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Aus: Ausgabe vom 24.01.2023, Seite 5 / Inland
»Minijobs«

Fußabtreter im Wissenschaftsbetrieb

Studie wirft Schlaglicht auf erbärmliche Arbeitsbedingungen studentischer Beschäftigter
Von Ralf Wurzbacher
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Studentische Beschäftigte: Für Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler »grenzen die Zustände an Ausbeutung«

Die miserablen Lohn- und Arbeitsbedingungen des sogenannten akademischen Mittelbaus sind heute keine Unbekannte mehr. Aber es gibt an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen noch eine tiefere Stufe in der Nahrungskette: studentische Beschäftigte. Ihnen wird noch übler mitgespielt, aber die Öffentlichkeit nimmt bisher keine Notiz davon. Mit einer am Freitag veröffentlichten Studie des Instituts für Arbeit und Wirtschaft (IAW) an der Universität Bremen könnte sich das ändern. Die Befunde sind beschämend: Die Betroffenen werden überwiegend lausig bezahlt, hangeln sich von einem Arbeitsvertrag zum nächsten; viele nehmen ihren Urlaubsanspruch nicht wahr, leisten Überstunden oder arbeiten Krankheitstage nach. Und all dies geschieht in einem Umfeld, das sie von Mitbestimmungsmöglichkeiten ausschließt und »in dem grundlegende Arbeitsrechtsverstöße die Regel sind statt die Ausnahme«.

Im Mittelpunkt der Untersuchung steht eine Umfrage unter 11.000 studentischen Beschäftigten, in Auftrag gegeben durch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die Befragten arbeiten in praktisch sämtlichen Bereichen des Wissenschaftsbetriebs – als Tutoren, Laboranten, Bibliotheksaufsicht –, sie bereiten Seminare vor, betreuen Datenbanken, organisieren Exkursionen, redigieren Texte, korrigieren Klausuren, pflegen Webseiten, warten die Technik. Ohne sie liefe an der Uni nichts. »Regelmäßig« erledigten sie auch Aufgaben, die rechtlich in den Verantwortungsbereich des technischen oder administrativen Personals fallen und eigentlich nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) vergolten werden müssten, halten die Autoren fest.

Die Löhne bewegten sich im Erhebungszeitraum 2022 im Durchschnitt nur knapp oberhalb des Mindestlohns, wobei 39 Prozent über unbezahlte Überstunden klagten. Offiziell werden im Mittel 33,6 Stunden im Monat angerechnet, während der tatsächliche Aufwand auf 41,3 Stunden geschätzt wird. Die Mehrheit der Beschäftigungsverhältnisse lag unterhalb der bis Oktober 2022 geltenden 450-Euro-Grenze eines sogenannten Minijobs. Kurzzeitkontrakte von im Schnitt 6,1 Monaten sind laut Studie der »Normalzustand«, dreimal in Folge auf derselben Stelle zu landen ist die Regel. Fast 17 Prozent gaben an, dass sie unbezahlt – also auch ohne spätere Nachzahlung – tätig waren und dies durchschnittlich für knapp fünf Wochen.

Für Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler »grenzen die Zustände an Ausbeutung«, wie sie am Freitag auf einer Onlinepressekonferenz erklärte. Studentische Beschäftigte, von denen es laut Analyse bundesweit bis zu 400.000 geben könnte, brauchten »endlich den Schutz eines Tarifvertrags«, in dem Mindestlaufzeiten und faire Entgelte geregelt werden müssten. Bisher existiert ein solches Regelwerk nur im Land Berlin, wo die Betroffenen in jeder Hinsicht besser stehen: bei der Entlohnung, Zahl der Arbeitsstunden und Länge der Vertragslaufzeiten. Die Hoffnungen richten sich nun auf ein Gesprächsangebot der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) an die Gewerkschaften und auf die bundesweite Tarifinitiative »TV-Stud« im Rahmen der an diesem Dienstag startenden Tarifrunde im öffentlichen Dienst. Der derzeitige TV-L läuft am 30. September aus.

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