RWE nimmt »Störer« ins Visier
Von Kristian Stemmler
Wenige Tage nach der Räumung des Dorfes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier provoziert der Energiekonzern RWE die Umweltbewegung, indem er zivilrechtliche Schritte gegen jene angekündigt, die gegen das Abbaggern des Ortes protestiert haben. »Natürlich müssen alle Störer mit einer Schadenersatzforderung rechnen«, drohte Konzernsprecher Guido Steffen gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung (Samstagausgabe). Es sei zu erheblichen Sachbeschädigungen in Lützerath gekommen, behauptete der Sprecher, unter anderem an Fahrzeugen und Anlagen des Konzerns. Auch seien mehrere Brunnen und Schaltanlagen zerstört worden. Wie hoch die Forderungen gegebenenfalls ausfallen, konnte Steffen noch nicht beziffern, es liege noch keine endgültige Schadensbilanz vor.
Der Konzern hatte bereits in der Vergangenheit Umweltaktivisten auf Schadenersatz in Millionenhöhe verklagt, so wegen der Besetzung des Braunkohlekraftwerks Weisweiler oder wegen der Blockade der Kohlebahn zum Kraftwerk Neurath im Jahr 2021. Das Kraftwerk in Neurath musste damals aufgrund der Blockade heruntergefahren werden. Nach Informationen der Neuen Osnabrücker Zeitung hat RWE angekündigt, eine Person, die sich an Gleise zum Kraftwerk angekettet hatte, auf 1,4 Millionen Euro Schadenersatz zu verklagen. Schon während der Räumung Lützeraths hatte RWE Hunderte Strafanzeigen gegen Aktivisten gestellt, meistens wegen Hausfriedensbruchs.
In einer aktuellen Stunde im Bundestag wurde unterdessen am Freitag nachmittag über die Proteste in Lützerath diskutiert, wobei die Rolle der Grünen von rechts und von links kritisiert wurde. Der CSU-Abgeordnete Volker Ullrich warf den Grünen Doppelmoral vor. Man sei gezwungen, mehr Braunkohle zu verfeuern, was zu einem erhöhten Ausstoß von Kohlendioxid führe, weil die Grünen eine übergangsweise Verlängerung der Stromerzeugung aus Atomkraft ablehnten. Janine Wissler (Die Linke) warf den Grünen dagegen übermäßige Kompromissbereitschaft in Sachen Klimaschutz vor. Wenn es wirklich ernst werde, zeigten die Grünen »ein Rückgrat wie Wackelpudding«. Die klima- und energiepolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Ingrid Nestle, verteidigte den »Kompromiss« zum Kohleausstieg 2030 im rheinischen Revier. Nun komme es auf erneuerbare Energien, Energieeffizienz und -einsparungen an. Und hier liefere die Ampel, so Nestle.
In der Debatte spielte auch das Thema Gewalt eine Rolle, wobei es weniger um die gut dokumentierten Fälle von Polizeigewalt ging als um angebliche Übergriffe von Demonstranten auf die Polizei. Sebastian Fiedler (SPD), ein Kriminalbeamter, behauptete, von dem Versuch von »Linksextremisten« zu wissen, die Klimaproteste zu »unterwandern«. Das diskreditiere die »guten Bemühungen der Klimaaktivisten«. Der Grünen-Abgeordnete Lukas Benner aus Aachen betonte, der Großteil habe in Lützerath »absolut friedlich« demonstriert. Eine Aufarbeitung der Szenen von der Demonstration im Innenausschuss in NRW sei notwendig.
Benner berichtete, die Scheiben seines Wahlkreisbüros seien in der vergangenen Woche eingeworfen worden, bei Aktivisten sei vom Verrat der Grünen die Rede gewesen. Die aktuelle Stunde hatte die AfD unter dem Titel »Lützerath – Angriff auf den Rechtsstaat« angemeldet, mit der offensichtlichen Absicht, den Klimaschutzprotest zu diskreditieren. AfD-Abgeordnete sprachen dann auch von »Klimaterroristen«. Der AfD-Abgeordnete Karsten Hilse bestritt die Bedrohung durch den Klimawandel.
