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Aus: Ausgabe vom 24.01.2023, Seite 8 / Ansichten

Rüstungsgarantie

SPD-Papier zur Außenpolitik
Von Arnold Schölzel
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»Leopard 2«-Panzer im niedersächsischen Munster (Februar 2022)

Lars Klingbeil ist Rüstungslobbyist und SPD-Kovorsitzender. Die zweite Funktion leitet sich aus der ersten ab. Am 24. Februar 2022 kramte er zusammen mit Olaf Scholz aus irgendeinem Schrank das fette, seit langem herumliegende Aufrüstungsprogramm, das der Kanzler »Zeitenwende« nannte, und betätigt sich seitdem als »zweibeinige Panzerhaubitze« (Sevim Dagdelen). Er hält regelmäßig »Grundsatzreden«, in denen er die Weltlage aufs Wesentliche schrumpft: Russland ist ein Verbrecherstaat, China muss draußen bleiben. Den von Egon Bahr überlieferten Satz, für die Bundesrepublik seien die USA unverzichtbar, Russland aber sei unverrückbar, halbiert er mit leichter Hand. Einer wie Klingbeil hält geographisch-politische Gegebenheiten selbstverständlich für verrückbar. Damit ist er aufgewachsen: Jugoslawien ohne UN-Mandat bombardieren und anschließend als einen »Krieg in Europa« vergessen – das war seine SPD-Kindheit. Für den SPD-Erwachsenen heißt das: Gegen die Moskowiter muss seine Partei mit Mann und Maus zu Felde ziehen, wie schon 1914. Die neue gelbe Gefahr wird vorerst durch symbolische Expeditionskorps wie die Fregatte »Bayern« abgewehrt, aber bei Symbolik muss es nicht bleiben. Größenwahn, zumal deutscher, kennt keine Grenzen.

Seit Montag ist das auf 21 Seiten – abgenickt von SPD-Präsidium und vom Kanzler, der das laut Klingbeil »ganz gut« fand – nachzulesen. Es nennt sich »Neuausrichtung sozialdemokratischer internationaler Politik«. Das Papier enthält sogar einige Passagen, in denen die SPD nicht allein auf Kriegsvorbereitung setzt, sondern auf »regelbasiert«. Das Wort taucht als Attribut von »Ordnung« öfter auf. So erhalten auch Rolf Mützenich und andere »linke« Bedenkenträger Brocken hingeworfen. In einem Anflug von Ehrlichkeit vermeidet die SPD eine Vokabel wie »Völkerrecht«, ersatzweise gibt es »Russlands völkerrechtswidrigen Angriffskrieg« gleich mehrfach.

Die deutschen Sozialdemokraten ziehen aus letzterem nun die Konsequenz: Solange sich bei den Moskowitern nichts ändert, »wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen«. Nicht mit. Bei der Vorstellung des Papiers antwortete Klingbeil auf die Frage, was das denn heiße, man werde weiter Gespräche führen und Kontakte halten, vor allem bedeute das jedoch: 100 Milliarden Euro Sondervermögen, zwei Prozent der Wirtschaftsleistung fürs Militär, »Produktionsgarantie für die Rüstungsindustrie« usw. Der Inhalt folgt Klingbeils Funktion: Die Rheinmetall-Aktie weiter steigen lassen, Profite mit Kriegsgeräten langfristig planbar machen, in Planwirtschaft überführen. Es ist wie im Kriegssozialismus, den die SPD 1914 ausbrechen sah.

