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Aus: Ausgabe vom 27.01.2023, Seite 1 / Titel
EU-Abschottung

Vor die Tür gesetzt

EU-Innenminister wollen schneller abschieben. Debatte über Druckmittel gegen Drittländer, die »unkooperativ« sind
Von Ina Sembdner
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Fast 13.000 Menschen sind im vergangenen Jahr aus Deutschland abgeschoben worden

Das Wohlwollen euro­päischer Staaten gegenüber den mittlerweile vier Millionen Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine soll zu Lasten aller anderen Asylsuchenden gehen. Am Donnerstag trafen sich die EU-Innenminister, um »angesichts überlasteter Asylsysteme«, wie es bei dpa hieß, zu beraten, wie »die notorisch niedrige Quote« bei Abschiebungen gesteigert werden kann. Während Menschen vor Krieg und Krisen – die unter anderem von der EU befördert werden – fliehen und viele nahezu täglich an den EU-Außengrenzen oder im Mittelmeer sterben, wird also nicht darüber debattiert, wie reguläre Migrationsrouten geschaffen werden können, sondern darüber, wie jene, die nach selbstgeschaffenen Regeln nicht bleibeberechtigt sind, wieder abgeschoben werden können.

Im vergangenen Jahr war die Zahl der sogenannten irregulären Einreisen in die EU auf den höchsten Stand seit 2016 gestiegen. Die Abschottungsbehörde der Union, Frontex, zählte rund 330.000 Ankünfte, 64 Prozent mehr als 2021. Dabei verdoppelte sich die Zahl der Asylanträge im gleichen Zeitraum auf mehr als 920.000, was auf eine hohe Dunkelziffer an Grenzübertritten deuten könnte oder aber auf die Tatsache verweist, dass Asylsuchende in mehreren EU-Ländern einen Antrag stellen. 2018 hatte Brüssel eine Zielquote von 70 Prozent ausreisepflichtiger Menschen, die die EU tatsächlich verlassen, ausgerufen. Ein Jahr später waren es 29, im Coronajahr 2021 dann »nur« 21 Prozent. Zuwenig, um verzweifelte Menschen und solche, die ein Leben in Würde im reichen Norden suchen, effektiv »abschrecken« zu können. Statt dessen leiste es »illegaler Migration Vorschub«, wie ein Bericht des Europäischen Rechnungshofs Ende 2021 festhielt. Auch die Ampelkoalition in Berlin schloss sich dem Abschottungsprojekt im Koalitionsvertrag an und kündigte eine sogenannte Rückführungsoffensive an.

Dazu braucht man allerdings die Unterstützung der jeweiligen Herkunftsländer. Und diese verhalten sich nach Einschätzung der Brüsseler Technokraten zu »unkooperativ«. Genannt werden in Brüssel etwa Marokko und Algerien sowie Staaten am Horn von Afrika. Jenen Ländern also, die aufgrund der vom globalen Norden verursachten Klimakrise auf dem Kontinent seit Jahren unter einer Dürre leiden, die Millionen Menschen in die Hungersnot treibt und Konflikte um Ressourcen noch verschärft.

Aber auch da weiß die EU ihr zur Verfügung stehende Mittel in ihrem Sinne zu nutzen. In einem Entwurf für ein Kommuniqué im Vorfeld eines Treffens der 27 EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel im nächsten Monat, das der britische Guardian einsehen konnte, wird vorgeschlagen, dass die EU Hilfszahlungen an die Bereitschaft von Nicht-EU-Staaten knüpfen könnte, die Rückführung ihrer Bürger in die Heimat zu akzeptieren. Am Donnerstag ging es erst einmal um ein Druckmittel mittels Visavergabe.

Vor allem die seit Beginn des Jahres amtierende schwedische Ratspräsidentschaft setzt auf dieses Instrument und damit auf Artikel 25a des Visakodex. So könnte etwa die Bearbeitungszeit von Visaanträgen verlängert oder Gebühren angehoben werden, was »eines der wichtigsten Instrumente« sein könnte, »um die Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich Rückkehr und Rückübernahme zu verbessern«, hieß es in dem Diskussionspapier.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (27. Januar 2023 um 15:53 Uhr)
    Menschen, die dem Tod nur knapp entkommen sind, in solche erster, zweiter, dritter und nicht erwähnenswerter Klasse einzuteilen, verrät nur eins: Wie abgrundtief verkommen jene sind, die ihre »westlichen Werte« möglichst schnell der ganzen Welt überstülpen wollen.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (26. Januar 2023 um 20:41 Uhr)
    Selbst Begriffe wie »Zynismus« oder »Menschenverachtung« sind für eine Beschreibung dieser Verhaltensweisen des Wertewestens nicht mehr hinreichend. Vermutlich hat uns die bereits untergegangene zivilisierte Welt keine adäquaten Bezeichnungen hinterlassen.

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