Zombieregierung bleibt am Drücker
Von Matthias István Köhler
Die Volksabstimmung ist gescheitert: 97,5 Prozent derjenigen, die ihre Stimme am Sonnabend abgaben, wollten die Verfassungsänderung, um vorgezogene Parlamentswahlen möglich zu machen. Aber: Nur 27,25 Prozent der Wahlberechtigten – in etwa 1,2 Millionen Menschen – nahmen an der Abstimmung teil, 50 Prozent wären nötig gewesen.
Im Gegensatz zu anderen EU-Staaten erlaubt die slowakische Verfassung keine Neuwahlen für den Fall, dass eine Regierungskoalition auseinanderbricht. Diese Regelung wurde 2021 vom Verfassungsgericht bestätigt. Zugleich empfahl das Gericht aber, die Verfassung diesbezüglich zu ändern – wahrscheinlich, um eine Situation zu verhindern, wie sie sich spätestens seit Dezember in dem Land eingestellt hat.
Damals war die rechte Regierung unter Ministerpräsident Eduard Heger nach monatelanger Krise durch ein Misstrauensvotum gestürzt worden. Initiiert hatte die Abstimmung der frühere Koalitionspartner, die neoliberale Partei Freiheit und Solidarität (SAS). Im Streit um ein nicht mit ihr abgestimmtes »Antiinflationsgesetz«, das Finanzminister Igor Matovic schließlich mit den Stimmen der Opposition durchbrachte, verließen im August und September deren Minister das Kabinett. Premier Heger ließ sich dadurch nicht beirren und machte mit einer Zombieregierung ohne Mehrheit im Parlament weiter. Seither herrscht in der Slowakei – trotz der Krise durch den westlichen Wirtschaftskrieg gegen Russland – politischer Stillstand.
Bereits im Sommer, während der hartnäckigen Streitigkeiten innerhalb der rechten Koalition hatten die sozialdemokratischen Oppositionsparteien 400.000 Unterschriften für das Referendum gesammelt. Maßgeblich an der Kampagne beteiligt war der frühere Premier und Chef der Partei Smer-SD, Robert Fico. Am Sonntag kritisierte er, dass Regierung und Medien eine Gegenkampagne gestartet hätten. Fico wird für gewöhnlich als Gefahr für die transatlantische Ausrichtung und EU-freundliche Haltung des Landes dargestellt.
Die Regierungsmitglieder hatten ihre Nichtteilnahme an dem Referendum damit begründet, dass sie bereits Pläne für eine Verfassungsänderung hätten, die Wahlen im September möglich machten. In den aktuellen Umfragen stehen die Regierungsparteien äußerst schlecht da. Der Vorsitzende der oppositionellen sozialdemokratischen Partei Hlas, Peter Pelligrini, erklärte am Montag dazu, es sei ein beispielloser Fall in der Geschichte des Landes, dass eine »Regierung ohne Auftrag nach ihrem Zerfall neun Monate« weiter an der Macht bleibt. Pellegrini, der mit seiner Partei derzeit laut Umfragen die größte Beliebtheit bei den Wählern genießt, fordert eine Abstimmung bereits im Juni.
Das Referendum sei zu sehr als »parteipolitische Initiative« statt als »Bürgerinitiative« angelegt worden, erklärte sich die linksliberale Tageszeitung Pravda am Montag das Scheitern – ein Seitenhieb auf Fico und seine Ambitionen, wieder Premier zu werden. Sie würdigte aber, »dass so viele gekommen sind, um ihre Unzufriedenheit mit der Regierung und dem Chaos im Parlament auszudrücken. Und das trotz schlechten Wetters, mancherorts sogar Schneestürmen.«
Auch die im Parlament nicht vertretene Kommunistische Partei der Slowakei (KSS) hatte ihre Sympathisanten zur Teilnahme an der Abstimmung aufgefordert. In einem Aufruf im Dezember erklärte die Partei, sie hege zwar auch im Falle vorgezogener Wahlen »nicht so recht Hoffnung auf eine wirkliche Wende«, allerdings sei sie dafür, »dass eine äußerst inkompetente und für die Slowakei schädliche Regierungszusammensetzung beendet werden soll«.
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