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Aus: Ausgabe vom 27.01.2023, Seite 6 / Ausland
Athener Abhöraffäre

Nacht der langen Messer

Griechenlands Premier entlässt Polizeioffiziere. Tsipras stellt Misstrauensantrag. Hintergrund ist großangelegte Abhöraffäre
Von Hansgeorg Hermann
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Ziemlich beste Feinde: Griechenlands rechter Premierminister Mitsotakis (M.) bei einer Rede von Syriza-Chef Tsipras (r., Athen, 17.12.2022)

Griechenlands rechte Regierung versucht offenbar, in der seit Februar 2022 kochenden Abhöraffäre Täter und Mitwisser aus dem Verkehr zu ziehen. In einer »Nacht der langen Messer« seien am Mittwoch völlig überraschend hohe Polizeioffiziere entlassen worden, die vermutlich »mehr oder weniger« in den Fall verwickelt seien, meldete am Donnerstag morgen die konservative Athener Tageszeitung Kathemerini. Am selben Tag hatte die linke Parlamentsopposition unter Führung des früheren Ministerpräsidenten Alexis Tsipras einen Misstrauensantrag gegen Premier Kyriakos Mitsotakis eingebracht. Der seit Juli 2019 regierende rechte Politiker sei in vollem Umfang verantwortlich für die im vergangenen Frühjahr von Journalisten aufgedeckte Abhöraktion der griechischen Geheimdienste und dürfe »nicht länger im Amt bleiben«.

Mitsotakis, der bis heute behauptet, er habe von dem Lauschangriff der Dienste »nichts gewusst«, hatte nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten unverzüglich die ΕΥP (Nationalen Informationsdienste) an sich gezogen und sie der Kontrolle seines persönlichen Büros unterstellt. Wie die Wochenzeitung Documento im vergangenen November unwidersprochen verbreitete, hatten seine Dienste seither mehr als 160 Persönlichkeiten aus Politik, Medien, Privatunternehmen und sogar der eigenen Regierung abgehört. Den Premier beschrieb der Chefredakteur des Journals, Kostas Vaxevanis, als Paranoiker, »für den alle Individuen Feinde und eine potentielle Gefahr sind«. Das gelte selbst »für Personen aus seinem engeren Umkreis, die diesem Delirium von Überwachung nicht entkamen«.

Tsipras, dessen Partei Syriza (Koalition der radikalen Linken) die größte Oppositionsfraktion in der »Bouli« stellt, versicherte am Mittwoch im Plenum, er habe »Beweise« dafür, dass Mitsotakis nicht nur von den illegalen Aktivitäten seiner Dienste gewusst habe, sondern für sie verantwortlich gemacht werden müsse. Entsprechende Dokumente habe ihm die unabhängige nationale Behörde für Kommunikationssicherheit (ADAE) geliefert. In der Tat bestätigte die ADAE unter anderem die Telefonüberwachung des Arbeitsministers Kostas Hatzidakis, des Generalstabchefs Konstantinos Floros, des Chefs der Landstreitkräfte und mehrerer hoher Offiziere aus Armee, Marine und Luftwaffe.

Als erstes öffentlich bekanntes Opfer war im Februar 2022 der sozialdemokratische Politiker Nikos Androulakis bekanntgeworden. Der kretische EU-Abgeordnete und Vorsitzende der früheren Regierungspartei Pasok (Panhellenische sozialistische Bewegung) war von der amtlichen Brüsseler Kommunikationskontrolle darauf aufmerksam gemacht worden, dass sein Mobiltelefon seit Monaten von Spezialisten der griechischen Dienste abgehört worden war.

Im Plenum klagte Tsipras nun seinen Gegner Mitsotakis an, als »Gehirn eines kriminellen Netzes« – so müsse die Überwachung durch die Geheimdienste bezeichnet werden – gehandelt zu haben. »Der Ministerpräsident darf nicht an der Macht bleiben«, warnte Tsipras. Der Premier habe »gelogen« und »das ganze Gewicht seiner Autorität« eingesetzt, um die Wahrheit zu verschleiern. Dem Misstrauensantrag gegen Mitsotakis, der 2019 zwei ehemalige Führer faschistischer Formationen in sein Kabinett integrierte, werden wenig Erfolgschancen eingeräumt. Seine Partei Nea Dimokratia (ND) hält im Parlament 156 der 300 Abgeordnetensitze. Der Antrag, über den an diesem Freitag abgestimmt werden soll, könnte allerdings dazu führen, dass die vom Premier für Juni/Juli angesetzten Neuwahlen vorgezogen werden.

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