Die Schlangen enthaupten
Von Annuschka Eckhardt, Mexiko-Stadt
Säcke voller Altpapier stehen im Eingang – nicht gerade einladend. Ein alter, grauschwarzer Terriermischling wacht mit trüben Augen. Im Hinterzimmer wird gedruckt. Auf uralten Maschinen. Seit 19 Monaten laufen die Walzen für El Machete wieder, die geschichtsträchtige Zeitschrift der Kommunistischen Partei Mexikos (PCM). »Wir hatten den 1. Mai 2021 als Starttag der Neuauflage gewählt. Denn wir glauben, dass es für die Arbeiterklasse das beste Geschenk zum Tag der Arbeit ist, wenn man ihr eine Waffe für Organisation und Kampf in die Hand gibt«, sagt Chefredakteur Ángel Chávez. »Die Zeitung ist nicht offiziell als Medium registriert, wir müssen teilweise unterm Radar agieren. Nur vier Genossen wissen, wo gedruckt wird.«
Der Stadtteil, in dem El Machete entsteht, ist nur einen Katzensprung vom pompösen Zentrum Mexiko-Stadts entfernt. Juan Recabarren, stellvertretender Chefredakteur und Druckbeauftragter, summt Hanns Eislers Melodie vom »Roten Wedding«. Er schwärmt vom Thälmann-Park und den »Murales«, wie er Walter Womackas Wandmalereien in der Nähe des Alexanderplatzes nennt. In Berlin war er noch nie.
Mit seinem Genossen Chávez läuft Recabarren durch eine belebte Straße der mexikanischen 21-Millionen-Metropole. Viele Häuser sind bunt, manche alt. Straßenhändler verkaufen Chips mit scharfen Soßen in Plastikbechern und preisen ihre Ware an. Die beiden Männer verschwinden kurz in einem Geschäft für Druckpapier. Die erste Ausgabe des Jahres steht an. »Die Papierpreise sind noch mal gestiegen, wir müssen erst zur Bank«, klagt Chávez. Es sei aber ausgeschlossen, den Preis der Zeitschrift zu erhöhen, dann könnten sich die Arbeiter das Blatt nicht mehr leisten. Am Schaufenster einer Bücherei zeigen die beiden stolz auf eine gebundene Extraausgabe der Machete zu Friedrich Engels. Im Viertel sei vieles anders, seit das Kartell Unión Tepito die Kontrolle übernommen habe. Ladenbesitzer und Dienstleister müssten »Schutzgeld« zahlen. Dadurch werde alles noch teurer. Auch den Immobilienmarkt hat das Kartell unterwandert. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 70 Bewohner aus ihren Wohnungen gedrängt.
El Machete erschien erstmals 1924, herausgegeben von der mexikanischen Gewerkschaft der Arbeiter, Techniker, Maler und Bildhauer. Zu deren Mitgliedern gehörten unter anderem David Alfaro Siqueiros, Diego Rivera und Frida Kahlo. Die Zeitschrift war in den zwanziger und dreißiger Jahren das Zentralorgan der mexikanischen Sektion der Kommunistischen Internationale. Ihr namensgebendes Motto lautete: »Die Machete dient zum Schneiden von Zuckerrohr, um Pfade in die Schatten der Wälder zu schlagen, Schlangen zu enthaupten, Unkraut kurz- und die Souveränität der bösen Reichen niederzuhalten.« 1938 wurde sie eingestellt.
Heute, weniger als ein Jahr seit der Neuauflage, gehen 500 Ausgaben in die USA. Dafür werden jeweils 250 Exemplare in die Grenzstädte Tijuana und Ciudad Juárez gebracht und von Genossen nach San Diego oder El Paso geschmuggelt. Einmal in den USA, können sie problemlos mit der US-amerikanischen Post verschickt werden. Die Zeitschrift, die sechs- bis achtmal im Jahr erscheint, finanziert sich selbst. Obwohl Zentralorgan der PCM, wird sie nicht von Parteigeldern finanziert. Auch freie Autoren schreiben für die Zeitschrift – unentgeltlich. Eine Ausgabe kostet zehn Pesos, 50 Cent umgerechnet.
Der Vertrieb erfolgt auf spezielle Weise: Alle Parteimitglieder der PCM sind dazu angehalten, El Machete in ganz Mexiko unter die Leute zu bringen: bei Demonstrationen oder an »Domingos rojos« (roten Sonntagen), wenn sie auf öffentlichen Plätzen verteilt wird. Unterstützer und Parteimitglieder bringen die Ausgaben aber auch versteckt in ihre Fabriken mit und verkaufen sie dort.
Recabarren trägt die eisernen Druckplatten von einem winzigen versteckten Büro, der »Redaktion«, an dem Terrier und den Altpapiersäcken vorbei in den kleinen Raum mit den zwei alten Maschinen. Der Druck dauert lange. In einigen Tagen werden genug Exemplare für die Auslieferung vorhanden sein.
Hintergrund: Vier Jahre Morena
Der Movimiento Regeneración Nacional (Morena) ist bei der siegreichen Präsidentschaftswahl 2018 von Organisationen der Linken unterstützt worden. Wir befanden uns in einer Periode der Mobilisierung verschiedenartiger Kräfte. Schon die Legislaturperiode von Präsident Peña Nieto hatte mit Protesten begonnen. Die Kommunistische Partei Mexikos nannte das die Zeit des Ungehorsams. Nach Ayotzinapa 2014 (der Entführung von 43 Studenten, jW) spitzte die Lage sich zu. Zur selben Zeit versuchte Morena mit bestehenden und neu entstandenen Gruppierungen eine breite Front zu mobilisieren. Geblendet vom Primat der Bündnispolitik haben viele die schon vor dem Amtsantritt Andrés Manuel Lopez Obrador erkennbare versöhnlerische Haltung Morenas ignoriert.
Sowohl die nationalen als auch die ausländischen Monopole standen dieser Partei wohlwollend gegenüber, damit Morena und ihr Kandidat Lopez Obrador Regierungsmacht erlangen konnten. Er hatte sein Amt 2018 noch nicht angetreten, da wurde bereits mit den Regierungen der USA und Kanadas über die Ratifizierung des Freihandelsabkommens TMEC verhandelt. Diese Regierung erreichte, was weder der sozialdemokratischen PRI noch der konservativen PAN zugunsten des Kapitals gelungen war: die Militarisierung des Landes und die Demobilisierung einer großen Zahl von Organisationen und Bewegungen. Und obwohl die rechte Opposition versucht, Morena als sozialistisch zu brandmarken, haben wir eine Regierung im alten Stil der PRI aus den siebziger Jahren, die auf Nationalismus und die veralteten Ideen des Liberalismus aus dem 19. Jahrhundert setzt. Was bedeutet das für den Kampf gegen ausländische Investoren, die in eigentlich zu schützenden Gebieten Ressourcen rücksichtslos ausbeuten?
Die Interessen des Kapitals werden vom mexikanischen Staat gewahrt, auch wenn diese Regierung behauptet, links zu sein. Die Sozialdemokratie von Morena hat zum großen Teil die Kräfte gestoppt, die sich ihrem Projekt angeschlossen hatten. Die verbliebenen Widerstandsgruppen mussten sich nicht nur der Gewalt von Bergbauunternehmen, Konzernen und Paramilitärs stellen, sondern auch der Kriminalisierung des Staatsapparats und der Strukturen von Morena. Das Motto der Regierung lautet: Wer mit mir ist, ist links, wer sich nicht anschließt, ist Opposition und spielt den Rechten in die Hände.
Juan Recabarren
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