Lützerath war seit etwa zwei Jahren von Klimaaktivisten besetzt, um die Räumung und das Abbaggern zu verhindern. Grundstücke und Häuser gehörten inzwischen RWE. Laut dem Kompromiss zwischen dem Konzern und der Landesregierung von NRW sollen fünf bisher bedrohte Dörfer im rheinischen Revier erhalten bleiben. Lützerath gehört nicht dazu und wurde im Januar geräumt.
Aufklärung statt Propaganda
Die Tageszeitung junge Welt liefert Aufklärung statt Propaganda! Ihre tägliche Berichterstattung zeigt in Analysen und Hintergrundrecherchen auf, wer wie und in welchem Interesse handelt. Jetzt das Aktionsabo zum Preis von 75 Euro für 75 Ausgaben bestellen!
-
Leserbrief von Onlineabonnent/in knut-michael h. aus Ostseebad Heringsdorf (23. Januar 2023 um 17:18 Uhr)Die etwas andere Meinung zu Lützerath: Endlich ist der schon fast ausgestorbene und von selbsternannten Klimaaktivisten wochenlang besetzte Ort geräumt worden. Es ist es der Klima- und Umweltbewegung mit ihren Berufsaktivisten nicht gelungen, Lützerath zu halten oder die Fortsetzung des Braunkohletagebaus ganz zu stoppen. Bleibt doch damit die Frage zu beantworten, ob diese Art von Aktionen überhaupt zielführend sind, wenn deren Ergebnisse mit Niederlagen enden. Und es stellt sich auch die Frage, wenn dort gerade einmal ein paar Tausend Menschen sich zum angeblich gewaltlosen sit in versammeln, was der Bundesbürger darüber denkt und warum nicht Heerscharen folgen, wenn die Weltklimaaktivistin Greta Thunberg angekündigt wird. Die Masse der Bundesbürger weiß um die Klimaproblematik, lässt sich aber dennoch nicht auf solche Störerei ein. Offensichtlich geht es dieser Bewegung um das Erheischen von Aufmerksamkeit durch Blockieren, Festkleben, von Autobahnbrücken abseilen und das Besudeln von Weltkulturerbe. Wäre es nicht angebrachter, wenn diese Aktivisten sich in Richtung Krauss-Maffei-Wegmann, die den »Leopard 2«-Panzer produzieren lassen, der 530 Liter Diesel auf 100 Kilometer verbraucht, hinbewegen würden? Sie könnten es ja auch bei Rheinmetall probieren, die den »Gepard«-Panzer haben produzieren lassen. Geführte Kriege, wo auch immer auf der Welt, und Hochrüstung zur Fortsetzung des Krieges in der Ukraine sind die entscheidenden Klimatreiber. Das allerdings haben die Klimaberufsaktivisten noch nicht erkannt. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass es auch in der Zukunft keinen ökologischen Kapitalismus geben wird. Es wäre also auch wünschenswert, wenn die jW mit den Klimaaktivisten kritischer umgehen würde.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- imago images/CHROMORANGE24.12.2022
Bauer Eckardt und die 1,5 Grad
- David Young/dpa14.11.2022
Widerstand gegen den Abriss
- imago images/Jochen Tack21.09.2022
Langer Weg zum Ausstieg
Mehr aus: Inland
-
»Wir zeigen, dass das nicht nur Einzelfälle sind«
vom 23.01.2023 -
Agrarindustrie tötet
vom 23.01.2023 -
Panzerfraktion probt den Aufstand
vom 23.01.2023 -
Bis wann der Osten rollt
vom 23.01.2023 -
Symbolpolitik in Schwedt
vom 23.01.2023