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Aus: Ausgabe vom 24.01.2023, Seite 15 / Betrieb & Gewerkschaft
Studie über miese Arbeit

Strafbare Ausbeutung

Zwangsarbeit in Landwirtschaft und häuslicher Pflege. Auch Täuschung gehört zum Geschäftsmodell
Von Gudrun Giese
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Vielfach um ihren Lohn, die Arbeits- und Lebensbedingungen betrogen: Landarbeiter bei der Spargelernte (Beelitz, 1.4.2020)

Nach der Fleisch- und der Paketbranche hat sich die »Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel« beim Verein Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg DGB/VHS nun in einer Branchenanalyse die landwirtschaftliche Saisonarbeit sowie die häusliche Pflege vorgeknöpft. Beispiele belegen, dass es hier oft übel zugeht.

Beide Branchen hätten scheinbar nichts miteinander zu tun, heißt es in der Studie »Zwangsarbeit und Arbeitsausbeutung verhindern«. Doch es gebe eine Menge Gemeinsamkeiten – angefangen bei der Vereinzelung der Beschäftigten, die in osteuropäischen Ländern angeworben würden und zeitlich befristet ihrer Arbeit auf Feldern bzw. in Privathaushalten pflegebedürftiger Menschen nachgingen. Vor allem migrantische Arbeitskräfte, die in diesen beiden Bereichen arbeiten, seien in einer besonders schwachen Position gegenüber extremer Ausbeutung und Zwangsarbeit. Da es ihnen zumeist an Sprach- wie auch Ortskenntnissen fehle und sie keine reguläre Arbeits- und Aufenthaltsberechtigung erhielten, sei es für diese Beschäftigten schwer, sich gegen verheerende Zustände zu wehren.

Die Studie der Servicestelle basiert auf Fallschilderungen von Beratungsstellen, die mit Betroffenen gesprochen haben, etwa mit Luca aus einem rumänischen Dorf. Dort sei eines Tages ein Arbeitsvermittler aufgetaucht, der dem Mann versprach, dass er für acht bis zehn Stunden täglicher Arbeit auf einem brandenburgischen Spargelhof neben dem Lohn eine Hotelunterkunft sowie zwei warme Mahlzeiten für sechs Euro am Tag erhalten sollte. Tatsächlich gab es nur kaltes Essen direkt auf dem Feld, und in der Unterkunft, wo zwei bis fünf Menschen sich ein Zimmer teilten, war keine Heizung, dafür aber Schimmel an den Wänden. Für diese primitive Unterbringung und Verpflegung wurden jeden Tag zwanzig Euro berechnet. Kein Einzelfall, wie die Autorinnen feststellten. Die »Täuschung bei der Anwerbung über Wohn- und Lebensbedingungen kann aufgrund solch hoher Abzüge mit einer Täuschung über den realen Arbeitslohn einhergehen«.

Auch beim Entgelt wird getrickst. Die Werber versprechen den Saisonarbeiterinnen und Saisonarbeitern einen Akkordlohn von beispielsweise 50 Cent pro Kilo geerntetem Gemüse oder Obst. Damit liegen die migrantischen Beschäftigten letztlich weit unter dem deutschen Mindestlohn, über dessen Existenz sie aber nicht informiert werden. So hätte sich etwa eine ukrainische Studentin während der Semesterferien auf einem deutschen Erdbeerhof verdungen, wo sie 50 Cent pro geerntetem Kilo erhielt. Nach sechs Wochen mit durchschnittlich 60 Arbeitsstunden habe sie rund 2.000 Euro erhalten, was 5,70 Euro Stundenlohn entsprach.

Die Servicestelle hatte schon für ihre Untersuchung zu den Zuständen in der Fleisch- und der Paketbranche Indikatoren der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) herangezogen, um wiederkehrende Verstöße sichtbar zu machen. Neben der Täuschung über Entlohnung und Unterbringungsverhältnisse sind auch falsche Informationen über die Arbeit verbreitet. Das betrifft vor allem die häusliche Pflege: »Regelmäßig werden bei dieser Tätigkeit 24 Stunden Arbeits- und Bereitschaftszeit verlangt«, heißt es. Pausen würden nicht gewährt, oft müssten die Pflegekräfte statt dessen andere Tätigkeiten übernehmen – etwa Einkäufe erledigen oder den Hund ausführen. Entlohnt würden sie allerdings nach einem Vertrag, der viel weniger Arbeitsstunden vorsehe. »Die niedrige Entlohnung insbesondere von real geleisteten Arbeitsstunden ist ein weiteres Anzeichen für Ausbeutung.« Damit könne der Straftatbestand der »Ausbeutung der Arbeitskraft« erfüllt sein.

Ziel der Analyse sei es nicht, genaue Zahlen über Ausbeutungsverhältnisse zusammenzutragen, schreibt Philipp Schwertmann, Leiter des Fachbereichs »Migration und Gute Arbeit« bei Arbeit und Leben Berlin-Brandenburg, sondern »ein Bewusstsein für Ausbeutungs- und Zwangssituationen zu schaffen und Handlungsmöglichkeiten vorzuschlagen«. Die Servicestelle solle helfen, Menschenhandel, Zwangsarbeit und übermäßige Ausbeutung zu erkennen und dagegen aktiv zu werden. Es müsse »in Deutschland Gute Arbeit für alle, egal welcher Herkunft, der Maßstab sein«.

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