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Aus: Ausgabe vom 21.01.2023, Seite 5 / Inland
Arbeitskampf

Oder 8.400 Euro für jeden!

Warnstreiks bei Deutscher Post AG: Paket- und Briefzentren landesweit stillgelegt, Zusteller punktuell im Ausstand
Von Alexander Reich
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»Selbst Pizzafahrer verdienen mittlerweile mehr«, hieß es am Freitag bei dieser Streikversammlung in Hannover-Anderten

Bei der Deutschen Post AG kam es am Donnerstag und Freitag bundesweit zu Warnstreiks. Nach zweitägigen Tarifverhandlungen hatte die Gewerkschaft Verdi am Donnerstag abend dazu aufgerufen. In sämtlichen 38 Paketzentren und »nahezu allen« 82 Briefzentren wurde die Arbeit ganztägig niedergelegt, teilte Verdi am Freitag mit. »Punktuell« seien auch Zusteller in den Ausstand getreten, etwa »in großen Teilen« von Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und des Saarlandes. Konkret genannt wurden unter anderem Ludwigshafen, Trier, Koblenz, Rostock, Güstrow, Neubrandenburg und Schwerin. Nach Angaben des Konzerns folgten bis Freitag mittag »rund 16.700 Beschäftigte dem Streikaufruf, das heißt rund ein Drittel der aktuell heute anwesenden Beschäftigten«. Verdi sprach zu diesem Zeitpunkt von 15.000 Streikenden.

Die Gewerkschaft fordert eine 15prozentige Lohnerhöhung und 200 Euro pro Ausbildungsjahr bei einer Vertragslaufzeit von einem Jahr. Der Dax-Konzern hat diese Forderung als »realitätsfern« zurückgewiesen. Dabei erzielte das Bonner Unternehmen, das aus der Privatisierung der Bundespost 1995 hervorgegangen und längst zum Global Player geworden ist, im vergangenen Jahr mit 8,4 Milliarden Euro den größten Gewinn der Konzerngeschichte. Und das nicht zuletzt, weil die mickrigen Löhne um gerade mal zwei Prozent stiegen.

»Wenn man die 8,4 Milliarden Euro Gewinn runterrechnen würde auf die 160.000 Tarifbeschäftigten der Deutschen Post in Deutschland, dann ergäbe sich daraus rechnerisch, dass man jedem Beschäftigten 52.500 Euro auszahlen könnte«, sagte die Bundesvorsitzende der Partei Die Linke, Janine Wissler, am Freitag, sieben Uhr, vor dem Brief- und Paketzentrum in Berlin-Tempelhof, bevor sie den Streikposten mit Parteiaufklebern versehene Süßwaren (Hanuta und Knoppers) anbot. Nähme man nur den in Deutschland erzielten Gewinn zur Berechnungsgrundlage – etwa 1,35 Milliarden Euro –, blieben jedem Tarifbeschäftigten immer noch mehr als 8.400 Euro.

Rund 140.000 der Tarifbeschäftigten sind in den niedrigsten Entgeltgruppen eingruppiert. Ihr Monatsentgelt liegt damit zwischen 2.108 und 3.090 Euro brutto, allerdings nur, wenn sie Vollzeit arbeiten. Viele stehen in Teilzeitarbeitsverhältnissen und sind von der anhaltend hohen Inflationsrate in besonderem Maße betroffen, weil sie einen verhältnismäßig großen Anteil ihres Nettoeinkommens für Nahrungsmittel und Energie aufbringen müssen. »Für viele geht es um die Absicherung ihrer finanziellen Existenz«, erklärte am Freitag die Verdi-Fachbereichsleiterin Berlin-Brandenburg, Benita Unger. Auch darum würden »die Beschäftigten mit großer Entschlossenheit hinter der Tarifforderung stehen«.

Während die Löhne im Konzern seit Jahren gedrückt werden, wächst die Arbeitsbelastung. Die Routen der Postboten werden länger, die Pakete schwerer und zahlreicher. Viele können das Pensum nur noch mit Hilfe von Schmerzmitteln bewältigen. Unbezahlte Überstunden sind eher die Regel als die Ausnahme.

Gleichzeitig lässt die profitorientierte Konzernführung die Grundversorgung zusammenbrechen. Mehr und mehr Sendungen sind tage- oder wochenlang unterwegs, Zehntausende gehen allmonatlich gänzlich verloren, darunter durchaus auch Einschreiben. Mit dem Grundgesetz ist dieses Geschäftsmodell nicht vereinbar. Der Bund hat im Postwesen nach Artikel 87 f, Absatz 1, »flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen« zu gewährleisten.

Wegen der Warnstreiks am Donnerstag und Freitag verzögert sich nun nach Konzernangaben die Auslieferung von rund 2,3 Millionen Paketen und rund 13 Millionen Briefsendungen. Das entspreche einem Drittel beziehungsweise einem Viertel der durchschnittlichen Tagesmenge. Für den Ausstand hat die Konzernspitze erwartungsgemäß wenig Verständnis. »Da wir bereits angekündigt haben, in der dritten Runde (am 8. und 9. Februar, jW) ein Angebot vorzulegen, sind Warnstreiks aus unserer Sicht unnötig«, ließ sie am Freitag über einen Sprecher mitteilen. Zu hoffen bleibt, dass Verdi keine großen Abstriche an der mehr als berechtigten Forderung machen wird.

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