Industrie aus dem Häuschen
Von Gabriel Kuhn, Stockholm
An Inszenierung mangelte es nicht. In einem Schacht des weltweit größten Eisenerzbergwerks verkündete Jan Moström, Chef des Staatsunternehmens LKAB, im schwedischen Kiruna am 12. Januar den bedeutendsten Fund an Metallen der seltenen Erden in Europa. Die internationale Presse war geladen, dem Anlass gemäß wurde auf Englisch referiert. An Moströms Seite die schwedische Wirtschafts- und Energieministerin Ebba Busch, eine der Schlüsselfiguren in der Rechtskoalition, die Schweden seit Oktober 2022 regiert.
Das Bergwerk in Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Betrieb genommen. Vor kurzem wurde die gesamte Stadt in einem zehnjährigen Prozess drei Kilometer nach Osten verlegt. Das Bergwerk braucht Platz und geht vor, schließlich trägt es seit Jahrzehnten zum schwedischen Wohlstand bei. Zimperlich ist man dabei nicht: Während des Zweiten Weltkriegs ging das Eisenerz tonnenweise an die deutsche Kriegsindustrie. Die Bergarbeiter selbst profitierten davon nicht wirklich. Erst ein zweimonatiger wilder Streik zur Jahreswende 1969/70 führte zu entscheidenden Verbesserungen ihrer Arbeitsbedingungen.
Die Entdeckung in Kiruna passt zum Industrialisierungsschub im Norden Schwedens, der im Namen der »grünen Umstellung« vollzogen wird. Windparks werden errichtet, und in Skellefteå steht seit 2021 die größte Fabrik Europas zur Produktion von Lithium-Ionen-Batterien für Elektroautos. Die Metalle der seltenen Erden werden für deren Motoren benötigt sowie für die Magnete von Windkraftanlagen. Als Nebenprodukt soll in Kiruna außerdem Phosphor gewonnen werden, wesentlicher Bestandteil von Kunstdünger.
Der Journalist Arne Müller hat mehrere Bücher zur schwedischen Bergbauindustrie verfasst. Im jW-Gespräch am Montag meint er, dass es zweifelsohne besser sei, Metalle der seltenen Erden und Phosphor in einem bereits bestehenden Bergwerk zu gewinnen, anstatt dafür neue Bergwerke zu errichten. Auch die regionale Verarbeitung der Rohstoffe sei löblich. Trotzdem müsse man das herrschende Konzept der »grünen Umstellung« mit Vorsicht genießen. Müller verweist auf den zusätzlichen Energieaufwand, den der Transformationsprozess erfordert – sowie auf die Tatsache, dass die weltweiten Vorräte an dazu notwendigen Rohstoffen nicht einmal annähernd ausreichen, um einen kompletten Wandel zu vollziehen. Ohne effektiveres Haushalten mit Energie und Rohstoffen im Allgemeinen ist für Müller keine grüne Umstellung machbar.
In der EU zeigt man sich angesichts des Fundes von Kiruna trotzdem begeistert. Das hat nicht zuletzt geopolitische Gründe. Die Vorkommen sollen dabei helfen, die Abhängigkeit von China (Metalle) und Russland (Phosphor) zu verringern. Darauf verweist auch eine Pressemitteilung samischer Rentierhalter, die einen Tag nach der Pressekonferenz von Kiruna veröffentlicht wurde. Dort heißt es unter anderem: »Das einzige indigene Volk der EU wird einer geringeren Abhängigkeit von Mineralien aus China und Russland geopfert.«
Karin Kvarfordt Niia ist Sprecherin der Rentierhalter in der Region Kiruna. Im Gespräch mit jW am Montag bezeichnet sie die Konsequenzen des Bergbaus für die Rentierhaltung als »verheerend«. Eine einzige Migrationsroute gäbe es für ihre Herden noch. Würde das Bergwerk nach den jetzigen Plänen ausgebaut, verschwände auch diese. Rentierhaltung in der Region wäre dadurch unmöglich. Auch Kvarfordt Niia hat ein anderes Verständnis von grüner Umstellung: »Der Begriff ›grüne Umstellung‹ wird von der Industrie vereinnahmt, von großen Unternehmen, die Geld verdienen wollen. ›Grüne Umstellung‹ sollte bedeuten, nachzudenken, bevor man etwas tut, und nachhaltige Entscheidungen zu treffen.«
Ebba Busch kümmert das wenig. Sie erfreute sich im Schacht von Kiruna an Schwedens »stolzer Zukunft als Bergbaunation«. Der Haken: Ausgerechnet Umweltverträglichkeitsprüfungen könnten den Ausbau des Bergwerks verzögern. Die Bergbauindustrie wittert darin wiederum eine Chance. In den Worten Jan Moströms: »Wir müssen den Prozess der Zulassungen ändern, um sicherzustellen, dass wir Metalle dieser Art in Europa gewinnen können.«
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