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Aus: Ausgabe vom 20.01.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Zustellung von Briefen und Paketen

Erst der Aktionär, zuletzt der Kunde

Beschwerden auf Rekordniveau. Bei der Post gehört mieser Service zum Geschäftsmodell
Von Ralf Wurzbacher
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»Das Gros der Meldungen zu verspäteten, schadhaften oder vermissten Sendungen betrifft den deutschen Marktführer«

Seit fast vier Monaten geht es mit der Aktie der Deutschen Post AG auf dem Frankfurter Finanzparkett steil bergauf. Von damals 30 Euro hat das Wertpapier auf aktuell über 40 Euro zugelegt. Die Kunden haben davon nichts, beziehungsweise müssen sich mit ständig steigenden Preisen und schlechten Leistungen herumärgern. Zufall oder nicht: Der Beginn der Börsenrallye erfolgte just zu dem Zeitpunkt, als sich die Medienberichte über ein rekordverdächtiges Beschwerdeaufkommen gegen das ehemalige Staatsunternehmen häuften. Die Jahresabschlussbilanz lieferte vor einer Woche die Bundesnetzagentur. 2022 erreichten diese fast dreimal so viele Eingaben aufgebrachter Verbraucher als im Jahr davor. 2021 waren es etwas mehr als 15.000, nun rund 43.500. Der vorherige Negativrekord der vor zehn Jahren eingeführten Statistik lag 2020 bei 18.867.

Die Rügen richten sich gegen die gesamte Brief- und Paketbranche. Aber das Gros der Meldungen zu verspäteten, schadhaften oder vermissten Sendungen betrifft den deutschen Marktführer. Früheren Angaben der Regulierungsbehörde zufolge kam die Deutsche Post auf einen Anteil von mehr als 91 Prozent. Mit Ausreden ist der gelbe Riese ganz groß. Der Konzern spricht von lokalen Problemen, verweist auf den hohen Krankenstand im Zusammenhang mit Omikron und auf die schwierige Suche nach Arbeitskräften. Ein Firmensprecher sagte gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa), man werde »alles daran setzen, trotz der weiter herausfordernden Umstände die Qualität in der Zustellung weiter zu verbessern«. Dabei verwies er auf die laufenden Tarifverhandlungen und auf drohende Warnstreiks. Dabei ist die dünne Personaldecke in erster Linie hausgemacht. Schlechte Bezahlung und miese Arbeitsbedingungen – bis zu 300 Pakete pro Tag zustellen – machen nicht nur wenig Lust auf den Job, sondern auch krank. Nach einer Auswertung der Gewerkschaft Verdi sind 17 Prozent der Belegschaft, rund 25.000 Beschäftigte, nur befristet angestellt. In der Vorweihnachtszeit werden Tausende Kräfte rekrutiert, um sie nach dem Fest wieder vor die Tür zu setzen. Selbst Leute mit Bürotätigkeit werden im Dezember dazu verdonnert, bei der Zustellung auszuhelfen.

Beim unablässigen Renditedruck der Aktionäre werden Menschen und guter Service zum lästigen Kostenfaktor. Seit 2012 betreibt die Post praktisch keine eigenen Filialen mehr. Ihre Dienste hat sie großflächig ausgelagert an sogenannte Postagenturen in Gestalt von Tankstellen, Kiosken und Supermärkten. Expertise wird da zum Auslaufmodell, so wie auch die flächendeckende Versorgung. dpa berichtete am Donnerstag unter Berufung auf die Bundesnetzagentur, dass es bundesweit 140 »unbesetzte Pflichtstandorte« gibt. Laut Verordnung müsste die Post in jeder Gemeinde mit mehr als 2.000 Einwohnern dafür sorgen, dass wenigstens ein Dienstleister vor Ort ist. Vor allem im ländlichen Raum mehren sich die weißen Flecken. Für eine Briefmarke müssen die Leidtragenden dann schon mal die nächste Stadt ansteuern.

Derlei Missstände schreien geradezu nach regulatorischen Eingriffen. Tatsächlich schickt sich die Ampelkoalition an, das veraltete Postgesetz, das zuletzt 1999 novelliert wurde, zu überarbeiten. Das Bundeswirtschaftsministerium will dazu zeitnah Eckpunkte und im Laufe des Jahres einen Gesetzentwurf vorlegen. Der Präsident der Bundesnetzagentur Klaus Müller plädiert für die Schaffung von Sanktionsmaßnahmen, also die Verhängung von Buß- und Zwangsgeldern, um die Wettbewerber – vorneweg den Platzhirsch in gelb – zur Pflichterfüllung und zu mehr Kundenfreundlichkeit zu nötigen. Ob er das ernst meint? Es ist Müllers Behörde, die seit Jahren jede Portoerhöhung durchwinkt, mithin sogar rechtswidrig, wie im vergangenen August das Kölner Verwaltungsgericht urteilte.

Auf Nachbesserungen beim Postgesetz dringen im übrigen auch die Bonner Konzernlenker selbst. Insbesondere will man die Vorgabe knacken, dass 80 Prozent der Briefe am Folgetag bei den Empfängern landen müssen, sowie die Montagszustellung kippen. Und wer seine Post doch lieber binnen 24 Stunden verschickt haben will, soll eine Vorzugsbehandlung erfahren – gegen Aufpreis, versteht sich.

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