Die SPD hat übrigens 2022 ganze 14.000 Mitglieder verloren, das war überdurchschnittlich. Von fast einer Million 1990 sind 379.000 übrig. Mit Klingbeil hat sie jetzt wieder ein klares Ziel. Ist in Krieg und Krise schon viel.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (24. Januar 2023 um 00:55 Uhr)
    Herr Schölzel, ich gehe davon aus, dass die Nachfolgekandidatinnen und -kandidaten auch in der SPD erkoren und so in eine elitäre Verzückung gehoben werden. Ich habe das bei K. Griese erlebt: Es besteht eine Machtebene als innerparteiliche soziale Schicht (so auch eindeutig in der PdL), an die sich angepasst wird. Herr Lars Klingbeil, eher ein junges Beispiel, zeigt den Werdegang. Denn nach einem Interview mit Herrn Martin Schulz vor der vorletzten Bundestagswahl sagte ich ihm, dass es auf eine große Koalition hinauslaufen werde. Seine drei beim Interview anwesenden Berater haben (auch) diese Passage für die Veröffentlichung gestrichen. Was uns zeigt, dass SPD-Öffentlichkeit nicht gewollt, sondern gemacht, also schon lange fremdgesteuert ist. Trotzdem blieb es dabei, aber war vorhersehbar – die GroKo. Wie vorhergesagt. Wir saßen oben im SPD-Hochbalkon. Das war sehr schön!
  • Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude, Russland (23. Januar 2023 um 23:10 Uhr)
    Wie bei allen Beiträgen von Arnold Schölzel trifft er den Punkt. Doch man sollte das hier ironisch eingesetzte Wort »Moskowiter« nicht unnötig popularisieren. Dies ist ein Schimpfwort in der Ukraine für Russen (Moskaly), da es nach der Ansicht vieler dortiger Ideologen und »Historiker« überhaupt kein Russland gibt, sondern nur ein »Moskowien«. Das eigentliche Russland sei die Ukraine, da in Kiew gegründet (Kiewer Rus). Der Rest könne und solle als Staat verschwinden. Daher gab es bereits ernst gemeinte Anträge, Russland diesen Titel abzuerkennen. Auch ist nach teils westlicher Zielstellung und bereits vorliegenden Landkarten das heutige Russland in mehrere Territorien »unabhängiger« Staaten aufzuteilen, etwa so »unabhängig« wie die jetzige Ukraine. Dieses Ziel ist keine weit weg liegende Utopie, denn es wurde ja bereits nach der Oktoberrevolution während der Interventionskriege erreicht. Beim Raubfrieden von Brest-Litowsk hatte Russland zuvor 26 Prozent des damaligen europäischen Territoriums, 27 Prozent des anbaufähigen Landes, 26 Prozent des Eisenbahnnetzes, 33 Prozent der Textil- und 73 Prozent der Eisenindustrie sowie 73 Prozent der Kohlegruben verloren, dazu nach den Kriegsverlusten nochmals ein Drittel seiner Bevölkerung. Aber selbstverständlich genügte das noch nicht, wie auch jetzt die Auflösung der Sowjetunion noch nicht genügt. Der Westen schickte Interventionstruppen. Es gab damals bereits mehrere neue Staaten in Sibirien. Für Lenin und die Bolschewiki blieb zunächst tatsächlich nur noch dieses »Moskowien« übrig, nicht fähig, die eben dort konzentrierten Millionen der Bevölkerung zu ernähren. Und so gab es vor allem durch Hunger und Krankheiten während der Interventionskriege nochmals mehrere Millionen Tote, gar nicht in erster Linie wegen der Kämpfe. Der Westen kämpfte dort nicht für die Wiederherstellung der Zarenherrschaft sondern um die Bodenschätze Russlands. Das Wort »Moskowiter« symbolisiert dieses Ziel und soll sich in den Köpfen festsetzen.
    • Leserbrief von Seider aus Berlin (24. Januar 2023 um 13:28 Uhr)
      Herzlichen Gruß nach Ulan Ude. Wieder einmal beweist sich, dass man aus der Ferne deutlich an Übersicht gewinnen kann. Dank für die vielen klugen Ergänzungen zu dem, was wir hier zu sehen und zu hören bekommen!
    • Leserbrief von Cordula Rathmann aus Dresden (24. Januar 2023 um 11:46 Uhr)
      Danke Herr Buttkewitz aus Ulan Ude, ihre Beiträge sind immer wieder sehr gut, wichtig und aus einer wertvollen Perspektive geschrieben. Bitte schreiben Sie weiter und klären sie und auf. Grüße nach Ulan Ude, der wunderbaren Hauptstadt von Burjatien und Grüße an den Baikal.

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