»Dafür wurden die Behörden geschaffen«
Interview: Tim Krüger
Anfang des Jahres wurde Ihnen auf der Fahrt zu einer Demonstration in Paris von der Bundespolizei die Ausreise verweigert. Um was sollte es bei dem Protest gehen?
Seit 2013 findet jährlich in Paris eine Gedenkdemonstration statt, an der ich teilnehmen wollte. Erinnert wird dort an das Attentat des türkischen Geheimdienstes auf die drei kurdischen Aktivistinnen Sakine Cansız, Fidan Doğan und Leyla Şaylemez. Der französische Staat versucht, die Taten zu verschleiern, wir dagegen fordern die Aufklärung dieses Verbrechens – zumal am 23. Dezember 2022 erneut drei kurdischstämmige Menschen in Paris ermordet wurden und wieder vieles auf eine Beteiligung türkischer Geheimdienste hindeutet.
Was passierte auf Ihrem Weg nach Paris?
In der Nacht auf den 7. Januar wurde unser Reisebus auf der A 44 auf der Höhe von Aachen von der Polizei angewiesen, auf eine Raststätte zu folgen. Dort war ein Kontrollpunkt der Bundespolizei eingerichtet. Weitere Busse aus anderen Städten befanden sich bereits dort. Es hieß, wir dürften unsere Plätze nicht verlassen, und kurz darauf betraten mehrere Polizisten den Bus. Sie überprüften unsere Dokumente und nahmen sie mit. Nach kurzer Zeit wurde ich von einem Polizisten aufgerufen. Ich solle mein gesamtes Gepäck nehmen und ihm folgen. In einem Zelt wurde ich dann durchsucht. Ein Beamter erklärte mir, dass ich nicht aus der BRD ausreisen dürfe. Die Begründung: Ich könnte »das Ansehen des deutschen Staates im Ausland beschädigen«. Man teilte mir lediglich mit, dass ich befragt und danach nach Aachen gebracht würde.
Wozu wollte man Sie befragen?
Es kam dazu nicht, weil ich mich der Befragung verweigerte. Daraufhin hieß es, das bloße Einbehalten meines Personalausweise könne nicht garantieren, dass ich das Land nicht verlasse, weswegen ich mich bis einschließlich des 9. Januar täglich auf der Bundespolizeistelle in meinem Heimatort zu melden hätte. In der schriftlichen Begründung, inklusive Gefährdungsprognose zu meiner Person, wurde als Grund für die Maßnahme unter anderem die Teilnahme an »teils nicht angemeldeten Demonstrationen der linken Szene« sowie die Anmeldung einer »prokurdischen Kundgebung« gegen die Haftbedingungen des PKK-Gründers Abdullah Öcalan genannt. Erschwerend käme hinzu, dass ich mehrfach meine »Solidarität mit der kurdischen Volksgruppe« bekundet hätte. Um ca. 6 Uhr morgens wurde mir am Aachener Hauptbahnhof mein Personalausweis ausgehändigt, und ich konnte die Heimreise antreten. In anderen Bussen kam es übrigens zu ähnlichen Vorfällen.
Haben Sie schon zuvor Erfahrungen mit staatlicher Repression gemacht?
Ich bin schon seit einigen Jahren politisch aktiv und setze mich auf verschiedenen Ebenen für eine Welt ohne Unterdrückung ein. 2021 war ich Teil einer Friedensdelegation nach Südkurdistan. Bereits bei dieser Reise wurde zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten unter denselben fadenscheinigen Begründungen die Ausreise aus Deutschland untersagt. Viele kapitalismuskritische Linke müssen sich früher oder später mit Repression auseinandersetzen. Das entspricht dem Wesen dieses Staates. Äußerst beunruhigend ist jedoch die Gefährdungsprognose aufgrund einer von mir rechtmäßig angemeldeten Kundgebung, die ohne jegliche Zwischenfälle ablief. Wie kann es sein, dass mein Einsatz für die Verbesserung der Haftbedingungen eines Mannes, der seit über 20 Jahren in Isolationshaft gehalten wird, das Ansehen des deutschen Staates schädigt? Zudem ist fraglich, ob die Speicherung dieser Daten rechtmäßig ist.
Wie gehen Sie mit der Situation um?
Ich habe bereits Widerspruch gegen die Ausreiseuntersagung eingelegt, um die Unrechtmäßigkeit auch juristisch feststellen zu lassen. Ich möchte durch das Öffentlichmachen anderen helfen. Sie sollen sich auf mögliche Repression vorbereiten und sich nicht einschüchtern lassen. Die Behörden des bürgerlichen Staates tun, wofür sie geschaffen wurden. Das darf uns nicht davon abhalten, Missstände zu benennen und offensiv aufzutreten. Ich für meinen Teil stehe weiter solidarisch und öffentlich zur kurdischen Befreiungsbewegung.
Larissa S. ist Studentin und unterstützt die kurdische Freiheitsbewegung. Ihren vollen Namen möchte sie nicht in der Zeitung lesen, aus Sorge wegen einer möglichen Gefährdung ihrer Angehörigen durch türkische und deutsche Faschisten
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