Geschwächt, aber nicht erloschen
Von Carmela Negrete
Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist noch immer existent und aktiv. Dies wurde am Donnerstag einmal mehr mit einer kraftvollen Demonstration in Barcelona bewiesen. Aufgerufen hatten die Bewegung Katalanische Nationalversammlung (Assemblea Nacional Catalana, ANC), der Verein Òmnium Cultural sowie der Rat der Republik (Consejo por la República) und rund 30 weitere Organisationen. Anlass war zudem der spanisch-französische Gipfel an diesem Tag. Ministerpräsident Pedro Sánchez vom sozialdemokratischen PSOE und der französische Präsident Emmanuel Macron trafen sich in Montjuïc und unterzeichneten dort den »Barcelona-Vertrag«, der jenen Freundschaftsverträgen ähnelt, die Frankreich mit Deutschland 1963 und mit Italien 2021 geschlossen hat. Für die Unabhängigkeitsbefürworter »die x-te Provokation des spanischen Staates«, auf die nach Angaben der Polizei etwa 6.500 Teilnehmende – die Organisatoren sprachen von rund 30.000 – »eine klare Antwort« geben wollten. Dabei schlug die Mossos d’Esquadra auch mit Schlagstöcken auf Demonstrierende ein, worauf eine Untersuchung und eine Erklärung vom katalanischen Innenminister gefordert wurde.
Der katalanische Präsident Pere Aragonès, dessen Partei, die sozialdemokratische »Republikanische Linke Kataloniens« (ERC), ebenfalls für die Unabhängigkeit der spanischen Region eintritt, traf währenddessen Sánchez und Macron, verzichtete aber auf den Teil der Zeremonie, in dem die spanische Nationalhymne ertönte. ERC-Präsident Oriol Junqueras tauchte bei der Demonstration auf, wurde jedoch von einige Anwesenden mit Buh- und »Verräter!«-Rufen empfangen. Junqueras spielte die Buhrufe am Freitag herunter, sie sind jedoch Ausdruck eines verstärkten Auseinanderdriftens in der Frage der Unabhängigkeit. Seit dem vergangenen Herbst führt Aragonès eine Minderheitsregierung an, nachdem die rechtsliberale Junts per Catalunya (JxCat) die Koalition verlassen hatte. Vorausgegangen war ein Streit über den Weg zu einem unabhängigen katalanischen Staat.
Die ERC hat seit dem von Spanien für illegal erklärten Referendum für die Unabhängigkeit 2017 eine andere Strategie als JxCat verfolgt. Zuletzt zeigte sie sich immer stärker an einer Konsenslösung mit der spanischen Regierung für ein neues Referendum interessiert, das jedoch in immer weitere Zukunft zu rücken droht. Diese Woche erklärte Aragonès in der französische Tageszeitung Le Monde, dass es ein Referendum geben solle, das von allen Seiten akzeptiert und international anerkannt werde.
Am 10. Dezember sollen Wahlen zum spanischen Kongress und Senat stattfinden. Es ist so gut wie unmöglich, dass sich der PSOE bis dahin mitten im Wahlkampf bereit zeigt, ein solches Referendum zu befürworten. Denn große Teile seiner Wählerschaft sind dagegen. Daher die Zerwürfnisse innerhalb der katalanischen Bewegung. Hinzu kommt, dass aktuelle Umfragen der rechtskonservativen Volkspartei (PP) einen Wahlsieg mit rund 30 Prozent der Stimmen voraussagen. Die PP will ein Referendum unter allen Umständen verhindern.
Angesichts der Demonstration in Barcelona erklärte Sánchez, dass es an diesem Sonnabend in Madrid eine Protestkundgebung geben werde, bei der genau das Gegenteil von dem gefordert werde, was die Unabhängigkeitsbefürworter wollen. Der Großteil der spanischen Gesellschaft stehe demnach in der Mitte und »für die Verteidigung der Einheit Spaniens in seiner Diversität«. Das Freundschaftsabkommen wurde derweil unter einem »schlechten Stern« unterschrieben, sind doch seit 2019 einige Straßenverbindungen zwischen Frankreich und Spanien gesperrt – offiziell aufgrund der Pandemie, inoffiziell auch wegen der Migration.
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