Wumms für Industrie
Von David Maiwald
Das »Jahr des Aufbruchs in eine sozial-ökologische Transformation« ist für die Industriegewerkschaft Metall (IGM) angebrochen. Die verheißungsvolle Worthülse, der sich der in diesem Jahr scheidende Vorstandsvorsitzende Jörg Hofmann auf der Jahrespressekonferenz der IGM am Donnerstag in Frankfurt am Main bediente, ist derzeit gut geeignet, beim Publikum Hoffnungen auf eine Verbesserung der Verhältnisse zu wecken. Denn der tatsächliche Umfang zu erwartender Veränderung und der Folgen sind von der Gegenwart aus noch unmöglich zu ermessen.
Zukunftsfähigkeit sichern
Um so mehr lässt sich die Projektion von Hoffnungen auf einen progressiven Wandel – sozial, weil offenbar auf eine Verbesserung der Lebensumstände der Menschen gerichtet, und ökologisch, weil wahrscheinlich auf einen Ausgleich mit der bereits schwerbelasteten Natur abzielend – mit allerlei Forderungen füllen. Es brauche einen »richtigen Wumms«, scholzte Hofmann bei der Pressekonferenz. Nur eine »drastische Beschleunigung« von Innovation und Investitionen könne die »Zukunftsfähigkeit von Unternehmen« im Rahmen dieses Wandels sicherstellen. Denn »gerade in der Industrie« drohten »tektonische Verschiebungen (…) Europa zwischen einer America-first Politik und einer hohen Abhängigkeit von China zu zerreiben«, erklärte der IGM-Vorsitzende.
Er sehe »einige entscheidende politische Weichenstellungen für die Zukunft der Industrie und der dort Beschäftigten, die wir vertreten«, so Hofmann. Der »Inflation Reduction Act« erhöhe »den Druck auf Europa, die Rahmenbedingungen zu schaffen, um Leitmarkt für eine erfolgreiche Energie- und Mobilitätswende zu werden«. Es gehe dabei nicht nur um Subventionen, sondern um »Verlässlichkeit der langfristigen Rahmenbedingungen« – genauer: »Einen Ausgleich der Wettbewerbsnachteile aufgrund der heute höheren Energiekosten in Europa.« Die Lösung sieht die IGM in einem Industriestrompreis für die energieintensive Produktion, der es erlaube, »im globalen Wettbewerb zu bestehen«, wie Hofmann erklärte. Durch die hohen Energiekosten seien hierzulande »massenhaft Arbeitsplätze bedroht«, pflichtete IGM-Vorstandsmitglied Jürgen Kerner bei.
Mitgliederschwund
Um »Zehntausende neue und qualifizierte Beschäftigte« für einen gelingenden Wandel in der Industrie bereitstellen zu können, fordere die IGM weiterhin eine Ausbildungsgarantie für alle Jugendlichen, so Hofmann. Man wolle Unternehmen »auffordern und verpflichten«, Bildung und Qualifizierung der Beschäftigten zu ermöglichen. Die von der Ampel auf die Agenda gesetzte Bildungszeit bzw. Bildungsteilzeit gehe da nicht weit genug. Im Rahmen einer solchen Maßnahme müsse ein »berufsqualifizierender Abschluss« das Ziel sein und eine »ausreichende materielle Absicherung« ermöglicht werden.
Die IGM verzeichnete auch im vergangenen Jahr weiter sinkende Mitgliederzahlen. Die Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie zum Ende des Jahres habe zwar eine »grandiose Aufholjagd« bei den Mitgliederzahlen gebracht, das zweite Halbjahr mit 117.000 Neuaufnahmen die höchste Zahl der Neueintritte seit 2018. Mit einer »erfolgreichen Tarifpolitik« habe man im vergangenen Jahr den »Markenkern« gestärkt. Das konnte das Minus beim Mitgliederbestand im vergangenen Jahr noch auf lediglich ein Prozent drücken. Die IGM-Kovorsitzende Christiane Benner freute sich über einen »Sprung nach vorne« der Mitgliederzahlen bei Angestellten, besonders bei Ingenieuren. Die IGM habe gerade bei Hochqualifizierten bei Betriebsratswahlen »große Erfolge« erzielt. Insgesamt zählte die IGM zum Jahresende 2.146.815 Mitglieder.
Hofmann kündigte für das laufende Jahr eine neue Organisationsstruktur der IG Metall an. Bis zum Gewerkschaftstag im Oktober laufen interne Diskussionen über eine – 2011 noch abgelehnte – Verkleinerung des geschäftsführenden Vorstands von jetzt sieben auf fünf Mitglieder. In der Diskussion über eine künftige Doppelspitze der Gewerkschaft stellte Hofmann für März einen Vorschlag aus dem Vorstand in Aussicht. Er selbst werde »vor der Sommerpause« einen Personalvorschlag unterbreiten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (27. Januar 2023 um 15:43 Uhr)Die IGM wird schon helfen, »einen Ausgleich der Wettbewerbsnachteile« herzustellen. Allerdings durch eine (relative) Senkung des Industriearbeitskraftpreises, die eine Senkung des Industriestrompreises subventioniert. Nach 57,5 Mitgliedsjahren in der IGM überlege ich, ob ich meine Stromkosten durch Austritt subventionieren soll. Ich frage mich schon, warum den Herrn Hofmann die Konsumentenstrompreise nicht interessieren. Der Auffassung von Kollegen Joachim B., »Kollegin Benner hat die Kompetenz« als Spitzenfrau, kann ich mich nicht anschließen. Genauer gesagt: Es kommt nicht drauf an, denn einen »richtigen Wumms« bezüglich der gesellschaftspolitischen Orientierung der IGM würde die Dame nicht veranstalten, Komanagement halt. Dass »bei Hochqualifizierten bei Betriebsratswahlen« große Erfolge »erzielt« wurden, liegt wohl eher daran, dass die DAG in Gestalt der IGM unterwegs ist.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim B. (27. Januar 2023 um 10:26 Uhr)Eine kleine Anmerkung zum Thema Doppelspitze. Hier geht es doch nur darum, den Politmachos wie z. B. Roman Zitzelsberger ein Pöstchen zu erhalten. Wenn die IG Metall Vorbild sein will, muss sie endlich eine Frau an die Spitze stellen, auch wenn man innerhalb mit manchem Betriebsratsfürsten unangenehme Diskussionen führen muss. Kollegin Benner hat die Kompetenz. Dass sie keine Erfahrung in Tarifkämpfen hat, liegt auch daran, dass die Tarifauseinandersetzung in Pilotbezirken von Landesfürsten geführt werden und nicht zentral.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (27. Januar 2023 um 16:32 Uhr)Vielleicht wäre es auch einmal angebracht zu diskutieren, wie und warum die Organisationen der Werktätigen in Fürstentümer umgewandelt werden konnten. Und einige Gedanken darauf zu verwenden, ob und wie man das rückabwickeln könnte. Gebraucht würde das dringend.
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