»Wuppertaler Polizei ist bekannt für Gewaltexzesse«
Interview: Henning von Stoltzenberg
Vor anderthalb Jahren wurde in Wuppertal die jährliche Gedenkdemonstration für den aus dieser Stadt stammenden Revolutionär und Philosophen Friedrich Engels aufgelöst. Die juristische Repression gegen Aktivisten dauert an. Wie kam es damals zu der Polizeimaßnahme?
Bereits vor Beginn der Demo war uns klar, dass die Wuppertaler Polizei an diesem Tag nicht friedlich bleiben wird. Wir wurden schon bei der Anreise abseits des Versammlungsortes von Einsatzkräften gefilmt. Einige äußerten sogar offen, schon mal »potentielle Straftäter« aufnehmen zu wollen. Die Auftaktkundgebung hatte noch nicht einmal begonnen, als sie einen Teilnehmer, der aufgrund des plötzlichen starken Regens eine Kapuze aufgesetzt hatte, wegen »Vermummung« aus der Masse ziehen wollten. Obwohl dieser seine Kapuze sofort wieder absetzte und zeigte, dass er sich nicht vermummen wollte, wurden seine Personalien verlangt und eine Taschendurchsuchung angekündigt. Ab diesem Zeitpunkt begannen die brutalen und willkürlichen Angriffe auf die Teilnehmenden und die Demo wurde frühzeitig aufgelöst.
Die vorherigen Demonstrationen waren weitgehend störungsfrei verlaufen. Wie erklären Sie sich dieses Vorgehen?
Dass nach fünf Jahren völlig friedlicher Engels-Demos am 28. November 2020 (dem 200. Geburtstag von Engels, jW) das erste Mal Polizeigewalt aufgrund von »Vermummung« angewandt wurde und am 7. August 2021 dann seitens der Polizei eine völlige Eskalation erfolgte, zeigt uns, dass wir uns in einer Zeit der steigenden Repressionen befinden. Es begann mit den neuen Polizeigesetzen und ging weiter mit dem Versammlungsgesetz in NRW.
Mehrere Demonstrantinnen und Demonstranten wurden bereits zu Bewährungsstrafen verurteilt. Dabei ging es laut Strafbefehl lediglich um ein Gedränge vor Ort. Sind solche Urteile üblich in Wuppertal?
Die Wuppertaler Polizei ist in NRW bekannt für ihre Gewaltexzesse und völlig absurden Strafverfahren. In den Strafbefehlen werden die Situationen bei den Festnahmen verfälscht dargestellt und mit erfundenen Geschichten ergänzt, die eine angebliche Gewalt seitens der Teilnehmenden und ein regelkonformes Vorgehen der Polizei implizieren sollen. Die Wuppertaler Justiz wiederum ist bei den Urteilen bekannt für ihre enge Zusammenarbeit mit der Polizei.
Demnächst findet ein weiterer Prozess statt. Was wird dem Angeklagten vorgeworfen?
Es handelt sich um den Genossen, der wie viele andere seine Kapuze aufgesetzt hatte, um sich vor dem Regen zu schützen. Ihm wurden zunächst Vermummung zwecks Identitätsverschleierung, Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft lehnte die letzten zwei Vorwürfe jedoch ab, da der Genosse keinerlei Gewalt angewandt hatte, als er von der Polizei weggezerrt worden war. Die Anschuldigung »Landfriedensbruch« wurde im allgemeinen bei allen Angeklagten abgelehnt. Doch auch den Vermummungsvorwurf lassen wir nicht stehen.
Wie viele Anklagen erwarten Sie noch?
Es wird wahrscheinlich noch mindestens neun weitere Verfahren geben. Dabei muss man erwähnen, dass besonders die Personen, die während der Demo im Vordergrund standen, von der Polizei zur Zielscheibe gemacht wurden und hohe Strafen bekommen haben. Es gibt mehrere Freiheitsstrafen auf Bewährung. Die Vorwürfe reichen von »Verstoß gegen das Vermummungsverbot«, »Landfriedensbruch«, »Gefangenenbefreiung« und »Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte« bis zu »öffentlicher Aufforderung zu Straftaten«.
Wie wehren sich die Aktivistinnen und Aktivisten gegen die Repression?
Wir sind uns alle einig, dass der polizeiliche Angriff auf die Engels-Demo illegitim war und diese willkürlich aufgelöst wurde. Die Strafbefehle sowie Bußgelder nehmen wir deshalb nicht hin. Sowohl auf der Straße als auch im Gerichtssaal verurteilen wir das Handeln der Polizei und lassen nicht zu, dass das Gedenken an Friedrich Engels kriminalisiert wird.
Sinan Demir ist aktiv im Engels-Bündnis sowie im Revolutionären Jugendbund
Drei Wochen kostenlos lesen
Wir sollten uns mal kennenlernen: Die Tageszeitung junge Welt berichtet anders als die meisten Medien. Sie bezieht eine aufklärerische Position ohne Besserwisserei und wirkt durch Argumente, Qualität, Unterhaltsamkeit und Biss.
Testen Sie jetzt die junge Welt drei Wochen lang (im europäischen Ausland zwei Wochen) kostenlos. Danach ist Schluss, das Probeabo endet automatisch.
Ähnliche:
- Hannes P. Albert/imago images29.04.2022
»Wir wollen verstehen, warum Georgios sterben musste«
- C. Hardt/Future Image /imago images18.02.2022
Jahrelang weggeschaut
- Tim Oelbermann/imago images25.01.2022
»Wir sehen das als Machtdemonstration«
Regio:
Mehr aus: Inland
-
Pistorius wird neuer Verteidigungsminister
vom 18.01.2023 -
Nicht zu stoppen
vom 18.01.2023 -
Wahlkampf über Grenzen
vom 18.01.2023 -
Bund kaufte »Katze im Sack«
vom 18.01.2023 -
Lindner schreibt Osten ab
vom 18.01.2023 -
Gewerkschafter kommen auf Touren
vom 18.01.2023