castro, nach einem Jahr ist das Verhältnis schon differenzierter. Während einige weiterhin große Sympathien für die Regierung haben, sehen andere das schon etwas kritischer. Davon abgesehen gibt es den Widerstand seitens der politischen Rechten, aus den konservativen und nationalistischen Kreisen, die der Regierung die Arbeit schwer machen.
Ein anhaltendes Thema in Honduras sind die Konflikte rund um den Bergbau. Gibt es hier Verbesserungen?
Im vergangenen Jahr wurde ein Gesetz beschlossen, das den Tagebau verbietet. Die Bergbauunternehmen halten sich aber nicht daran und berufen sich auf laufende Konzessionen. Kein einziges der Projekte wurde bisher eingestellt. Da gibt es zum Beispiel den Fall in der Gemeinde Azucualpa im Nordosten des Landes, wo der Friedhof einer Gemeinde für die Ausbeutung von Goldvorkommen in Mitleidenschaft gezogen wird. Oder die Umweltschützer von Guanipol (Widerstand gegen einen Eisenerztagebau in einem Naturschutzgebiet, jW). Zwar wurden im Laufe des vergangenen Jahres die letzten acht von 32 Compañeros, die 2019 inhaftiert wurden, freigelassen, aber im Januar wurden zwei Compañeros aus der Gruppe ermordet. Auch in diesen Fällen arbeiten die Unternehmen weiter.
In welchen anderen Bereichen sind Sie nicht mit den bisherigen Ergebnissen der Regierungspolitik zufrieden?
In der Landfrage, einem der zentralen sozialen Probleme in Honduras, gibt es bislang keine Bewegung. Das Land bleibt bislang in den Händen weniger, und weiterhin bestimmen Monokulturen das Bild. Zwar war die Agrarreform neben der Frage des Bergbaus eines der zentralen Versprechen von Xiomara Castro, nur ist dieses Vorhaben schwer umzusetzen. Hier geht es um harte Interessenkonflikte, die nicht in einem Jahr gelöst werden können. Weiterhin werden Menschen vertrieben und Gemeinden geräumt. Das sind geplante Aktionen von Polizei und Militär, basierend auf der Kriminalisierung von Compañeras und Compañeros. Erschwerend kommt hinzu, dass der Oberste Gerichtshof weiterhin von Vertrauten der Nationalen Partei des rechten Expräsidenten Juan Orlando Hernández (von 2014 bis 2022 im Amt, jW) besetzt ist. Sie vertreten die Interessen der Unternehmen und Großgrundbesitzer.
Im Dezember hat die Regierung erstmals den Ausnahmezustand ausgerufen. So sollten kriminelle Jugendbanden, die sogenannten Maras, besser bekämpft werden können. Im Januar wurde er noch mal um 45 Tage verlängert und zudem räumlich ausgeweitet. Ist der Ausnahmezustand der richtige Weg, um die »Maras« zu bekämpfen?
Wir verurteilen diese militärische Antwort auf die Kriminalität, auch wenn die Bevölkerung unter den Banden leidet. Durch den Ausnahmezustand werden Menschen aus armen Gegenden pauschal verdächtigt, Mitglieder der Banden zu sein. Das betrifft gerade Regionen, in den wir als Bewegung unsere soziale Basis haben. Durch den Ausnahmezustand werden die strukturellen Probleme nicht gelöst. In der Polizei etwa gibt es große Probleme mit Korruption sowie Verbindungen in die organisierte Kriminalität. Man darf nicht vergessen: Das ist noch dieselbe Behörde wie unter der rechten Regierung von Juan Orlando Hernández.
Santos David Martinez ist Koordinator für politische Bildung beim »Movimiento Amplio por la Dignidad y la Justicia« (Breite Bewegung für Würde und Gerechtigkeit, MADJ) in Honduras
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